1

Besser informiert dank anderer Stimmberechtigter im Kanton Aargau

Daniel Kübler, Andri Heimann
29th Februar 2024

Wenn eine Gruppe zufällig ausgeloster Personen für ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger Informationen zu einer Abstimmungsvorlage aufbereitet, verstehen die anderen die Vorlage deutlich besser. Sie informieren sich zudem unabhängiger und profitieren von der Denkarbeit anderer Bürgerinnen und Bürger. Die Stimmbeteiligung erhöht sich aber nicht. Das zeigt das Projekt Demoscan des Zentrums für Demokratie Aarau. 

Den Schweizer Stimmberechtigten steht vor jeder Abstimmung ein ganzer Strauss an Möglichkeiten für die Meinungsbildung zur Verfügung, vom Abstimmungsbüchlein bis zur Zeitung. Was geschieht aber, wenn sich Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ihre Meinung auch noch anders bilden? Zum Beispiel mit einem kompakten Abstimmungsflyer von zufällig ausgelosten Personen? Genau das hat das Projekt «Demoscan Aargau» untersucht. Nun liegen die Ergebnisse vor. 

 Was ist Demoscan Aargau?

Demoscan Aargau ist ein wissenschaftliches Projekt, das zum Ziel hat, die Meinungsbildung bei schweizerischen Abstimmungen zu verbessern. Dazu haben sich 21 ausgeloste Personen aus dem Kanton Aargau an zwei Wochenenden im Frühling 2023 getroffen. Sie haben sich im Rahmen der kantonalen Volksabstimmung vom 18. Juni 2023 über die Volksinitiative «Klimaschutz braucht Initiative! (Aargauische Klimaschutzinitiative)» beraten. Dabei haben sie Expertinnen und Experten sowie Befürworterinnen und Gegner der Vorlage angehört, intensiv diskutiert und konstruktiv miteinander gestritten. Das Ergebnis hat die Gruppe in einem vierseitigen, dem sogenannten Demoscan-Flyer, in einfacher Sprache und ohne konkrete Abstimmungsempfehlung festgehalten. Dieser Flyer wurde an die Stimmberechtigten von Aarau und Safenwil gleichzeitig mit den herkömmlichen Abstimmungsvorlagen, aber in einem anderen Couvert, verschickt. 

Das Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich und das Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) haben das Projekt wissenschaftlich begleitet und nach der Abstimmung vom 18. Juni 2023 eine repräsentative Bevölkerungsbefragung im Kanton Aargau durchgeführt. Besonders berücksichtigt wurden Aarau und Safenwil als Testgemeinden sowie Baden und Muhen als Vergleichsgemeinden.

Wenn das Sachverständnis steigt und die politische Einstellung zweitrangig wird

Die Resultate der Bevölkerungsbefragung zeigen, dass der Demoscan-Flyer insgesamt eher wenig Aufmerksamkeit erhalten hat. Nur 37 Prozent der Befragten in Aarau und Safenwil gaben an, den Demoscan-Flyer gesehen zu haben. Wer hingegen den Flyer genutzt hatte, wies ein besseres inhaltliches Verständnis der Abstimmungsvorlage auf. Ausserdem war bei dieser Gruppe der Einfluss der politischen Einstellung auf das Vorlagenverständnis geringer. Andri Heimann, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim ZDA erklärt den zweiten Punkt so: «Je nachdem, aus welchem politischen Lager eine Volksinitiative kommt, setzen sich die Stimmberechtigten mehr oder weniger damit auseinander. Bei der Aargauischen Klimaschutzinitiative, die unter anderem von SP und Grünen lanciert wurde, zeigt unsere Befragung, dass eher links eingestellte Personen besser über die Vorlage Bescheid wussten als eher rechts eingestellte Personen. Unter denjenigen, die den Demoscan-Flyer nutzten, konnten wir hingegen keinen Effekt der politischen Einstellung feststellen.» Die Befragten informierten sich also dank des Demoscan-Flyers unabhängig von ihrer politischen Einstellung ausgewogen über die Abstimmungsvorlage. 

Demoscan-Flyer als Chance für mehr sachliche Auseinandersetzung 

Ein weiteres Resultat der Studie zeigt: Verglichen mit Baden und Muhen haben sich die Stimmberechtigten von Aarau und Safenwil, die den Demoscan-Flyer berücksichtigt haben, besser informiert gefühlt. Ausserdem haben sie sich stärker mit der Abstimmungsvorlage auseinandergesetzt. Daniel Kübler, Projektleiter von Demoscan Aargau, ordnet das so ein: «Unsere Resultate zeigen, dass der Demoscan-Flyer der Stimmbevölkerung einen niederschwelligen Zugang zu einer Abstimmungsvorlage ermöglicht. Ausserdem führt er dazu, dass sich die Stimmberechtigten stärker mit den Argumenten von beiden Seiten auseinandersetzen. Je mehr Stimmberechtigte mit dem Demoscan-Flyer in Kontakt kommen, entsprechend höher ist der Mehrwert für die öffentliche Meinungsbildung.» Die Studie zeigt aber auch, dass der Demoscan-Flyer nicht zu einer höheren Stimmbeteiligung in Aarau und Safenwil beigetragen hat. 

Teilnehmende näher an Demokratie

Und welche Erfahrungen haben die 21 ausgelosten Personen gemacht? Eine Teilnehmerin bringt ihre Erfahrung folgendermassen auf den Punkt: «Das Projekt Demoscan Aargau war für mich eine starke persönliche Erfahrung, die ich nicht missen möchte. Auch im Rahmen der Erforschung von mir selber. War ich jetzt eben zu dominant? War da jetzt eben etwas Arroganz? Bin ich bereit, andere Meinungen wirklich zuzulassen und anzunehmen? Was bedeutet Demokratie?». 

 


Referenz:

  • Heimann, Andri; Gut, Robin; Veri, Francesco; Kübler, Daniel, Stojanović, Nenad (2023): Demoscan Aargau, Schlussbericht. Studienberichte des Zentrums für Demokratie Aarau, Nr. 26. Aarau. 

 

Für Medienauskünfte:

Daniel Kübler, Professor für Politikwissenschaft, ZDA, 078 815 67 60 

Andri Heimann, wissenschaftlicher Mitarbeiter, ZDA, 079 819 57 65 

 

Bild: Teilnehmende am Projekt «Demoscan Aargau», die sich während zwei Wochenenden intensiv mit der Aargauischen Klimaschutzinitiative auseinandergesetzt haben (©ZDA).