Sweet Sixteen – reif genug für Abstimmungen und Wahlen?

Eine soeben erschienene Studie des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA) untersucht die politische Reife junger Schweizer Bürgerinnen und Bürger im Alter zwischen 16 und 25 Jahren. Es zeigt sich, dass 16- und 17-Jährige politisch ähnlich reif sind wie die Vergleichskategorie der 18-25-Jährigen.

Die politische Mitwirkung möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger ist ein zentraler Bestandteil einer modernen Demokratie. Dies umso mehr im aktuellen Kontext einer alternden Stimmbevölkerung und altersspezifischen politischen Konfliktlinien bei Themen wie dem Klimaschutz oder der Altersvorsorge. In den meisten Demokratien dürfen Bürgerinnen und Bürger ab dem 18. Altersjahr politisch mitbestimmen, es lässt sich aber ein zaghafter Trend hin zum Wählen ab 16 feststellen. Auf nationaler Ebene kommt Österreich dabei eine Vorreiterrolle zu, da es bereits 2007 das Wahlrecht ab 16 eingeführt hat.

Nur im Kanton Glarus gilt Stimmrechtsalter 16

Auch in der Schweiz wird das Stimmrechtsalter 16 immer wieder kontrovers politisch diskutiert. 2024 lehnte der Nationalrat das Stimmrechtsalter 16 auf nationaler Ebene nach langer Debatte ab. In den Kantonen wurde das Anliegen bis anhin zehn Mal an der Urne abgelehnt. Einzig im Kanton Glarus gilt seit 2007 das Stimmrechtsalter 16.

In den politischen Debatten werden regelmässig Argumente vorgebracht, dass 16- und 17-Jährige noch nicht reif genug seien, um sich eine politische Meinung zu bilden und politisch mitzubestimmen. Dieses Argument haben wir empirisch untersucht, indem wir 4’000 zufällig ausgewählte Jugendliche und junge Erwachsene mit Schweizer Staatsbürgerschaft zu ihren politischen Einstellungen und zu ihrem politischen Verhalten befragt haben.

Wenig Unterschiede zwischen jungen Erwachsenen und 16/17-Jährigen

Die Befragung zeigt, dass 16- und 17-jährige Schweizer Bürgerinnen und Bürger ein ähnliches Mass an politischem Interesse und politischer Selbstwirksamkeit sowie eine ähnliche Einstellung zum Wählen als Bürger:innenpflicht aufweisen wie junge Erwachsene.

Abbildung 1: Mittelwerte politisches Interesse, politische Selbstwirksamkeit und politische Teilnahme als Bürger:innenpflicht.

Abbildung: Sophie De Stefani, DeFacto · Auswertung: Robin Gut.

Zusätzlich zeigen sie eine stärkere Absicht an Wahlen teilzunehmen, und eine vergleichbare Absicht sich an Volksabstimmungen zu beteiligen. Darüber hinaus konsumieren 16- und 17-Jährige häufiger politische Informationen als 18- bis 25-Jährige und beteiligen sich gleich häufig an politischen Diskussionen.

Abbildung 2: Mittelwerte politischer Informationskonsum und Diskussionshäufigkeit politischer Themen.
 

Abbildung: Sophie De Stefani, DeFacto · Auswertung: Robin Gut.  

Fazit

Aufgrund der Analyse kommen wir zum Schluss, dass 16- und 17-jährige Schweizer Bürgerinnen und Bürger politisch gleich reif sind wie junge Erwachsene. Dieses Ergebnis ist auch für uns eher unerwartet, da 16- und 17-jährige Bürgerinnen und Bürger noch nicht stimmberechtigt und somit noch nicht vollständig mit dem politischen System sozialisiert sind. Dieses Ergebnis ist jedoch im Einklang mit den meisten internationalen Studien zur politischen Reife von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Diese Resultate legen den Schluss nahe, dass 16- und 17-jährige Schweizer Bürgerinnen und Bürger bereit sind, sich aktiv an Wahlen und Abstimmungen zu beteiligen.

Für weiterführende Forschung empfehlen wir, das politische Wissen und das politische Informationsverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Schweizer Kontext sowie die Effekte von Massnahmen der politischen Bildung vertieft zu untersuchen. Ebenfalls wäre es aus unserer Sicht zielführend, die Untersuchung auf unter 16-Jährige und über 25-Jährige auszudehnen, um ein umfassenderes Bild des Zusammenhanges zwischen Alter und politischer Reife zu erhalten. Darüber hinaus empfehlen wir, eine allfällige Einführung des Stimmrechtsalters 16 in einem weiteren Kanton neben Glarus mit einem multidisziplinären Forschungsprojekt zu begleiten. Dies, da die Effekte einer Stimmrechtssenkung in einem politischen Umfeld mit regelmässigen Volksabstimmungen noch kaum untersucht sind.

The Political Maturity of Youths and Young Adults: Empirical Evidence from Switzerland

Datengrundlage: Die Studie stützt sich auf die repräsentative Jugendbefragung zur politischen Partizipation, die das Zentrum für Demokratie Aarau im Frühjahr 2023 bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren in der Schweiz durchgeführt hat. Das Bundesamt für Statistik zog dazu aus dem Einwohnerregister eine Zufallsstichprobe von 20’000 Personen im Alter zwischen 16 und 25 Jahren. Insgesamt nahmen rund 4’000 Schweizer Bürgerinnen und Bürger an der Umfrage teil. Die Umfrage wurde von der Schweizerischen UNESCO Kommission und der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft finanziert.

Datenauswahl: Für die Studie wurde das Konzept der politischen Reife, bestehend aus politischer Disposition und politischem Verhalten angewendet (siehe Leininger et al. 2024). Politische Disposition umfasst die Selbstauskunft der Befragten zu ihrem politischen Interesse, ihrer politischen Selbstwirksamkeit, ihrer Wahrnehmung der politischen Beteiligung als Bürger:innenpflicht, sowie der Absicht, an Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen. Politisches Verhalten umfasst die Selbstauskunft der Befragten zur Häufigkeit ihrer Informationsbeschaffung über Politik sowie zur Häufigkeit politischer Diskussionen in ihrem Umfeld.

Methodik: Für die Analyse wurden die Befragten nach Alter, Geschlecht und Sprache gewichtet. Es wurden ordinale und binäre logistische Modelle angewendet. 

Erhobene Variablen:

Politisches Interesse:
  • Frage: Wie interessiert sind Sie im Allgemeinen an der Politik? (1 = überhaupt nicht interessiert bis 4 = sehr interessiert)
Politische Selbstwirksamkeit:
  • Frage: Inwiefern stimmen Sie der jeweiligen Aussage zu? (1 = stimme gar nicht zu bis 4 = stimme voll und ganz zu)
  • Mittelwert aus:
    • Wichtige politische Fragen kann ich gut verstehen und einschätzen.
    • Ich traue mir zu, mich an einem Gespräch über politische Fragen aktiv zu beteiligen.
Politische Teilnahme als Bürger:innenpflicht:
  • Frage: Es gibt unterschiedliche Vorstellungen darüber, was es heißt, ein guter Bürger / eine gute Bürgerin zu sein. Wie wichtig sind die folgenden Verhaltensweisen dafür? (1 = überhaupt nicht wichtig bis 4 = sehr wichtig)
  • Beispiel: an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen
Informationskonsum:
  • Frage: Wie oft verfolgen Sie politische Themen in den folgenden Medien? (1 = nie bis 5 = täglich)
Politische Diskussionen:
  • Frage: Wie häufig wird in Ihrem Umfeld über Politik diskutiert? Es ist dabei egal, ob Sie sich selbst an diesen Diskussionen beteiligen oder nicht. (1 = nie bis 3 = häufig)

Die Studie kann über die Autoren bezogen werden. Das Replikationsmaterial ist online unter https://doi.org/10.25597/mdh7-bh19 verfügbar.

 

Referenzen:

    • Dermont, C. (2021). 50 Jahre Frauenstimmrecht und 30 Jahre Stimmrechtsalter 18: Ein Rückblick auf die Volksabstimmungen zum Stimmrecht und deren Folgen für die politische Repräsentation in der Schweiz. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik (BFS).
    • Gerber, S., & Schmid, S. (2025). Stimmrechtsalter 16. Dachverband Schweizer Jugendparlamente. https://www.dsj.ch/themen/stimmrechtsalter-16/
    • Gut, R., Ezzaini, J. & Kübler, D. (2025). The Political Maturity of Youths and Young Adults: Empirical Evidence from Switzerland. Swiss Political Science Review, 00, 1–18. https://doi.org/10.1111/spsr.12662
    • Heimann, A., Gut, R., & Kübler, D. (2023). Die Jugend und die Citoyenneté der Zukunft: Studienbericht im Auftrag der Schweizerischen UNESCO-Kommission und der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft. Zentrum für Demokratie Aarau. Studienberichte des Zentrums für Demokratie Aarau, 25. https://www.zdaarau.ch/de/publikationen/die-jugend-und-die-citoyennete-der-zukunft/.
    • Leininger, A., Schäfer, A., Faas, T. & Roßteutscher, Sigrid (2024). Coming of voting age. Evidence from a natural experiment on the effects of electoral eligibility. Electoral Studies
image_pdfimage_print
KategorienSchweizer PolitikThemen
, , ,