Bevölkerungsrat präsentiert sechs Reformvorschläge zu Gesundheitsförderung und Prävention
Loïc Schwab
18th August 2025

Im Frühsommer 2025 kam der Bevölkerungsrat zu seinem Ende. Anlässlich einer Medienkonferenz präsentierte er sechs Reformvorschläge zur Gesundheitsförderung und Prävention, die in einem fünfmonatigen Prozess mit 100 zufällig ausgelosten Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz ausgehandelt wurden. Sie spiegeln wider, welche Reformen die Bevölkerung als besonders dringlich erachtet, um die Gesundheit zu fördern und langfristig die Gesundheitskosten zu senken.
Besonders hohe Zustimmung (87.5%) erhielt der Vorschlag, Gesundheitskompetenzen in allen Lebensphasen zu stärken – durch mehr Bildungsangebote und gezieltere Schulung von Fachpersonen, damit Menschen informierte Entscheidungen zu Ernährung, Bewegung und mentaler Gesundheit treffen können. Auch die Einführung eines nationalen Gesundheitsgesetzes wurde deutlich befürwortet (75%). Es soll dem Bund stärkere Kompetenzen in der Gesundheitsförderung und Prävention verleihen und eine bessere Koordination mit Kantonen und Gemeinden ermöglichen. Ergänzt wird dieser Vorstoss durch die Idee eines nationalen Kompetenzzentrums «Gesundheitsförderung und Prävention», das Wissen bündeln, innovative Projekte fördern und Akteurinnen und Akteure besser vernetzen soll.
Weiter sprach sich der Bevölkerungsrat für den Ausbau nationaler Informationskampagnen aus, die breitenwirksam für gesundheitsrelevante Themen sensibilisieren sollen. Unterstützt wurden auch Lenkungssteuern: Bestehende Abgaben auf Alkohol und Tabak sollen erhöht, auf Zucker neu eingeführt werden. Zudem sprach sich der Rat für schärfere Werbeverbote für nikotin- und alkoholhaltige Produkte aus. Diese sollen einen gezielten finanziellen Anreiz für gesündere Konsumentscheidungen setzen. Patrizia Cotti, Teilnehmerin aus Verscio (TI), meint: «Es war spannend zu sehen, wie unterschiedlich unsere Perspektiven waren – und wie wir gemeinsam zu tragfähigen Lösungen gekommen sind.»
Keine Mehrheit für Eingriffe in Wirtschaft und Arbeitswelt
Vier Vorschläge fanden im Rat keine Mehrheit – darunter die Abschaffung von Subventionen für Alkohol- und Tabakproduktion, die Weiterentwicklung und Stärkung eines Gesundheitslabels für Unternehmen, die Aufnahme zusätzlicher Präventivmassnahmen in die Grundversicherung sowie verbindliche Massnahmen zur Gesundheitsförderung durch Arbeitgebende.
Die verabschiedeten Reformvorschläge (PDF, 529 KB) zeigen: Die Bevölkerung wünscht sich mehr Aufklärung, stärkere politische Rahmenbedingungen und konkrete Massnahmen für eine gesunde Schweiz. Für Megane Favaretto, Teilnehmerin aus Bévilard (BE) steht fest: «Ich hoffe, dass unsere Vorschläge nicht einfach in einer Schublade verschwinden, sondern dass die Politik unsere Arbeit ernst nimmt». Daniel Kübler, Co-Initiator an der Universität Zürich, sagt: «Der Bevölkerungsrat zeigt eindrücklich, dass Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen fähig sind, sich in komplexe Themen einzuarbeiten – und gemeinsam mehrheitsfähige Lösungen zu finden, die auf Respekt und Dialog beruhen».
Alle zehn Reformvorschläge auf einen Blick
Bundesrätin Baume-Schneider würdigt das Engagement
Am 20. Mai 2025 endete der Bevölkerungsrat mit einer würdigen und inspirierenden Abschlussveranstaltung im Kornhausforum Bern. Über 100 geladene Gäste aus Politik, Wissenschaft und Verwaltung waren dabei, als Teilnehmende des Bevölkerungsrats ihre Ergebnisse präsentierten.
Zum Auftakt sprach Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ein Grusswort, in dem sie den Teilnehmenden ihren grossen Dank aussprach. Sie hob hervor, wie wichtig neue Formen der Bürgerbeteiligung für die Demokratie seien. «Die Idee des Bevölkerungsrats setzt ein wichtiges Zeichen in einer Zeit, in der Demokratien weltweit unter Druck stehen. In Zeiten, in denen man in Filterbubbles nur noch die eigene Meinung verstärkt erhält, wird der Dialog aktiv gesucht, auch mit Andersdenkenden. Mehr Demokratie wird also nicht nur gefordert, sondern auch praktiziert. Oder, wie man im Fall der Schweiz, dem Land der Volksabstimmungen, Initiativen und Referenden, wohl sagen darf: Noch mehr Demokratie», sagte Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider.
Teilnehmende berichten – und überreichen den Bericht
Im Zentrum des Abends standen die Stimmen der Teilnehmenden selbst: Nicolina Onofrei und Albert America schilderten den rund sechsmonatigen Prozess aus ihrer Perspektive. Anschliessend präsentierten Augusta Simoni-Bullo und Rebeca Meier die sechs Reformvorschläge, die in den Sitzungen gemeinsam ausgehandelt wurden. Dabei reichten die Themen von der Stärkung der Gesundheitskompetenz über einen gerechteren Zugang zur Versorgung bis hin zu strukturellen Fragen der Finanzierung und Qualitätssicherung. Im Anschluss überreichten die vier gemeinsam den Abschlussbericht an Bundesrätin Baume-Schneider – begleitet vom Applaus des Publikums.
Austausch und Einordnung
Im Anschluss wurde das Publikum selbst aktiv: Die Anwesenden tauschten sich mit ihren Nachbarn aus, begleitet von kurzen Umfragen per Smartphone. Dabei wurde deutlich: Die Ergebnisse stossen auf Interesse – und werfen wichtige Fragen auf, etwa zur Umsetzbarkeit und politischen Anschlussfähigkeit.
Diese Fragen wurden direkt im Anschluss auf dem Podium aufgegriffen. In einer engagierten Diskussion reflektierten Barbara Gysi (Nationalrätin SP), Benjamin Fischer (Nationalrat SVP), Giorgio Fonio (Nationalrat Die Mitte), Jörg Mäder (Alt-Nationalrat GLP) und Maya Graf (Ständerätin Grüne) über ihre Eindrücke und den Stellenwert der Ergebnisse. Besonders diskutiert wurde, wie die im Bericht enthaltenen Anliegen künftig in parlamentarische Debatten einfliessen könnten.
Das letzte Wort – und ein Anfang
Den Abschluss des Abends bildeten noch einmal die Teilnehmenden selbst: In einem letzten Gespräch blickten sie auf ihre Erfahrungen zurück und formulierten, was sie aus dem Prozess mitnehmen – und was sie der Politik und der Öffentlichkeit mitgeben möchten. Dabei wurde spürbar: Der Bevölkerungsrat hat nicht nur Reformvorschläge hervorgebracht, sondern auch bei den Beteiligten selbst etwas bewegt.
Zum Schluss fasste Andri Heimann vom Zentrum für Demokratie Aarau zentrale Erkenntnisse zusammen und betonte, dass mit dem Abschluss des Bevölkerungsrats nicht das Ende, sondern vielmehr der Beginn einer vertieften öffentlichen und politischen Auseinandersetzung mit den Ergebnissen markiert sei. Beim anschliessenden Apéro nutzten viele Gäste die Gelegenheit, Gespräche zu vertiefen und neue Kontakte zu knüpfen.
Das Projekt wurde von den Universitäten Zürich und Genf durchgeführt und vom Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) koordiniert. Es untersucht, ob und wie zufällig ausgeloste Bevölkerungsräte die demokratischen Debatten ergänzen können.
Bild: Abschlussveranstaltung Bevölkerungsrat, Fotografin: Caroline Krajcir, Zürich
Anmerkung: Dieser Artikel wurde von Raed Hartmann, DeFacto, bearbeitet.