Das ideologische Profil des Konklaves

Die Wahl des Papstes hat begonnen. Alexandre Afonso untersucht die politische Dynamik, die mit dem Konklave einhergeht, und befasst sich mit der Soziologie der wählenden Kardinäle, die zweifellos einen höchst religiösen Charakter hat.

Gestern begann das päpstliche Konklave mit seinen Beratungen zur Wahl des nächsten Papstes. Ich bin weder besonders religiös noch beanspruche ich besondere Sachkenntnis in vatikanischen Angelegenheiten, aber ich habe eine Schwäche für «rabbit holes». Vor kurzem bin ich auf den Bericht College of Cardinals Report gestossen, eine Website, die demografische und ideologische Daten über die an der Wahl teilnehmenden Kardinäle zusammenstellt. Sie bietet einen näheren Einblick in die Zusammensetzung der „Wählerschaft“ des Konklaves (wenn man dies so nennen kann), und für einen Politikwissenschaftler ist das eine verlockende Einladung, die ideologischen Strömungen zu erforschen, die die Wahl des nächsten Papstes beeinflussen könnten.

Offiziell spielt das alles natürlich keine Rolle. Beim Konklave gehe es nicht um Politik, sondern darum, den Willen Gottes zu erkennen, wobei die Kardinäle vom Heiligen Geist in einem Prozess der göttlichen Inspiration geleitet werden. Aber lassen wir diese Prämisse für einen Moment beiseite und nehmen wir an, dass es sich tatsächlich um einen politischen Prozess handelt – einen, bei der Ideologie, Strategie und Machtdynamik eine Rolle spielen könnten. Angesichts der Tatsache, dass es weltweit etwa 1,5 Milliarden Katholiken gibt, sind die Auswirkungen dieser “unpolitischen” Wahl nicht gerade trivial.

Die Website selbst ist nicht die benutzerfreundlichste für die Datenanalyse, aber mit ein wenig Bereinigung und Optimierung ist es möglich, einige Diagramme zu erstellen – und sogar Regressionen durchzuführen.

Wer darf abstimmen?

Der erste Datensatz enthält alle 252 Kardinäle, ihr Herkunftsland, ihr Alter und den Papst, der sie ernannt hat. Allerdings sind nicht alle Kardinäle stimmberechtigt – nur diejenigen, die unter 80 Jahre alt sind, dürfen am Konklave teilnehmen. Somit verbleiben 147 stimmberechtigte Kardinäle in den Daten. Die Analyse ihrer demografischen Daten zeigt einige interessante Muster.

Was die geografische Verteilung betrifft, so stellen die europäischen Kardinäle nach wie vor den grössten Anteil am gesamten Kardinalskollegium. Unter den stimmberechtigten Kardinälen, d. h. denjenigen unter 80 Jahren, dominiert Europa mit etwa 39 %, gefolgt von Asien (17 %), Nordamerika (15 %), Südamerika und Afrika (jeweils 13 %) und Ozeanien (2,7 %). Die folgende Grafik vergleicht diese Verteilung mit dem geschätzten Anteil der Katholiken weltweit, wobei deutlich wird, dass Europa nach wie vor deutlich überrepräsentiert ist. Lateinamerika beispielsweise hat den grössten Anteil an der weltweiten katholischen Bevölkerung, ist aber nur durch einen kleinen Teil der Kardinäle vertreten.

Abbildung: Sophie De Stefani, DeFacto · Datenquelle: The Cardinals Report

Auffällig ist auch die Aufschlüsselung, wer die Kardinäle ernannt hat. Von den in dem Bericht aufgeführten Kardinälen wurden erstaunliche 76 % von Papst Franziskus ernannt. Nur 18 % wurden von Benedikt XVI. ernannt, und nur 5 % gehen auf Johannes Paul II. zurück. Diese Verteilung deutet darauf hin, dass Franziskus eine starke Hand bei der Gestaltung der aktuellen Wählerschaft hatte, die wiederum die ideologische Richtung der Kirche nach seinem Papsttum beeinflussen könnte.

Verteilung der stimmberechtigten Kardinäle pro Papst
Abbildung: Sophie De Stefani, DeFacto · Datenquelle: The Cardinals Report
Kartierung der Kardinäle

Der zweite Datensatz ist vom Umfang her begrenzter und umfasst etwa 40 Kardinäle, bietet aber detailliertere Informationen über ihre Positionen zu einer Reihe von strittigen Themen. Dazu gehören die Weihe weiblicher Diakone, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, das Erfordernis des priesterlichen Zölibats, die Verwendung der lateinischen Messe, die Leitung durch Synodalität, ökologische Prioritäten (z. B. Laudato Si’), die Kommunion für geschiedene und wiederverheiratete Katholiken und die Neuinterpretation der Enzyklika Humanae Vitae.

Franziskus hat in vielen dieser Debatten eine offenere Haltung eingenommen, indem er Raum für Diskussionen liess oder umstrittene Reformen anordnete – wie die Zulassung nicht-liturgischer Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare und die Einschränkung der traditionellen lateinischen Messe. Diese Schritte haben sowohl Hoffnung auf Modernisierung als auch Gegenreaktionen von Traditionalisten ausgelöst. Die ideologischen Daten in dem Bericht klassifizieren die Positionen der Kardinäle zu jedem Thema entweder als „dafür“, „dagegen“, ‚unklar‘ oder „nicht vorhanden“. Wenn wir die Kardinäle, für die diese Daten verfügbar sind, kartografisch darstellen und einen einfachen Index des Progressivismus von -1 bis +1 berechnen, finden wir genau das:

Abbildung: Sophie De Stefani, DeFacto · Datenquelle: The Cardinals Report

Da die detaillierten „ideologischen“ Daten jedoch nur eine kleine Anzahl von Kardinälen umfassen, habe ich die Analyse erweitert, indem ich die Forschungsmöglichkeiten von ChatGPT genutzt habe, um so viele zusätzliche Kardinäle entweder als konservativ oder progressiv zu kodieren. Dieser Ansatz führt zwar unweigerlich zu einem gewissen Messfehler, ermöglicht aber ein breiteres Bild des ideologischen Spektrums der Wählerschaft des Konklaves und erlaubt es, einige einfache Regressionen durchzuführen.

Wer ernennt, spielt eine Rolle

Einer der deutlichsten Prädiktoren für die ideologische Ausrichtung bei Verwendung dieser dichotomen Variable ist der Papst, der den Kardinal ernannt hat. Die Durchführung einer einfachen logistischen Regression bestätigt dies: Kardinäle, die von Franziskus ernannt wurden, werden mit signifikant höherer Wahrscheinlichkeit als progressiv eingestuft als solche, die von Johannes Paul II. oder Benedikt XVI. ernannt wurden.

Wahrscheinlichkeit der ernannten Kardinäle, als progressiv eingestuft zu werden

Abbildung: Sophie De Stefani, DeFacto · Datenquelle: The Cardinals Report

Dem Modell zufolge ist die Wahrscheinlichkeit, als progressiv eingestuft zu werden, für die von Franziskus ernannten Kardinäle mehr als 12-mal höher als für die von Johannes Paul II. ernannten. Die Assoziation für Benedikt XVI. ist positiv, unterscheidet sich aber statistisch nicht von JP. Dies deutet darauf hin, dass es Franziskus gelungen ist, das ideologische Gleichgewicht der Wählerschaft in eine progressivere Richtung zu lenken.

Alter und Ideologie

Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Alter. Eine zweite logistische Regression zeigt, dass das Alter in einem negativen Zusammenhang mit der Wahrscheinlichkeit steht, progressiv zu sein (selbst wenn wir für die Nominierung des Papstes kontrollieren). Mit anderen Worten: Jüngere Kardinäle (diejenigen, die wählen dürfen) vertreten mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit progressive Ansichten zu Lehre und Praxis der Kirche.

Dieser Trend untermauert die Idee, dass sich der ideologische Schwerpunkt im Kardinalskollegium verschiebt.

Der nächste Papst

In Anbetracht der Tatsache, dass drei Viertel der wahlberechtigten Kardinäle von Franziskus nominiert wurden und dass die Wahrscheinlichkeit, dass diese Ernennungen progressiv sind, signifikant höher ist, ist es zu erwarten, dass der nächste Papst im Grossen und Ganzen mit Franziskus’ Vision übereinstimmen wird. Natürlich können Konklaven unberechenbar sein, und die Koalitionsbildung innerhalb des Prozesses kann unerwartete Wendungen nehmen. Dennoch deuten die strukturellen Bedingungen auf einen klaren Richtungswechsel hin.


Die für diese Analyse verwendeten Daten stammen aus The Cardinals Report, wobei einige ideologische Kodierungen durch maschinengestützte Forschung erweitert wurden.

Bild: unsplash.com

Hinweis: Dieser Artikel basiert auf Alexandre Afonsos Political Economy Newsletter. Er wurde von Raed Hartmann, DeFacto, bearbeitet. 

image_pdfimage_print
KategorienPolitische SoziologieThemen
, , , ,