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4‑Jahresbilanz der kantonalen Wahlen

Werner Seitz
16th August 2023

Bei den 26 kantonalen Parlamentswahlen nach den Nationalratswahlen 2019 können zwei Tendenzen festgestellt werden. In den ersten drei Jahren legten die Grünen und die Grünliberalen zu, während die Bundesratsparteien schwächer wurden. Im aktuellen Jahr gewannen die SVP und die Grünliberalen, während die Grünen und die FDP verloren.

Zwei Tendenzen

Länger als bei früheren kantonalen Parlamentswahlen hallte diesmal das parteipolitische Muster der Nationalratswahlen nach. Drei Jahre lang legten Grüne und Grünliberale in fast allen Kantonen stark zu; insgesamt steigerten sie sich um 49 bzw. 47 Mandate. Werden noch die Wahlen von Graubünden berücksichtigt, wo erstmals nach Proporz gewählt wurde, beträgt die Steigerung gar je 51 Mandate. Die Bundesratsparteien standen in diesen drei Jahren alle mehrheitlich auf der Verliererseite, am stärksten die SP (-46 Mandate; mit Berücksichtigung von Graubünden: -39), gefolgt von der FDP (-27 bzw. -36), der «Mitte» (-24 bzw. -43) und der SVP (-19 bzw. -3).

Bei den kantonalen Parlamentswahlen im aktuellen Jahr (ZH, BL, GE, LU, TI, AR – ohne AI, wo keine parteipolitische Zuordnung der Mandate möglich ist) änderten sich allerdings die Tendenzen etwas. Die SVP legte bei fast allen Wahlen Mandate zu (+13 Mandate) und die Grünen verloren Mandate (-9). Die SP und die «Mitte» vermochten sich zu stabilisieren (per Saldo: keine Verluste). Weiterhin auf der Siegerstrasse blieb dagegen die GLP (+8), während die FDP weiter Mandate verlor (-11).

Insgesamt sieht die Gesamtbilanz der kantonalen Parlamentswahlen (inklusive Graubünden) seit den letzten Nationalratswahlen von 2019 wie folgt aus: Die grössten Mandatsverluste erlitten die FDP (-47), die «Mitte» (-43) und die SP (-39). Mehr Mandate als vor vier Jahren haben die SVP (+10), die Grünen (+42) sowie die Grünliberalen (+59).

Trotz ihrer beträchtlichen Verluste behalten die Bundesratsparteien in den Kantonsparlamenten ihre starken Positionen: Die SVP ist die stärkste Partei und verfügt über 554 Mandate, die FDP (inkl. Liberale-BS) kommt auf 521. Die SP hat noch 438 Mandate inne und «Die Mitte» 424. Die grossen Wahlgewinnerinnen der letzten Jahre, die Grünen und die Grünliberalen, kommen auf 258 bzw. 157 Mandate.

Abbildung 1. Kantonale Parlamentswahlen 2020/2023 Parteistärken (±Veränderungen) in %

Quelle: Bundesamt für Statistik
Verluste von FDP, «Mitte» und SP

Präziser als die Zahl der Mandate zeigt der kantonale Stimmenanteil bzw. die Parteistärke die Veränderung der Parteienlandschaft auf. Beim folgenden Blick auf die einzelnen Parteien sollen daher die Parteistärken beleuchtet werden, wobei die Kantone Appenzell Innerrhoden und Graubünden nicht berücksichtigt werden.

In den vergangenen vier Jahren wurde die FDP in 18 Kantonen schwächer. Bei den zwölf kantonalen Wahlen der Jahre 2020 und 2021 stand sie gar elfmal auf der Verliererseite. Bei den Wahlen von 2022 und 2023 wechselten sich Verluste und Gewinne ab, wobei die meisten Verluste und Gewinne kleiner als zwei Prozentpunkte waren. Am grössten fielen die Stimmenverluste der FDP in den letzten vier Jahren in Neuenburg und Appenzell Ausserrhoden (rund -3,5 Prozentpunkte), in Uri (-5,7) und in Genf (-6,2) aus. In Genf hatte der FDP ihr früheres Aushängeschild, Pierre Maudet, mit einer eigenen Wahlliste Konkurrenz gemacht. Den grössten Zuwachs erfuhr die FDP 2021 in Freiburg (+1,6 Punkte).

Die «Mitte», also jene Partei, welche aus einem Zusammenschluss von CVP und BDP hervorgegangen ist, büsste in 21 Kantonen an Parteistärke ein, in fünf Kantonen sogar mehr als drei Prozentpunkte (SZ, GE, SO, VS, GL). Nur gerade in Zürich, St. Gallen und Neuenburg legte sie leicht zu (zwischen 0,2 und 1,3 Prozentpunkten). Im aktuellen Jahr standen einem kleinen Zuwachs in Zürich (+0,2 Punkte) fünf Verluste gegenüber, wobei jener in Genf mit -3,4 Prozentpunkte am stärksten ausfiel.

Ähnlich erging es der SP: Sie büsste 18-mal mehr oder weniger ausgeprägt an Parteistärke ein, am meisten in Schaffhausen (-3,1 Punkte), in der Waadt (-3,3), in Bern (-3,4), Neuenburg (-3,9) und in Freiburg (-5,4). In den Jahren 2021 und 2022 verlor sie bei sämtlichen Wahlen an Parteistärke. Insgesamt konnte sich die SP in den vier Jahren fünfmal leicht steigern: dreimal bei den Wahlen von 2020 und zweimal 2023. Der grösste Zugewinn betrug dabei 1,3 Prozentpunkte (SZ). Im aktuellen Jahr legte die SP in Luzern 0,1 Punkte zu, in Zürich stagnierte sie und in drei Kantonen wurde sie um 0,6 bis zwei Punkte schwächer (GE, BL, TI).

SVP kommt auf die Gewinnerseite

Gehörte die SVP 2020 noch bei sechs der acht Wahlen zu den Verliererinnen, stand sie 2023 bei fünf Wahlen auf der Gewinnerseite, nur gerade in Appenzell Ausserrhoden wurde sie schwächer. In den vier Jahren nach den Nationalratswahlen legte sie insgesamt elfmal zu und 13-mal verlor sie. Die grössten Verluste erlitt sie in Basel-Stadt (-3,3 Prozentpunkte) und Neuenburg (-3,4). Bis 2023 waren die Gewinne der SVP – abgesehen von Glarus (+5,0) – kleiner als 1,3 Punkte. Im aktuellen Jahr dagegen legte die SVP bei den meisten Wahlen zu, vor allem in Genf (+3,4), Luzern (+3,5) und im Tessin (+4,2).

Grüne erstmals geschwächt

Von 2017 bis Ende 2022 befanden sich die Grünen fast durchwegs auf der Siegerseite – sie gewannen in diesen sechs Jahren rund achtzig Mandate hinzu. In den ersten drei Jahren nach den Nationalratswahlen 2019 steigerten die Grünen ihre Parteistärke in 16 von 18 Wahlen. Nur in Nidwalden wurde sie schwächer (-2,2 Punkte). Am meisten legten die Grünen in Basel-Stadt (+3,2), in Neuenburg (+3,4) und im Jura (+3,8) zu sowie in Schaffhausen (+5,0) und in Freiburg (+6,8). Im aktuellen Jahr jedoch verloren die Grünen bei fünf Wahlen an Parteistärke: in Genf (-0,2) und im Tessin (-0,8 Punkte), in Zürich und Luzern (je -1,5) sowie in Basel-Landschaft (-2,6).

In den Jahren 2020 und 2021 vermochten die Gewinne der Grünen die Verluste der SP mehr als wettzumachen (Ausnahme: Neuenburg), sodass Rotgrün insgesamt stärker wurde. In den folgenden beiden Jahren aber, als die Gewinne der Grünen etwas kleiner wurden und bald Verlusten Platz machten, vermochte die SP dies nicht aufzufangen. Rotgrün wurde in der Folge um 0,9 (GE) bis 3,5 Prozentpunkte (BL) schwächer.

Grünliberale gewinnen weiter

Die Grünliberalen, deren Siegesserie 2018 einsetzte – vorerst weniger ausgeprägt als bei den Grünen – legten nach den Nationalratswahlen 2019 bei fast allen kantonalen Parlamentswahlen zu (Ausnahme Zürich), mit Zuwachswerten zwischen 0,5 (TI) und acht Prozentpunkten (NW). In elf Kantonen betrug die Steigerung mehr als drei Prozentpunkte. Bei den Wahlen im aktuellen Jahr wurde die Parteistärke in Zürich leicht schwächer (-0,2 Punkte). In Basel-Landschaft und in Genf steigerten sich die Grünliberalen um 3,3 bzw. 5,0 Prozentpunkte, in Appenzell Ausserrhoden um 5,7 Prozent.


Hinweise:

  • Dieser Beitrag er erschien erstmals am 17. April 2023 auf Journal21. Er wurde leicht modifiziert und um die vom BFS bereinigten Parteistärken (inkl. Zuordnung der sog. Mischlisten zu den Parteien) ergänzt.
  • Eine ähnliche 4-Jahresbilanz erschien 2019 auf DeFacto.

Bild: flickr.com