Kein Stimmrecht, aber betroffen: Auswirkungen der direkten Demokratie auf Ausländer:innen in der Schweiz

Rütil Türkmen
17th September 2025

Die direkte Demokratie gilt als Herzstück der Schweizer Politik. Wie wirkt sie sich auf Ausländer:innen aus? Gibt sie ihnen eine Stimme und schützt ihre Rechte? Oder werden Ausländer:innen durch Entscheide an der Urne benachteiligt? Eine Bachelorarbeit ging diesen Fragen nach. 

Mehr als jede vierte Person in der Schweiz hat keinen Schweizer Pass und damit kein Stimmrecht. Von den Abstimmungsvorlagen sind aber alle direkt betroffen. Eine Auswertung aller kantonaler Abstimmungen zwischen 2008 und 2023 zeigt nun auf, dass sich die Effekte einzelner Vorlagen manchmal positiv, manchmal aber auch negativ auf Ausländer:innen auswirken. Entscheidend sind der Inhalt einer Vorlage, ihre Rechtsform sowie weitere Erklärungsfaktoren wie die Zusammensetzung der Stimmbevölkerung oder dem konkreten Ort, an dem die Abstimmung stattfand.

Wie die Policy den Ausgang einer Abstimmungsvorlage entscheidet

Rund ein Drittel der untersuchten Vorlagen führte zu einer rechtlichen Schlechterstellung von Ausländer:innen. In knapp einem Fünftel der Vorlagen wurden Verbesserungen in den Rechten von Ausländer:innen festgestellt. Fast die Hälfte der Vorlagen hatte keine Auswirkungen auf ihre Rechte. Die Analyse zeigt zudem auch, dass moderate Veränderungen im Inhalt einer Vorlage auf mehr Zustimmung stossen wie tiefgreifende Reformen. Doch über Annahme und Ablehnung entscheidet in der Regel nicht nur der Inhalt einer Vorlage.

Tabelle 1: Effekte von Abstimmungsvorlagen auf den Schutz oder die Diskriminierung von Ausländer:innen Tabelle 1: Effekte von Abstimmungsvorlagen auf den Schutz oder die Diskriminierung von Ausländer:innen

Quelle: Eigene Darstellung. Datengrundlage: Centre for Research on Direct Democracy [C2D], (n.D.).
Anmerkung: Eine Abstimmungsvorlage ist ausbauend, wenn sie die Rechte von Ausländer:innen verbessern. Abbauend ist eine Abstimmungsvorlage, wenn sie Rechte entzieht oder einschränkt. Eher ausbauend und eher abbauend sind Vorlagen, die eine abgeschwächte Wirkung im Gegensatz zu ausbauenden und abbauenden Vorlagen haben.
Erklärung der Effekte einer Vorlage: Keine Effekte entstehen, wenn ausbauende und abbauende Abstimmungsvorlagen nicht angenommen werden. Ein positiver Effekt entsteht, wenn eine ausbauende oder eher ausbauende Vorlage angenommen wird. Ein negativer Effekt entsteht, wenn eine abbauende oder eher abbauende Vorlage angenommen wird.

Wie wirken sich weitere Erklärungsfaktoren auf Abstimmungsvorlagen aus?

Auch der Politikbereich und die Rechtsform spielen eine Rolle bei der Annahme oder Ablehnung einer Vorlage. Besonders umstritten sind Vorlagen, die Ausländer:innen politische Rechte gewähren wollen: Das Stimm-/Wahlrecht erhält im Vergleich zu erleichterten Einbürgerungen, Integrations-/Finanzierungsmassnahmen die geringste Zustimmung.

Auch die Rechtsform einer Vorlage beeinflusst das Ergebnis. Während Volksinitiativen am häufigsten scheitern, haben obligatorische und fakultative Referenden deutlich höhere Chancen. Dies hängt damit zusammen, dass bei Volksinitiativen im Gegensatz zu Referenden oft der Rückhalt einer breiten Mehrheit fehlt, was sich in ihrer deutlich geringeren Annahmequote widerspiegelt (Vatter, 2020: 365 f.). Damit zeigt sich, dass der Ausgang von Abstimmungsvorlagen nicht nur von einzelnen Faktoren, sondern vom Zusammenspiel von mehreren Faktoren abhängt.

Die dargelegten Ergebnisse sollten nicht als fertiges Urteil über das Abstimmungsverhalten gegenüber Ausländer:innen verstanden werden, sondern als Momentaufnahme in einem sich wandelnden politischen Diskurs.

Fazit  

Die direkte Demokratie in der Schweiz wirkt sich nicht pauschal diskriminierend oder schützend aus – ihre Effekte hängen stark vom Kontext ab. Das Grundproblem bleibt aber darin bestehen, dass ein Viertel der Bevölkerung nicht an Abstimmungen teilhaben kann – obwohl sie von deren Ausgang davon betroffen sind.


Hinweis: Dieser Beitrag basiert auf einer Bachelorarbeit zur Wirkung kantonaler Abstimmungen auf die Rechte von Ausländer: innen, abgeschlossen im Frühjahr 2025 an der Universität Bern. In der Arbeit werden auch weitere Faktoren – etwa zum Einfluss des Ausländer:innenanteils oder zur Bevölkerungsdichte auf das Abstimmungsergebnis, untersucht.

Literaturangabe:

Vatter, A. (Hrsg.). (2020). Das politische System der Schweiz (4. Aufl.). Nomos Verlagsgesellschaft.

Abbildung: unsplash.com