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Föderalismus, funktionale und territoriale Reformen: Wo stehen wir?

Laetitia Mathys Desfontaine, Andreas Ladner
10th Januar 2020

Ein kürzlich erschienenes Werk widmet sich dem Schweizer Föderalismus und seinen funktionalen und territorialen Reformen der jüngeren Zeit. Wir stellen es hier in aller Kürze vor.

Version française

Seit der grossen Föderalismusreform - der Umsetzung des Nationalen Finanzausgleichs (NFA) im Jahr 2008 - dauern die Diskussionen über die Aufteilung des Schweizer Territoriums und die Organisation der staatlichen Dienstleistungen, welche durch Gemeinden, Kantone, Bund und verschiedene anderen Akteuren erbracht werden, an. Das fundierte Werk von Andreas Ladner und Laetitia Desfontaine Mathys widmet sich einerseits der Reflexion über die territoriale Struktur der Schweiz und die Aufgabenverteilung zwischen den staatlichen Ebenen, andererseits der Diskussion über ihre zukünftige Ausrichtung.

Territoriale Aufteilung und Interdependenzen

Obwohl die Schweiz mit aktuell ca. 8,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ein kleines Land ist, verfügt sie über eine komplexe territoriale Organisation mit einer grossen Anzahl an Kantonen und Gemeinden unterschiedlichster Grösse. Das Bewältigen der anfallenden Staatsaufgaben führt daher zu vielfältigen Formen der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen territorialen Einheiten und zu starken Interdependenzen zwischen den staatlichen Ebenen.

Die Schweiz zeichnet sich durch eine vertikale Aufteilung des Staates in verschiedene Regierungsebenen und eine horizontale Aufteilung zwischen mehreren territorialen Untereinheiten aus. Während der schweizerische Staatsaufbau in den letzten zwei Jahrhunderten ausserordentlich stabil blieb, haben die Globalisierung, die wachsende Komplexität der transterritorialen Fragestellungen und der Ruf nach mehr Effizienz und demokratischer Partizipation dazu geführt, dass die territoriale Struktur und das Funktionieren der Zusammenarbeit zwischen den staatlichen Einheiten stark in Frage gestellt werden. Die zunehmende Interdependenz zwischen den staatlichenen Ebenen und die Notwendigkeit einer Aufteilung der Staatsaufgaben erfordern daher gewisse Veränderungen.

Wichtige bisherige Reformen

2008 hat die Schweiz eine erfolgreiche Föderalismusreform durchgeführt. Die Reform zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) hatte drei Hauptziele: 1) die Modernisierung und Stärkung des Föderalismus durch Klärung und Entflechtung der Aufgaben und Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen, 2) die Erhöhung der Effizienz des Ausgleichssystems und damit die Verringerung der kantonalen Unterschiede in der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Steuerbelastung, 3) die Verbesserung der Effizienz der öffentlichen Leistungserbringung durch die Einführung moderner Formen der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen und durch die Stärkung der interkantonalen Zusammenarbeit.

Im Rahmen des Reformprojektes sind andere Konzepte entstanden, die beispielsweise aus den Reformen des New Public Managements übernommen wurden. Deren Grundgedanken betonen die Bedeutung der Entkoppelung von strategischer und operativer Ebene, der Effizienz, der Anreizsysteme und der Ausrichtung auf das Markt- und Kundensystem.

Am 28. September 2018 hat der Bundesrat auf Antrag der Finanzkommission des Nationalrats eine Aufgabenevaluation vorgenommen und beschlossen, dass bestimmte gemeinsame Aufgaben neu zugewiesen werden können. Weitere Entflechtungen können jedoch an gewisse Grenzen stossen, wenn sie einerseits in der finanziellen Autonomie der verschiedenen Staatsebenen und andererseits in den Grössenunterschieden der territorialen Einheiten liegen.

Neben dieser funktionalen Reform wurden seit den 1990er Jahren territoriale Reformen durchgeführt, was zu einer sichtbaren Zunahme von Gemeindefusionen und der Entstehung von Agglomerationen und Regionen geführt hat, ohne die territoriale Struktur der Schweiz wesentlich zu verändern. Während mit der Verabschiedung der revidierten Bundesverfassung, insbesondere mit Artikel 50 Absatz 3, die Voraussetzungen für eine neue Agglomerationspolitik geschaffen wurden, wurde mit der Schaffung der Tripartiten Konferenz (TAK) im Jahr 2001 die Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Städten verbessert: Ein gemeinsam von den drei Regierungsebenen erarbeitetes schweizerisches Raumkonzept setzt den Rahmen für die künftige Raumentwicklung der Schweiz. Das Projekt unterscheidet zwölf Gebiete mit vier Metropolitanräumen (Zürich, Basel, Genferseebecken und Bundesstadtregion), fünf Netzwerken von kleinen und mittleren Städten (Luzern, Città Ticino, Jurabogen, Aareland, Nordostschweiz) und drei alpinen Gebieten (Gotthard, West- und Ostalpen). Diese neuen Gebiete, die nach funktionalen, aufgabenbezogenen Kriterien definiert sind, werfen neue Fragen im Hinblick auf die Ausstattung mit eigenen Ressourcen und politischen Institutionen auf.

Perspektiven

Die Untersuchung von Andreas Ladner und Laetitia Desfontaine Mathys schliesst mit einer Reflexion über die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen, welchen sich der schweizerische Föderalismus stellen muss. Je nach der Ebene der Gebietskörperschaft, der Grösse und des Zuständigkeitsbereichs müssen für die Ausführung der Aufgaben unterschiedliche Lösungen gesucht werden, die das Konzept der Anwendungen mit variabler Geometrie widerspiegeln.

Der Schweizer Föderalismus ist ein Experimentierfeld, in dem verschiedene Reformstrategien getestet und die sich abzeichnenden Vor- und Nachteile untersucht werden können. Dennoch scheint eine Rückkehr zu traditionellen Entscheidungsprozessen in Gemeinden mit einem stabilen und klar definierten Territorium nicht ausgeschlossen, da die Entwicklung von Mehrebenen-Netzwerkstrukturen und die Erweiterung der Entscheidungssphären in den letzten Jahren die Grenzen zwischen Staat und Privatwirtschaft undurchsichtiger und für eine demokratische Kontrolle ungeeignet gemacht hat.

Die funktionalen Perimeter werden eher an Bedeutung gewinnen und die Governance-Strukturen müssen ebenso gestärkt werden wie die interkommunale und interkantonale Zusammenarbeit. Es ist davon auszugehen, dass sich die Schweiz weiterhin diversifiziert und heterogen weiterentwickelt. Entsprechend ihrer historischen Entwicklung wird dabei die Dynamik sicherlich von den zusätzlichen unteren Ebenen ausgehen und sich nur auf bestimmte Aufgaben konzentrieren, d.h. neben den Kantonen und Gemeinden vor allem auf die Agglomerationen und Regionen. Selbstverständlich wird die Komplexität der Umsetzung von Reformen weiter zunehmen und sich auf die bestehenden staatlichen Strukturen auswirken. Angesichts dieser strukturellen Veränderungen ist es von entscheidender Bedeutung, die geeignetsten institutionellen Mittel und Instrumente zu finden, um eine optimale und demokratische Bereitstellung staatlicher Dienstleistungen zu gewährleisten.


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