Nate Silver oder Prof. Lichtman? Hochsaison für Prognosemodelle vor den US-Wahlen
Louis Perron
24th October 2024
Die Schlussphase des US-Wahlkampfs die Hochsaison für Experten und für Prognosespielchen. Denn diese Wahl ist in der Politik das, was die Fußballweltmeisterschaft oder die World Series für den Sport sind, nämlich der grösste, teuerste und am härtesten umkämpfteste Wettbewerb überhaupt. Folglich profitieren wir als Publikum von einer Vielzahl von Prognosemodellen.
Ich muss gestehen, dass ich es persönlich immer interessanter fand, mir Gedanken darüber zu machen, wie man eine Wahl gewinnt als den Ausgang vorherzusagen. Meine Aufgabe ist es denn auch, Kandidierende zu Präsidentinnen resp. Präsidenten zu machen. Wenn ich mich über ein Jahr mit einem Wahlkampf beschäftige, kann ich auch gut noch ein paar Tage länger warten, bis ich das Ergebnis kenne.
Dennoch wurde ich vor etwa zehn Jahren auf Nate Silver aufmerksam, als er in einem amerikanischen Wahlzyklus fast alle Senatswahlen richtig vorhersagte. Ein paar Jahre später ging sein Modell jedoch auch von einem Sieg Hillary Clintons aus und attestierte ihr eine Siegchance von etwa neunzig Prozent. Wir alle wissen, wie das Rennen ausgegangen ist. Zudem erinnere ich mich, dass er in einem Podcast, den ich vor vier Jahren hörte, damit argumentierte, dass die Idee des sogenannten “Secret Trump Voters” lächerlich sei. Joe Biden hat vor vier Jahren zwar gewonnen, allerdings deutlich knapper als in den Prognosen.
Die Trafalgar Group, ein republikanisches Meinungsforschungsinstitut, war eines der wenigen, die Trumps Anziehungskraft im Jahr 2020 nicht unterschätzt hatten. Sie lagen bei den Zwischenwahlen 2022 aber weit daneben und unterschätzten die Demokraten.
Das Herzstück und die Essenz der Meinungsforschung sind Zufallsstichproben, die man aber im amerikanischen Kontext kaum wirklich ziehen kann. Folglich sind die Rohdaten für Prognosemodelle sehr stark gewichtet und manche Meinungsforschende in den USA arbeiten mit sehr kleinen Stichprobengrössen. Ich halte es daher für eher unklug, sich mit den Durchschnittswerten von allen Meinungsumfragen zu befassen.
Auch wenn ein Prognosemodell einmal ins Schwarze trifft, glaube ich nicht, dass es irgendeine Art von Umfrage gibt, die das Ergebnis dieser Wahl immer exakt vorhersagen kann. Wir müssen daher mit der Tatsache leben, dass es ein sehr knappes Rennen wird – es sei denn, die Tatsache, dass Trump in früheren Modell unterschätzt wird, wird nicht überkompensiert.
Was die Modelle betrifft, die sich auf die Grundlagen konzentrieren, so zitiere ich in meinem Buch Beat the Incumbent ausführlich Prof. Lichtmans “Schlüssel zum Weissen Haus”. Er passt sein Modell sozusagen den Umstände an, und ich würde behaupten, dass einige der Faktoren direkt vom jeweiligen Wahlkampf abhängen. Im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl 2024 befürchte ich, dass die starke Inflation in den USA in den Prognosen nicht stark genug berücksichtig wird.
Was ich damit sagen will, ist, dass es für mich nicht darum geht, ein Modell oder einen Ansatz einem anderen vorzuziehen. Verschiedene Ansätze führen zu unterschiedlichen Ergebnissen, und es liegt an uns, das Beste daraus zu machen. Jeder Ansatz für ein Prognosemodell hat seine Vorzüge und seine Schwächen. Meiner Meinung nach sind die Modelle wahrscheinlich nicht so gut, wie man meint, wenn sie richtig liegen. Aber sie sind auch nicht so schlecht, wie alle (in den sozialen Medien) behaupten, wenn sie völlig daneben liegen.
Referenz
- Lichtman, Allan (1996). The keys to the White House : a surefire guide to predicting the next president. Lanham: Madison Books.
- Perron, Louis (2024). Beat the incumbent. Proven Strategies and Tactics to Win Elections. New York: Radius Book Group.
Bild: ChatGPT