Die sozialen Medien ermöglichen es Parlamentsmitglieder, die Bevölkerung ihres Wahlkreises mittels Posts mit lokalem Bezug direkt anzusprechen. Damit verbinden sie die Erwartung, dass sich dieses Verhalten positiv auf ihren Wahlerfolg auswirkt. Wie unsere neue Untersuchung zeigt, klaffen dabei jedoch Hoffnung und Wirklichkeit auseinander.
Im Zeitalter der sozialen Medien verwenden Politikerinnen und Politiker oft verschiedene Plattformen, um Nähe zu ihren Wählerinnen und Wählern und deren Anliegen zu zeigen. Eine Strategie dabei ist es, in den Botschaften Bezüge zum Wahlkreis herzustellen. Dabei werden in den Botschaften geographische Verweise wie Orts- und Flurnamen eingebaut, welche die Verbundenheit mit dem Wahlkreis oder das Engagement im und für den Wahlkreis zum Ausdruck bringen sollen (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1. Beispiele von Tweets
Die Relevanz des Wahlkreisbezugs
Die Volksvertreterinnen und -vertreter erwarten von dieser Strategie, dass die Wählerschaft dieses Verhalten honoriert. In repräsentativen Demokratien erwarten viele Bürgerinnen und Bürger, dass „ihre“ Parlamentsmitglieder nicht nur für die Partei sprechen, sondern sich auch um die Belange vor Ort kümmern. Die sozialen Medien bieten den Abgeordneten die ideale Plattform, diese Nähe und das wahlkreisspezifische Engagement zu vermitteln. Parlamentsmitglieder können ihre Botschaften direkt und ohne Umwege über die Presse oder ihre Partei in die Öffentlichkeit tragen.
Wahlkreisbezug wird strategisch genutzt
In einer neuen Untersuchung sind wir deshalb der Frage nachgegangen, ob einerseits Abgeordnete Botschaften mit Wahlkreisbezug in den sozialen Medien strategisch einsetzen und ob andererseits die Wählerinnen und Wähler dieses Verhalten honorieren. In einem ersten Schritt untersuchten wir deshalb über 1.3 Millionen Tweets von Mitglieder des deutschen Bundestages und des Schweizer Nationalrats aus den Jahren 2009 bis 2019 auf explizite Wahlkreisbezüge – die Nennung von Orts- und Flurnamen – hin. Dabei zeigte sich, dass Parlamentarierinnen und Parlamentarier diese Signale strategisch verwenden. Während gewöhnlich 7 Prozent aller Tweets einen Wahlkreisbezug aufweisen, steigt dieser Anteil in Wahlkampfphasen auf 12 Prozent an.
Wahlkreisbezug wird wahrgenommen
In einem zweiten Schritt wollten wir erfahren, wie die Bürgerinnen und Bürger Botschaften mit Wahlkreisbezug wahrnehmen. Zu diesem Zweck führten wir ein Umfrageexperiment mit mehr als 16‘000 Personen aus Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Polen, der Schweiz und dem Vereinigten Königreich durch. In diesem wurde den Teilnehmenden ein Social Media-Post eines Ratsmitglieds (Facebook, Twitter, Instagram) entweder mit oder ohne Wahlkreisbezug gezeigt. Nachfolgend mussten die Befragten angeben, ob zwischen ihnen und dem gezeigten Ratsmitglied eine geographische Nähe besteht und ob sie sich vorstellen könnten, der Person ihre Stimme zu geben. In der Auswertung zeigte sich, dass die Befragten die geographische Nähe registrierten, welche die Botschaften mit Wahlkreisbezug suggerieren sollten.
Wahlkreisbezug wird nicht belohnt
Gleichzeitig legten die Ergebnisse der Untersuchung auch offen, dass sich der Wahlkreisbezug nicht auf die Wahlchancen auswirkt. Botschaften mit Wahlkreisbezug führten nicht dazu, dass die Befragten eher dazu neigten, der gezeigten Person ihre Stimme zu geben. Um dieses Ergebnis besser zu verstehen, untersuchten wird zusätzlich den Einfluss von Tweets mit Wahlkreisbezug auf den Erfolg bei den Schweizer Nationalratswahlen 2011, 2015 und 2019. Auch diese Analyse konnte keinen Hinweis darauf liefern, dass die Wählerinnen und Wähler Botschaften mit Wahlkreisbezug mit mehr Personenstimmen belohnen.
Weshalb geht die Strategie nicht auf?
Es lassen sich mehrere Vermutungen anstellen, weshalb sich Erwartung und Wirklichkeit bei dieser Kommunikationsstrategie nicht decken. Ein möglicher Grund ist, dass die Wählerinnen und Wähler den Botschaften zu wenig Vertrauen schenken. Sie könnten daran zweifeln, dass blosse Ortsnennungen wirklich ein Zeichen ernsthaften Engagements sind. Hinzu kommt, dass in einer globalisierten Welt andere Themen wie Klima, Wirtschaft oder soziale Gerechtigkeit für viele Menschen wichtiger sind als Bezüge zum Wahlkreis. Selbst wenn der Wahlkreisbezug positiv wahrgenommen wird, dürfte sein Einfluss auf den Wahlentscheid als zu gering ausfallen, um eine messbare Wirkung zu entfalten.
Und jetzt? Ist das alles umsonst?
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Parlamentsmitglieder allein durch das Erwähnen von Ortsnamen in den sozialen Medien keine Wahlen gewinnen. Die Wählerinnen und Wähler lassen sich nicht so leicht beeindrucken und legen mehr Wert auf andere Eigenschaften wie etwa den Status als bisheriges Mitglied. Gleichwohl muss dies nicht bedeuten, dass Abgeordnete nicht mehr auf diese Strategie setzen sollten. Botschaften mit Wahlkreisbezug sind billig, schnell und einfach. Sie können helfen, ein Bild der Volksnähe aufzubauen, das im Zusammenspiel mit anderen Wahlkampfstrategien hilfreich sein kann.
Referenz
Huwyler, O., Giger, N., Bailer, S., Turner-Zwinkels, T., and Heller, S. (2025) ‘Constituency References in Social Media: MPs’ Usage and Voters’ Reaction’, European Journal of Political Research. Wiley: advance in publication: 1–25. doi:10.1111/1475-6765.70018
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