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Gesetze werden politisch früh geformt

Zentrum für Demokratie Aarau
13th May 2025

Entsteht ein Gesetz, reden viele mit. Entgegen der Annahme, dies würde erst nach dem Entwurf eines Gesetzestextes geschehen, gibt es bereits in der frühen Phase der Gesetzgebung viele politische Kompromisse. Das zeigt die Dissertation von Raphael Capaul vom Zentrum für Demokratie Aarau in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Rechtsetzungslehre an der Universität Zürich und dem Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern.

Der Geburtsstunde eines Gesetzes geht viel Zeit und Arbeit voraus. Bis dieses zur Anwendung kommt, druchläuft es verschiedene Entwicklungsschritte, in denen die Interessen verschiedener Akteur:innen berücksichtig werden müssen. Ein Meilenstein in diesem Prozess ist es, wenn die Verwaltung vom Bundesrat den Auftrag erhält, einen Gesetzesentwurf auszuarbeiten. Viele Studien haben bereits untersucht, wie die politischen Entscheidungsprozesse nach dem Auftrag ablaufen. Es war bis jetzt jedoch wenig darüber bekannt, ob und wenn ja, welche politischen Dynamiken bereits vorher wirken. So geschehen etwa, als der Bundesrat im März 2012 das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) beauftragte, ein neues Finanzdienstleistungsgesetz zu entwerfen. Bereits im November 2010 hatte jedoch die Eidgenössiche Finanzmarktaufsicht (FINMA) einen Bericht mit Ideen zu einem allfälligen Gesetzgebungsprojekt publiziert. Bis Mai 2011 hat die FINMA relevante Anspruchsgruppen zum Bericht angehört, die entsprechende Kritik eingebunden und Ende Februar 2012 einen weiteren Bericht zur Stossrichtung des Projektes publiziert. Erst dann beantragte die Verwaltung dem Bundesrat, einen Gesetzgebungsauftrag zu erteilen. Am 28. März 2012 lag dieser schliesslich vor.

Frühe Kompromisse als Einzel- oder Regelfall?

Die Dissertation von Raphael Capaul hat diese noch wenig erforschten Phase vor dem Gesetzgebungsauftrag untersucht. Anhand von neun Fallstudien aus Finanz-, Migrations- und Raumplanungsgesetzgebung hat er mit qualitativen Daten aus der Schweizer Politik in den Jahren von 2011 und 2021 die Gesetzgebung auf nationaler Ebene untersucht. Im Fokus stand dabei die Frage, ob die frühe Berücksichtigung verschiedener Interessen Einzelfälle oder die Regel sind. Warum das relevant ist, formuliert Raphael Capaul so: «Wer die Agenda bestimmt, hat die Macht». Die Dissertation ist im Rahmen des Projekts «Faktoren guter Rechtsetzung» entstanden, das vom Zentrum für Demokratie Aarau mitgetragen wird.

Gesetzgebungsmacht von Bundesrat und Verwaltung geringer als angenommen

So ist denn auch die Haupterkenntnis, dass Bundesrat und Verwaltung – bevor überhaupt ein Gesetzestext entworfen wird – regelmässig bereits verschiedene Interessen aktiv einbinden. Ziel dieser Kompromisse ist es, zukünftige Vetopunkte zu antizipieren und dem Gesetzgebungsprojekt bessere Startchancen zu verschaffen. Dieses Vorgehen impliziert im Endeffekt: Die Gesetzgebungsmacht von Bundesrat und Verwaltung ist somit viel kleiner ist als bisher angenommen. Das bedeutet, so Raphael Capaul: «Es gibt keinen Grund, in das dystopische Klagelied über die mangelnde Qualität der Schweizer Gesetzgebung einzustimmen. Jene wissenschaftlichen Kriterien `guter` Gesetzgebung, welche sich mit der Auslösung von Gesetzgebungsarbeiten in Verbindung stellen lassen, sind erfüllt».


Quelle:

Capaul, Raphael (2025): Agenda Setting in der Schweizer Politik: Zur Auslösung von Gesetzgebungsarbeiten auf Bundesebene. Zürich-Genf: Schulthess Verlag.

Kontakt: Raphael Capaul: raphael.capaul@bluewin.ch.

Projekt «Faktoren guter Rechtsetzung»
Das Forschungsprojekt wird in Zusammenarbeit des Kompetenzzentrums für Public Management (KPM) der Universität Bern, des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA) und des Zentrums für Rechtsetzungslehre (ZfR), beide Universität Zürich. Das Projekt wird finanziert durch die Stiftung für schweizerische Rechtspflege. Webseite zum Projekt.

Über das ZDA
Das Zentrum für Demokratie Aarau ist ein wissenschaftliches Forschungszentrum, das von der Universität Zürich, der Fachhochschule Nordwestschweiz, vom Kanton Aargau und von der Stadt Aarau getragen wird. Es betreibt Grundlagenforschung und befasst sich mit aktuellen Fragen zur Demokratie – regional, in der Schweiz und weltweit. www.zdaarau.ch

Bild: Unsplash.com

Hinweis:

Dieser Artikel basiert auf folgender Medienmitteilung des Zentrums für Demokratie Aarau: Gesetze werden politisch früh geformt