Hat uns die COVID-19-Pandemie zu besseren Menschen gemacht?

For­schen­de der Uni­ver­si­tät Zürich unter­such­ten, ob die COVID-19-Pan­de­mie mit Per­sön­lich­keits­ver­än­de­run­gen ein­her­ging. Dazu ver­gli­chen sie Wer­te vor und nach der ers­ten Wel­le der Pan­de­mie und frag­ten direkt nach Ver­än­de­run­gen. Die Befrag­ten berich­te­ten vie­le posi­ti­ve Ver­än­de­run­gen – im direk­ten Ver­gleich zeig­ten aber nur zwei Eigen­scha­fen einen Anstieg. Posi­tiv bewer­te­te Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten (Cha­rak­ter­stär­ken) sag­ten aber frei­wil­li­ges Enga­ge­ment sowie das Ein­hal­ten der Mass­nah­men vorher.

Was uns nicht umbringt, macht uns stär­ker.” Im Sin­ne die­ses Nietz­sche-Zitats wird häu­fig davon gespro­chen, dass nega­ti­ve oder sogar trau­ma­ti­sche Erfah­run­gen mit per­sön­li­chem Wachs­tum ein­her­ge­hen und uns zu stär­ke­ren, bes­se­ren Men­schen machen kön­nen. Empi­ri­sche Unter­su­chun­gen zeig­ten, dass Men­schen nach nega­ti­ven Ereig­nis­sen häu­fig berich­ten, dass sich ihre Bezie­hun­gen ver­bes­ser­ten und sie das Leben stär­ker wert­schät­zen. Pro­ble­ma­tisch ist dabei aber, dass Men­schen meist erst nach die­sem Ereig­nis befragt wer­den, ob sie posi­ti­ve Ver­än­de­run­gen erlebt haben. So bleibt unklar, ob dies nur eine sub­jek­ti­ve Inter­pre­ta­ti­on ist oder ob sich die Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten tat­säch­lich ver­än­dert haben. Um aus­sa­ge­kräf­ti­ge Ergeb­nis­se zu erhal­ten, ist ein Ver­gleich der Wer­te vor und nach einem Ereig­nis zen­tral. Dies ist aber äus­serst schwie­rig, da per­sön­li­che Kri­sen glück­li­cher­wei­se nur sel­ten auftreten.

Die COVID-19-Pandemie als kollektive Herausforderung

Mit der COVID-19-Pan­de­mie bot sich For­schen­den der Uni­ver­si­tät Zürich eine Gele­gen­heit, eine sol­che Stu­die durch­zu­füh­ren: Aus einer frü­he­ren Daten­er­he­bung lagen Anga­ben zu Cha­rak­ter­stär­ken vor. «Cha­rak­ter­stär­ken» sind 24 Per­sön­lich­keits­ei­gen­schaf­ten, die posi­tiv bewer­tet und gene­rell erwünscht sind. Dazu zäh­len bei­spiels­wei­se Eigen­schaf­ten wie Krea­ti­vi­tät, Ehr­lich­keit, Freund­lich­keit, Selbst­re­gu­la­ti­on, oder Dank­bar­keit. Für vie­le Men­schen ging die ers­te Wel­le der Pan­de­mie im Früh­jahr 2020 mit erheb­li­chen Ver­än­de­run­gen im Arbeits‑, Freizeit‑, Sozi­al- und Fami­li­en­le­ben ein­her, an die sie sich anpas­sen muss­ten. Aus die­ser Per­spek­ti­ve kann die COVID-19-Pan­de­mie als kol­lek­ti­ve Her­aus­for­de­rung betrach­tet wer­den. Daher frag­ten sich die For­schen­den: Hat­te die Pan­de­mie trotz ihrer nega­ti­ven Aus­wir­kun­gen auch posi­ti­ve Fol­gen? Konn­ten die Men­schen an die­ser Her­aus­for­de­rung “wach­sen” und ihre Cha­rak­ter­stär­ken weiterentwickeln?

Daten und Methode
Im Som­mer 2020 kon­tak­tier­ten die For­schen­den die Per­so­nen erneut und 366 Erwach­se­ne gaben Aus­kunft dar­über, ob sie bei sich selbst oder bei einer nahe­ste­hen­den ande­ren Per­son Ver­än­de­run­gen der Cha­rak­ter­stär­ken wahr­ge­nom­men haben. Dar­über hin­aus mach­te eine Teil­stich­pro­be (150 Per­so­nen) erneut Anga­ben zu ihrem aktu­el­len Niveau der Cha­rak­ter­stär­ken nach der Pan­de­mie. Aus­ser­dem woll­ten die For­schen­den auch her­aus­fin­den, ob die Cha­rak­ter­stär­ken einer Per­son damit zusam­men­hän­gen, ob man sich wäh­rend der Pan­de­mie frei­wil­lig enga­giert hat (z.B. in der Nach­bar­schafts­hil­fe) und inwie­fern man sich an die Mass­nah­men zur Pan­de­mie­be­kämp­fung (z.B. Abstand hal­ten) hielt.

Die Ergeb­nis­se zei­gen, dass die meis­ten Men­schen posi­ti­ve Ver­än­de­run­gen wahr­ge­nom­men haben: Im Durch­schnitt gaben die Teil­neh­men­den an, dass fast alle Cha­rak­ter­stär­ken zuge­nom­men haben, ins­be­son­de­re Dank­bar­keit, Sinn für das Schö­ne und Exzel­lenz, Umsicht und Beschei­den­heit – sowohl bei sich selbst als auch bei einer nahe­ste­hen­den Per­son. Als jedoch die Wer­te der Cha­rak­ter­stär­ken vor der Pan­de­mie mit den Wer­ten danach ver­gli­chen wur­den, ergab sich ein ande­res Bild: Ins­ge­samt gab es nur sehr weni­ge Ver­än­de­run­gen, ledig­lich bei den Cha­rak­ter­stär­ken Beschei­den­heit und Umsicht war eine Zunah­me zu ver­zeich­nen. Es scheint also, dass die Men­schen das Aus­mass der Ver­än­de­run­gen in ihrer Per­sön­lich­keit überschätzen. 

Guter Charakter sagt Verhalten während Pandemie voraus

Meh­re­re Cha­rak­ter­stär­ken sag­ten aller­dings das Ver­hal­ten wäh­rend der Pan­de­mie vor­aus: Die­je­ni­gen, die vor der Pan­de­mie höhe­re Wer­te in Urteils­ver­mö­gen, Aus­dau­er, Beschei­den­heit und Umsicht auf­wie­sen, berich­te­ten, dass sie sich mehr an die Mass­nah­men hiel­ten. Frei­wil­li­ges Enga­ge­ment wur­de durch meh­re­re Cha­rak­ter­stär­ken vor­her­ge­sagt: Per­so­nen mit höhe­ren Aus­prä­gun­gen in Dank­bar­keit, Tap­fer­keit, Bin­dungs­fä­hig­keit und Enthu­si­as­mus gaben an, sich wäh­rend der Pan­de­mie eher frei­wil­lig enga­giert zu haben. Wis­sen über sol­che Zusam­men­hän­ge könn­te dazu die­nen, Kam­pa­gnen bes­ser auf sol­che Per­so­nen aus­zu­rich­ten, die sich weni­ger an Mass­nah­men hal­ten oder engagieren. 

Sind wir nun bessere Menschen geworden?

Zusam­men­fas­send deu­ten unse­re Ergeb­nis­se dar­auf hin, dass die COVID-19-Pan­de­mie uns nicht unbe­dingt stär­ker oder zu bes­se­ren Men­schen gemacht hat; bes­ten­falls sind wir in der Fol­ge­zeit beschei­de­ner und umsich­ti­ger gewor­den. Sie zei­gen aber auch, dass Men­schen durch­aus posi­ti­ve Ver­än­de­run­gen wahr­neh­men und dass posi­ti­ve Eigen­schaf­ten im Umgang mit einer sol­chen Kri­se eine Rol­le spielen.

Ausblick

In einem Fol­ge­pro­jekt bie­tet die Uni­ver­si­tät Zürich ein kos­ten­lo­ses Online-Trai­nings­pro­gramm zur Stei­ge­rung des Wohl­be­fin­dens an. Das Trai­nings­pro­gramm wur­de anhand aktu­el­ler wis­sen­schaft­li­cher Erkennt­nis­se kon­zi­piert und wird auch wis­sen­schaft­lich eva­lu­iert. Die Trai­nings­ak­ti­vi­tä­ten sind kurz und ein­fach und kön­nen pro­blem­los in den All­tag inte­griert wer­den. Eine Teil­nah­me ist aktu­ell noch mög­lich unter: https://www.happyhabits.ch


Refe­renz:

  • Gan­der, F., & Wag­ner, L. (2021). Cha­rac­ter growth fol­lowing collec­ti­ve life events: A stu­dy on per­cei­ved and mea­su­red chan­ges in cha­rac­ter strengths during the first wave of the COVID-19 pan­de­mic. Euro­pean Jour­nal of Per­so­na­li­ty. https://doi.org/10.1177/08902070211040975

 

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