Wie die Demokratie vor Kriegen geschützt werden kann

Laurent Goetschel
15th September 2025

Kriege gefährden Demokratien nicht nur von aussen, sondern auch von innen, weil die Funktionsbedingungen des Krieges denjenigen der Demokratie widersprechen.

 

Das Verhältnis zwischen Demokratie und Krieg gehört zu den meistuntersuchten Themen im Bereich der Internationalen Beziehungen und der Politikwissenschaft. Im Zentrum steht zumeist die friedensfördernde Wirkung der Demokratie. Es geht um die Überprüfung der Annahme, dass demokratisch regierte Staaten weniger dazu neigen, Kriege zu beginnen.

Das stimmt aber nur, wenn es sich um Kriege zwischen demokratischen Staaten handelt.[1] Viel weniger Beachtung findet in der Wissenschaft die Untersuchung der Auswirkungen von Krieg auf die Demokratie. Diese Frage ist auch vielschichtiger, weil anders als bei Krieg und Frieden der Zustand der Demokratie nicht einem binären Modus folgt, sondern schleichende und widersprüchliche Effekte auftreten können.

So kann der politische Zusammenhalt einer Demokratie durch eine äussere Bedrohung gestärkt werden, während die Regierung zugleich Massnahmen ergreift, welche die demokratischen Mitwirkungsrechte einschränken, wie etwa die Verschiebung oder die Aussetzung von Wahlen.[2] Kriege führen typischerweise auch zu einem Bedeutungsgewinn der Sicherheitspolitik und der Bedeutung militärischer Instrumente. Über die Zeit hinweg kann dies zu einer Verwischung der Grenzen zwischen dem zivilen und dem militärischen Teil der Gesellschaft führen, vor allem, wenn der betreffende Staat, wie etwa in der Schweiz, auf eine Milizarmee setzt. Finanzielle Mittelverschiebungen hin zu militärischen Belangen können bis in den Forschungsbereich hineingreifen, wo steigende militärbezogene Forschungsausgaben zulasten der freien Forschung gehen und damit heikle forschungsethische Fragen aufwerfen.[3]

Kriege haben die Tendenz, Menschen dumm zu machen.[4] Die Welt wird in Freund/Feind-Kategorien aufgeteilt, und als überholt gedachte Vorurteile werden wieder salonfähig. Differenziertheit verschwindet, Komplexität wird reduziert. Nicht umsonst gilt die Wahrheit als erstes Opfer von Kriegen.[5] Beides passt nicht zur Qualität von Demokratien, weder in der Theorie mündiger Bürger:innen, noch für die Qualität und Legitimation demokratischer Prozesse und Entscheidungen.

Damit stellt Krieg Demokratien vor eine ganze Reihe grundsätzlicher Herausforderungen: Die Gewährleistung ihrer Wehrhaftigkeit rüttelt an ihrem demokratischen Selbstverständnis. Die Gegenüberstellung von territorialer Integrität und demokratischer Qualität bildet einen schwierigen, um nicht zu sagen unmöglichen Zielkonflikt, dem nur mit sorgfältigem Abwägen zu begegnen ist. Politische Akteure können dem Ansinnen verfallen, ihre eigene politische Agenda als mit Kriegen verbundene Erfordernisse zu deklarieren und damit Kriege zur Durchsetzung ihrer Partikularinteressen missbrauchen, wobei sie gewissermassen als willkommenes Nebenprodukt auch noch ihre politischen Opponenten diskreditieren. Dies kann bis zur willkürlichen Einschränkung des demokratischen Diskurses gehen. Deswegen sind Äusserungen wie ‘der Krieg hat längst begonnen’ besonders dann mit grosser Vorsicht zu geniessen, wenn sie mit unmittelbaren politischen Erfordernissen in Bezug gebracht werden.[6]

Die Gewährleistung von Sicherheit gehört zu den grundsätzlichen Wesensmerkmalen von Staaten.[7] Aber Sicherheit ist und bleibt ein subjektives Konzept.[8] Daher sollten Demokratien insbesondere in Zeiten mit grösserem Bedrohungspotential darauf achten, ihre deliberativen Rahmenbedingungen zu wahren. Im Zeitalter der hybriden Kriegsführung und von Desinformationskampagnen ist dies nicht leichter geworden. Dem Notstand als Kontrollpolitik ist jedoch unbedingt vorzubeugen.[9]

In diesem Sinne sind Demokratien im Krieg doppelt gefährdet: Einerseits durch ihre äusseren Feinde, andererseits aber auch durch ihre inneren Feinde, die den Krieg und die mit ihm einhergehenden Besonderheiten instrumentalisieren, um die Funktionsbedingungen der Demokratie in Frage zu stellen. Umso wichtiger ist es, alle besonderen Massnahmen, die durch Kriege notwendig werden, auf demokratisch verankerte Verfahren abzustützen. Am besten ist es, wenn Demokratien getreu dem Verständnis des liberalen Friedens[10] dazu beitragen, Kriege möglichst erfolgreich vorzubeugen.


Referezen:

[1] Hegre, Håvard (2014). “Democracy and armed conflict”. Journal of Peace Research. 51 (2): 159–172. doi:10.1177/0022343313512852

[2] Mijnsen, Ivo: «Sind Krieg und Demokratie kompatibel? Die Verschiebung der Parlamentswahl zeigt: Es gibt für Kiew keine leichten Antworten». NZZ, 29.7.2023, https://www.nzz.ch/international/wahlverschiebung-in-der-ukraine-ist-demokratie-im-krieg-moeglich-ld.1749358

[3] Foray, Dominique :« New Interactions between Military and Civilian R&D: Propositions for a Swiss National Technology Strategy »  https://wissenschaftsrat.ch/blog/new-interactions-between-military-and-civilian-rd-propositions-for-a-swiss-national-technology-strategy , SWR 30.5.2025

[4] Richet, Charles und Rudolf Berger: «Der Krieg als Dummheit», Die Friedens-Warte, Vol. 22, No. 10 (Dezember 1920), pp. 310-318

[5] Erstmals soll Hiram Johnson im US-amerikanischen Senat 1918 diese Aussage gemacht haben. https://www.oxfordreference.com/display/10.1093/acref/9780199539536.001.0001/acref-9780199539536-e-2321

[6] Häsler, Georg: «Putin hat uns längst den Krieg erklärt», NZZ, 31.7.2025, https://www.nzz.ch/pro/russlands-kriegserklaerung-was-europa-jetzt-tun-muss-ld.1895342

[7] Artikel 2 der Bundesverfassung legt fest, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft die Freiheit und die Rechte des Volkes schützt und die Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes wahrt. https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de?ref=blog.michivonah.ch&print=true

[8] Wolfers, Arnold: «’National Security’ as an Ambiguous Symbol », Political Science Quarterly, 67 (4), 1952, 481-502. https://doi.org/10.2307/2145138

[9] Frankberg; Günter: «Im Ausnahmezustand», Kritische Justiz, 50 (1), 2017, 3-13.

[10] Doyle, Michael W. : « Three Pillars of the Liberal Peace », American Political Science Review, 99 (3), 2005, 463-466

 

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