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Wut, nicht Angst, nährt populistische Einstellungen

Guillem Rico
13th Februar 2018

Populisten zielen darauf ab, in Wählenden Emotionen zu schüren. Wir haben untersucht, in welchem Verhältnis Wut und Angst zu populistischen Haltungen stehen. Unsere Analyse zeigt, dass Wählerinnen und Wähler, die Populisten unterstützen, vor allem wütend sind. Folglich werden die Bemühungen, Fake News und sogenannte „post-truth“ Politiken zu bekämpfen, kaum Wirkung entfalten. Besser wäre es, den wirtschaftlichen Nährboden der Wut anzugehen. Das heisst, die etablierten Parteien müssten den Bürgerinnen und Bürgern überzeugende Angebote machen, volksnäher agieren und beispielsweise glaubhaft gegen die Korruption vorgehen.

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Der zunehmende Erfolg von populistischen Parteien ist nicht einfach zu erklären. Viele politische Kommentatoren zeichnen ein Bild von emotional getriebenen Wählenden, die mit der Wahl populistischer Parteien negativen Gefühlen Ausdruck verleihen wollen, beispielsweise die Sorge über die Folgen tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen wie die Globalisierung.

Im Zuge der ökonomischen Krise in Spanien und Griechenland ist beispielsweise die Wut auf das Establishment ein Kennzeichen der Proteste gegen die Austeritätspolitik geworden, was sich auch daran zeigt, dass Ausdrücke wie economic anxiety (wirtschaftliche Sorgen), cultural resentment (kulturelle Ressentiments) und angry white men (zornige weisse Männer) immer mehr Eingang in journalistische und wissenschaftliche Berichte über den Erfolg von Donald Trump, Brexit oder die radikale Rechte gefunden haben.

Die am häufigsten genannten Emotionen in diesen Erzählsträngen sind Angst und Wut (oder auch Empörung oder Furcht). Auch wenn diese beiden Begriffe häufig synonym verwendet werden, handelt es sich aus psychologischer Sicht um zwei unterschiedliche Gefühlsregungen, die unterschiedliche Auswirkungen auf die Präferenzen und das Wahlverhalten der Menschen haben können.                      

Wut wird dadurch ausgelöst, dass frustrierende Ereignisse als eindeutig zuordenbar, unfair und von aussen provoziert angesehen werden. Angst spiegelt dagegen eine diffuse Bedrohung wider, die ausserhalb der eigenen Kontrolle liegt.

Die nachfolgende Tabelle zeigt, mit welchen Fragen die populistische Weltsicht mittels Meinungsumfragen in der Bevölkerung gemessen werden kann. Die Resultate zeigen die Situation in Spanien: Fast bei sämtlichen Fragen stuft sich eine Mehrheit der Befragten näher am Wert ein, der eine starke Übereinstimmung mit der jeweiligen Aussagen ausdrückt (7) als am Wert, der für eine schwache Übereinstimmung steht (1). Der Nährboden für eine populistische Mobilisierung ist in Spanien somit durchaus vorhanden. Aber welche Emotionen drücken die populistischen Einstellungen aus?

Messung der populistischen Haltung in Spanien
  2014 2015 2016
Politiker im spanischen Parlament müssen den Volkswillen umsetzen 5.7 5.5 5.7
Das Volk und nicht die Politiker sollten die wichtigsten politischen Entscheidungen treffen 5.4 5.1 5.2
Die politischen Differenzen sind grösser zwischen Volk und Elite als innerhalb des Volks 4.8 5.0 5.0
Ich möchte lieber durch einen anderen Bürger als durch einen professionellen Politiker vertreten werden 4.8 4.7 4.6
Gewählte Repräsentanten reden zu viel und machen zu wenig 5.9 5.9 6.0
Was man in der Politik "Kompromiss" nennt, ist in Tat und Wahrheit nur das Aufgeben von Prinzipien 4.0 4.2 4.4
Populismusskala 5.1 5.0 5.1
(N) (1'071) (1'014) (1'040)
Angaben sind Durchschnittswerte, gemessen auf einer Skala von 1 (stark abweichend) bis 7 (stark übereinstimmend).
 Wut oder Furcht als Auslöser für populistische Haltung?

Der populistische Diskurs begreift Politik als Auseinandersetzung zwischen dem guten Volk und der bösen Elite. Populisten machen andere – vor allem die Elite – dafür verantwortlich, dass in der Politik den Ansichten der Bevölkerungsmehrheit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Die Affinität zwischen Wut und den Kernaspekten des populistischen Diskurses liegt deshalb nahe. Die Einteilung der Welt in gut und böse, welche den populistischen Diskurs prägt, findet  in der Wahrnehmung von mangelnder Fairness, die wiederum Wutgefühle auslösen kann, Widerhall.

Unsere empirischen Analysen zeigen, dass Populismus darum eher wütende denn ängstliche Bürgerinnen und Bürgern anspricht: Je wütender eine Person ist, desto populistischer werden ihre Einstellungen. Im Gegensatz dazu passen Unsicherheit und Angst nicht zur Weltsicht der Populisten, denn Angst führ eher zu risiko-aversen Reaktionen.

Abbildung: Wie werden populistische Einstellungen geprägt?

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Lesehilfe: Die Abbildung zeigt den statistischen Zusammenhang zwischen populistischen Einstellungen, den Gefühlen von Wut und Angst sowie dem Einfluss einer Reihe von anderen Faktoren in unserer Untersuchung. Populistische Einstellungen werden von 1 bis 7 kodiert. Alle unabhängigen Variablen mit Ausnahme des Alters (in Jahren) sind von 0 bis 1 codiert. Die Punkte in der Abbildung zeigen, ob positive oder negative Effekte vorliegen sowie die Konfidenzintervalle um die Punkte herum, um zu zeigen, wie genau die Schätzung statistisch ist. Ferner erlauben uns die Daten, Unterschiede zwischen Individuen  und Veränderungen über die Zeit – also ob Individuen, die über die Zeit wütender werden, auch populistischere Einstellungen entwickeln – separat auszuweisen. Die Effekte dieser beiden Betrachtungsweisen gehen in dieselbe Richtung, wobei die Veränderungen über die Zeit (gelb) schwächer sind als die zwischen Personen (lila), was angesichts des kurzen Untersuchungszeitraums von drei Jahren auch nicht weiter erstaunlich ist. Neben den Effekten der Wut und der Angst, die uns vor allem interessiert haben, zeigt sich, dass das Geschlecht, das Einkommen und ob jemand arbeitslos ist, kaum einen Effekt auf populistische Einstellungen hat. Hingegen denken Menschen mit weniger guten Ausbildungen sowie diejenigen, die sich politisch links verorten, eher populistisch, ebenso die, die der links-populistischen Podemos nahe stehen.
Populismus spricht Wütende an

Unsere empirischen Analysen zeigen, dass Populismus eher wütende denn ängstliche Bürgerinnen und Bürgern anspricht: Je wütender eine Person ist, desto populistischer werden ihre Einstellungen. Der Umkehrschluss gilt aber nicht, denn populistische Haltungen lösen bei den Menschen nicht Angst aus.

Weil populistische Einstellungen vor allem mit Wut und nicht mit Angst zusammenhängen, unterstreichen unsere Ergebnisse die begrenzte Wirksamkeit vieler „aufklärerischer“ Massnahmen gegen Populismus. Angesichts der kognitiven Konsequenzen ihrer Emotionen können verärgerte Bürgerinnen und Bürger die Rhetorik der Populisten weniger genau auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Bemühungen, Fake News und sogenannte „post-truth“ Politiken zu bekämpfen, werden bei solchen Bürgerinnen und Bürger deshalb kaum Wirkung entfalten. Vieles spricht darum eher dafür, direkt etwas gegen die Umstände  zu tun, die die Menschen als unfair oder unmoralisch empfinden und die deshalb Empörung und Wut auslösen. Zuallererst stehen hier die Folgen der Wirtschaftskrise in Spanien sowie der Mangel an glaubhaften Alternativen unter den etablierten Parteien, was den Erfolg von neuen Parteien wie Podemos und Ciudadanos beflügelt hat.

Daten und Forschungsdesign
Wir haben mit Daten aus einer Online-Panel-Befragung, die zwischen 2014 und 2016 in Spanien durchgeführt wurde, gearbeitet. Die Befragung wurde zufällig im Nachgang der Wirtschaftskrise in Spanien durchgeführt, die bei vielen Bürgerinnen und Bürgern starke negative Gefühle gegen das politische und wirtschaftliche Establishment auslöste und wohl auch dazu führte, dass die populistische Linkspartei Podemos stark an Zuspruch gewann.

Wir haben die Teilnehmenden zu drei verschiedenen Zeitpunkten gefragt, inwieweit die Wirtschaftskrise bei ihnen Wut und Angst auslöste. Zudem haben wir die Zustimmung der Befragten zu einer Serie von Aussagen, welche in populistischen Parteiprogrammen bzw. von Politikern geäussert wurden, abgefragt.


Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf dem Kapitel von Guillem Rico, Marc Guinjoan und Eva Anduiza aus dem Sonderheft der Schweizerischen Zeitschrift für Politikwissenschaft zum Populismus (Heft 23(4), 2017):

Bild: Pixabay.