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Ersetzt die KdK den Ständerat? Wie die Kantone in Bundesbern mitbestimmen

Johanna Schnabel
15th Dezember 2020

Die Repräsentation und Mitwirkung der Gliedstaaten gilt als eine der Funktionen zweiter Gesetzgebungskammern im Bundesstaat. In der Schweiz erfüllt der Ständerat diese Funktion nicht (mehr). Gleiches gilt für die zweiten Kammern in vielen anderen Föderalstaaten. An die Stelle des Ständerates ist jedoch eine andere Institution getreten: die Regierungskonferenz. Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) insbesondere hat sich als überaus erfolgreiche Vertreterin kantonaler Interessen auf Bundesebene erwiesen. Der Bikameralismus ist – zumindest mit Blick auf seine föderale Mitwirkungsrolle – ersetzbar.

Ständeratsbuch

Territoriale Mitbestimmung im Föderalismus

Die Mitwirkung der Gliedstaaten an der Bundesgesetzgebung ist ein wesentliches Merkmal des Föderalismus - neben ihrer Autonomie (Elazar 1987). Die Mitbestimmung auf Bundesebene kompensiert den Souveranitätsverlust, der mit dem Zusammenschluss zum Bundesstaat einhergeht. Sie ist auch wichtig, weil viele Bundesgesetze Auswirkungen auf die Gliedstaaten haben oder, wie im schweizer Vollzugsföderalismus, sogar von diesen umgesetzt werden.

Eine zweite Parlamentskammer gilt als die institutionelle Lösung, um die gliedstaatliche Mitwirkung auf Bundesebene zu ermöglichen und zu gewährleisten (Russell 2001, Swenden 2004). In vielen Föderalstaaten wurde angesichts der mangelnden Berücksichtigung territorialer Interessen in der Zusammensetzung der ersten Kammer eine zweite Kammer eingerichtet. Zweite Kammern, so die Theorie, ermöglichen territoriale Mitbestimmung, indem sie

  • gliedstaatliche Anliegen bündeln,
  • als Vetospieler und Gegengewicht zur ersten Kammer fungieren,
  • dem Schutz kleinerer Gliedstaaten dienen,
  • die Koordination zwischen Bund und Gliedstaaten sicherstellen,
  • an der Bestimmung von Vertreterinnen und Vertretern in Kommissionen und der Wahl von Amtsträgerinnen und Amtsträgern mitwirken und
  • den Austausch und die Abstimmung territorialer Interessen sicherstellen.

Die Literatur über zweite Kammern nennt zwei Voraussetzungen betreffend ihrer Zusammensetzung und Mitwirkungsrechte, die für eine effektive Mitbestimmung erfüllt sein müssen (Swenden 2004). Zum einen muss eine zweite Kammer so zusammengesetzt sein, dass sie auch tatsächlich die gliedstaatlichen Regierungen oder Parlamente vertritt. Zum anderen muss sie über effektive Vetorechte verfügen, die nicht nur aufschiebende Wirkung haben und zudem möglichst alle Gesetzgebungsprozesse auf Bundesebene betreffen.

Tatsächlich erfüllen aber die meisten zweiten Kammern diese Kriterien hinsichtlich Zusammensetzung und Mitwirkungsrechte nicht oder nicht mehr (Russell 2001). In vielen zweiten Kammern dominieren Parteiinteressen und/oder fehlen Mitwirkungsrechte. Der Ständerat ist hier keine Ausnahme, vor allem was die Dominanz der Parteiinteressen betrifft (Vatter 2018).

Die föderale Rolle der Konferenz der Kantonsregierungen

Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) hingegen erfüllt beide Kriterien für eine effektive Mitbestimmung und ermöglicht so die kantonale Mitwirkung auf Bundesebene.[1] Unterstützt wird sie dabei von den Direktorenkonferenzen.

Zusammensetzung: Während Ständerätinnen und Ständeräte nicht direkt die kantonalen Regierungen vertreten und häufig parteipolitisch abstimmen, setzt sich die Konferenz der Kantonsregierungen, wie ihr Name verrät, aus diesen zusammen. Parteipolitik ist daher deutlich weniger dominant als im Ständerat und in den zweiten Kammern anderer Bundesstaaten. Die Zusammensetzung der KdK spiegelt vielmehr stärker die territorialen Interessen der Kantone wider. Dieser Effekt wird durch das Konkordanzprinzip verstärkt und auch dadurch, dass je nach Traktandenliste Regierungsmitglieder unterschiedlicher politischer Couleur teilnehmen und abstimmen.

Mitwirkungsrechte: Die KdK ist kein Verfassungsorgan und verfügt nicht über die formellen Vetorechte des Ständerats. Allerdings ist es de facto schwer, Gesetze gegen den Willen der Kantone und eine offizielle Position der KdK zu erlassen. Hier sind Artikel 45 Abs. 1 und 2 der schweizerischen Bundesverfassung (BV) relevant. Diese verpflichten den Bund, die Kantone einzubeziehen und rechtzeitig über Bundesgeschäfte zu informieren. Die KdK hat sich zu derjenigen Institution entwickelt, über welche Art. 45 BV umgesetzt wird. Grundsätzlich ist es eine Entscheidung der Kantone – und somit der KdK selbst – , welche Bundesgeschäfte sie mitgestalten möchte.

Die KdK erfüllt aber nicht nur die formellen Voraussetzungen, sondern hat zu grossen Teilen die klassische Funktion zweiter Kammern übernommen – mit Ausnahme der Bestimmung von Amtsträgerinnen und Amtsträgern. Seit ihrer Gründung 1993 war die KdK nicht nur an vielen, sondern auch an nahezu allen wichtigen Bundesdossiers und zentralen Reformprojekten beteiligt. Beispiele sind die Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung (NFA), die an der Urne abgelehnte Unternehmenssteuerreform III, die als Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF) neu aufgelegt und im Mai 2019 angenommen wurde, sowie verschiedene Stabilisierungsprogramme und die Legislaturplanung des Bundes. Die Mitwirkung an den Geschäften auf Bundesebene umfasst immer die Bündelung und Abstimmung kantonaler Interessen. Dabei schützt das Prinzip der Stimmengleichheit aller Mitglieder auch die Anliegen kleinerer Kantone. Nichtzuletzt mit dem erfolgreich initiierten Kantonsreferendum 2004 gegen die Steuerpolitik des Bundes hat sich die KdK als wichtige Vetospielerin etabliert. Gleiches gilt für die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), deren Widerstand gegen eine zentralisierende Reform der Bildungsverfassung zur Stagnation des Reformprozesses führte. Diese Blockade wurde erst dann überwunden, als der Bund den Reformvorschlag der EDK akzeptierte.

Ihren Einfluss macht die KdK geltend, indem sie Stellungnahmen, Vernehmlassungsantworten und Medienmitteilungen verfasst, an parlamentarischen Anhörungen und Arbeitsgruppen des Bundes teilnimmt und Klärungen einfordert (wie beispielsweise zum Rahmenabkommen mit der EU). Über die KdK interagieren die Kantone regelmässig und häufig mit dem Bund und stimmen sich mit diesem (aber auch untereinander) ab – beispielsweise im Rahmen des Föderalistischen Dialogs.

Schlussbemerkungen

Die KdK ist also, zumindest mit Blick auf die territoriale Mitbestimmung, so kann man provokativ zusammenfassen, die bessere zweite Kammer. Allerdings hat sie den Ständerat keineswegs überflüssig gemacht; schliesslich erfüllt dieser auch noch andere Aufgaben zweiter Kammern, die über die föderale Rolle hinausgehen (Vatter 2020). Zudem arbeiten die beiden Gremien häufig zusammen, zum Beispiel wenn die KdK an Anhörungen im Ständerat teilnimmt oder schriftliche Stellungnahmen zu Händen des Rates abgibt.

Gemeinsam mit den Direktorenkonferenzen schützt die KdK die Autonomie der Kantone vor Eingriffen des Bundes. Dies bedeutet jedoch auch, dass die Kantone zwar als Ganzes an Einfluss gewinnen, dies aber zulasten einzelner Kantone und ihrer spezifischen Anliegen gehen kann. Allerdings sind Beschlüsse der KdK rechtlich nicht bindend. Einzelne Kantone können immer ergänzend zu oder abweichend von der offiziellen Position der KdK eigene Stellungnahmen zu Vernehmlassungen eingeben – was die meisten von ihnen auch tun.

Die Machtfülle der KdK, die sich zu einer zentralen Partnerin insbesondere des Bundesrats, aber auch von National- und Ständerat entwickelt hat, steht im Widerspruch zu ihrem Status als informelles Gremium ohne konstitutionelle oder gesetzliche Verankerung. Anders als der Ständerat ist die KdK formell gesehen nicht mehr als ein (privatrechtlicher) Verein. Sie unterliegt darüber hinaus keiner direkten parlamentarischen Kontrolle (Pfisterer  2015) und keinem Öffentlichkeitsgesetz.[2] Dass ein informelles Gremium eine derartige Machtfülle hat, ist aus demokratietheoretischer Sicht durchaus problematisch.


Referenz

Schnabel, J. (2020). Die Konferenz der Kantonsregierungen als der bessere Ständerat? Territoriale Mitbestimmung im schweizerischen Föderalismus. In S. Mueller & A. Vatter (Eds.), Der Ständerat. Zweite Kammer der Schweiz. Zürich: NZZ Libro, S. 181–202.

Quellen

  • Elazar, D. J. (1987). Exploring Federalism. Tuscaloosa, London: The University of Alabama Press.
  • Pfisterer, T. (2015). lntergovernmentaI Relations in Switzerland: An Unfamiliar Term for a Necessary Concept. In J. Poirier, C. Saunders, & J. Kincaid (Hrsg.), Intergovernmental Relations in Federal Systems. Comparative Structures and Dynamics (S. 379–410). Don Mills: Oxford University Press.
  • Russell, M. (2001). The Territorial Role of Second Chambers. In N. D. J. Baldwin & D. Shell (Hrsg.), Second Chambers (S. 105–118). London: Frank Cass.
  • Swenden, W. (2004). Federalism and Second Chambers. Regional Representation in Parliamentary Federations: the Australian Senate and German Bundesrat compared. Brüssel: P.I.E.-Peter Lang.
  • Vatter, A. (2018). Das politische System der Schweiz (3. Auflage). Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
  • Vatter, A. (2020). Reformansätze unter der Lupe: Modelle für die Reform des Ständerats. In S. Mueller & A. Vatter (Hrsg.), Der Ständerat. Zweite Kammer der Schweiz (S. 253–294). Zürich: NZZ Libro.

[1] Die KdK wurde 1993 explizit mit dem Ziel der Einflussnahme auf der Bundesebene gegründet, als die Kantone fanden, sie hätten zu wenig Einfluss auf Bundesentscheidungen zu Europafragen.

[2] Grundsätze für mehr Öffentlichkeit wurden allerdings 2018 verabschiedet.

 

Bild:  © Konferenz der Kantonsregierungen KdK