Die unbegleiteten minderjährige Asylsuchenden in den Schweizer Bundesasylzentren stehen zwischen humanitärem Schutz und einem Asylsystem, das auf Effizienz und Kontrolle ausgerichtet ist. Nun liegt eine erste Analyse vor, die die Perspektive der UMA einnimmt. Sie zeigt auf, wie sie ihre Lebensbedingungen in den BAZ Zürich und Bern wahrnehmen und welchen Einfluss politische Entscheidungen, rechtliche Rahmenbedingungen und strukturelle Gegebenheiten auf ihre Situation haben.
Hohe Zufriedenheit, aber auch Verbesserungsbedarf
Unbegleitete minderjährige Asylsuchende (UMA) zeigen eine hohe Zufriedenheit mit ihrer Unterbringung, nennen aber auch Verbesserungsbedarf, was als ein Argument für mehr Einbezug ihrer Sichtweise in Forschung und Politik gelten kann. Besonders relevant für ihr Wohlbefinden sind soziale Kontakte und ein strukturierter Alltag. Doch Defizite der Bundesasylzentren (BAZ) wie fehlende Ruhe- und Rückzugsräume, überbelegte Schlafzimmer und eingeschränkte Freizeitmöglichkeiten beeinträchtigen ihre Lebensqualität.
«Es gab viele Personen im Schlafzimmer, deswegen wenig Privatsphäre. Maximal drei bis vier Personen pro Zimmer wäre gut.» 16 J., m, Afghanistan «Immer, wenn er sich mit jemandem angefreundet hatte, hatte diese Person gleich Transfer. Das war schwierig für ihn.» 17 J., m, Syrien «Es ist sehr laut im BAZ. Fühlt sich im Schlafzimmer wie im Gefängnis. Auch durch die Anwesenheit der Securitas. Fühlt sich behandelt wie ein Krimineller, durch die Kontrollen der Securitas am Eingang. Auch Schuhe müssen ausgezogen werden und werden durchsucht. “Wieso durchsuchen sie uns so?”» 16 J., m, Afghanistan «Sehr, sehr, sehr zufrieden mit «Sozialpädagoge» und auch den anderen. Sie haben uns nicht angeschrien, nie.» 16 J., m, Guinea «Es gibt erwachsene Personen, die laut streiten.» 16 J., w, Afghanistan
Freundschaften sind essentiell, Familienkontakt hingegen kann auch belasten
Freundschaften spielen für UMA – wie für alle Teenager – eine essenzielle Rolle. Die statistischen Analysen zeigen, dass enge soziale Bindungen signifikant mit höherer Zufriedenheit mit dem BAZ und geringeren genannten psychischen Belastungen korrelieren. Gleichzeitig zeigen die qualitativen Daten, dass häufige Transfers und Sprachbarrieren den Aufbau stabiler Beziehungen untereinander erschweren, was zu Einsamkeit und Isolation führen kann. Auch die Beziehung zu Betreuungspersonen ist ein entscheidender Faktor für ihre Zufriedenheit. Positiv hervorgehoben wird die Unterstützung durch Sozialpädagog*innen, doch einige UMA wünschen sich eine intensivere Betreuung und mehr Kontinuität in den Ansprechpersonen. Mädchen betonen die Wichtigkeit des Vorhandenseins weiblicher Betreuung – besonders auch nachts.
Eine überraschende Erkenntnis ist der ambivalente Einfluss des Kontakts zur Kernfamilie. Während familiäre Bindungen als Schutzfaktor wirken, zeigen die quantitativen Daten auch, dass regelmässiger Kontakt zur Familie signifikant negativ mit der Zufriedenheit mit der Unterbringung in den BAZ korreliert. Die qualitativen Interviews deuten darauf hin, dass diese Kontakte oft von Unsicherheiten und Sorgen geprägt ist.
Die Rolle der Sicherheitskräfte ist komplex
Die Sicherheitskräfte nehmen eine komplexe Rolle ein. Viele sehen sie als Schutz, doch es gibt auch kritische Erfahrungen. In der Regression korreliert diese Zufriedenheit signifikant mit der Zufriedenheit mit dem BAZ. Die qualitativen Daten zeigen ein differenzierteres Bild: Einige UMA berichteten von sehr negativen Erfahrungen, darunter aggressive oder auch diskriminierende Interaktionen. Mädchen können es als Belastungen erleben, wenn sie von einer männlichen Sicherheitskraft durchsucht werden. Auch die Funktion im Lösen von Konflikten unter UMA oder zwischen UMA und Erwachsenen führt zu Spannungen. Wenn UMA während ihrer Flucht mit uniformierten Personen Gewalterfahrungen machten, kann der Kontakt mit Sicherheitskräften im BAZ Retraumatisierung bewirken.
Mädchen sind besonders schutzbedürftig. Sie sind nur in geringer Zahl als UMA unterwegs, was es einerseits erschwert, Freundschaften zu schliessen und andererseits die soziale Isolation verstärkt. Zudem berichten sie häufiger von fehlender Privatsphäre und unangenehmen Erfahrungen mit männlichem Sicherheitspersonal. Dies betrifft auch Minderheiten wie LGTBIQ+ Personen.
Die Ergebnisse der Analyse zeigen klaren Reformbedarf. Die konkreten Empfehlungen umfassen: UMA stehen vor Herausforderungen, zeigen aber auch Resilienz. Politische und administrative Entscheidungen haben direkte Auswirkungen auf ihr Wohlbefinden. Eine konsequentere Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention könnte dazu beitragen, UMA als Kinder mit spezifischen Bedürfnissen anzuerkennen. Rechtlich ist unklar, warum sie nicht unter reguläre Kinder- und Jugendheimgesetze fallen. Das Schweizer ZGB sieht Kinderschutzmassnahmen für alle Kinder vor. Es bleibt unklar, ob die individuellen Situationen der UMA tatsächlich als durch die Eltern oder den Vormund an das BAZ «anvertraut» gelten (SEM 2023: 7). Dies müsste in den einzelnen Fällen überprüft werden. Das ZGB sieht keine vollständige Übertragung der elterlichen Sorge oder Vormundschaft auf eine Institution wie ein BAZ vor, siehe auch Artikel 327a ZGB. Die Studie zeigt, dass UMA so wie andere Kinder in Schweizer Heimen behandelt werden sollten. Die von ihnen genannten Verbesserungsvorschläge decken sich mit Standards, die für andere untergebrachte Kinder gelten. Eine engere Verzahnung von Forschung und politischen Massnahmen ist notwendig, um ihre Rechte zu schützen. Wichtig ist ebenfalls, die Sichtweisen der UMA als direkt Betroffene in entsprechenden Politiken miteinzubeziehen. Referenzen: Bild: Unsplash.comDiskurs