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Herr Vatter, wer wird neuer SP-Bundesrat?

Adrian Vatter, Redaktion DeFacto
6th Dezember 2023

Am Mittwoch, den 13.12.2023, wird die Vereinigte Bundesversammlung den Bundesrat für die nächsten vier Jahre wählen. Die sechs bisherigen Bundesrätinnen und Bundesräte dürften ihre Wiederwahl schaffen. Spannender ist, welcher SP-Politiker als Nachfolger von Alain Berset gewählt wird. Adrian Vatter beantwortet die wichtigsten Fragen dazu.

Welche ist die wichtigste Voraussetzung, um als Bundesrat gewählt zu werden?

Adrian Vatter: Die wichtigste Voraussetzung ist neben der richtigen Parteizugehörigkeit die aktive Mitgliedschaft des Wahlkörpers. National- und Ständeräte wählen fast nur ihresgleichen in die Regierung. Aussenstehende haben es sehr schwer, gewählt zu werden, da ihnen das Netzwerk und die persönlichen Kontakte in der Bundesversammlung fehlen.

Welche Kandidierende werden vom Parlament am ehesten in den Bundesrat gewählt, die kompetenteste, die beliebteste oder die umgänglichste Person?

In Bezug auf das wichtigste Charaktermerkmal, welche für die Parlamentsmitglieder bei der Wahl eines neuen Bundesratmitglieds entscheidend ist, gibt es eine eindeutige empirisch abgestützte Antwort: Verträglichkeit steigert nicht nur die Nominations‑, sondern auch die Wahlchancen. Am Wahltag erhalten die Lieben und Netten die meisten Stimmen. Die jüngsten Erfolge der fröhlichen Elisabeth Baume-Schneider auf Kosten der kühl wirkenden Eva Herzog sowie des immer freundlichen Albert Rösti bestätigten einmal mehr die Verträglichkeitsthese.

Welche Eigenschaften muss ein Bundesratsmitglied mitbringen? 

Aufgrund der Art und Weise wie unsere Regierung organisiert ist, gibt es vier wichtige Eigenschaften für einen Bundesrat. Erstens braucht man eine gewisse Verträglichkeit und Umgänglichkeit, sonst funktioniert das Kollegialitätsprinzip nicht. Zweitens ist Durchsetzungsvermögen wichtig, weil man ja auch ein Departement leitet mit teilweise tausenden Mitarbeitenden. Drittens muss man Kommunikationskompetenz und Empathie mitbringen, weil man das Volk und die Kantone in komplexen Sachfragen überzeugen muss. Was es natürlich auch braucht, vielleicht das Wichtigste überhaupt: „eine dicke Haut“. So sticht nach wie vor ein verbindendes Wesensmerkmal der Schweizer Staatsführung ins Auge: Bundesratsmitglieder weisen auffällig stark Charakterzüge auf, die den Eigenschaften des sogenannten «resilienten Persönlichkeitstyps» entsprechen: eine sehr hohe Belastbarkeit. Bundesrätinnen und Bundesräte besitzen eine sehr hohe psychische Widerstandsfähigkeit, die es diesen unter permanentem Druck stehenden Menschen auch nach Rückschlagen, Angriffen und Niederlagen erlaubt, rasch wieder aufzustehen und weiterzumachen. Schliesslich verlangt ein Kollegium mit sieben gleichberechtigten Mitgliedern weiter vor allem auch Eigenschaften wie Teamfähigkeit, Kompromissbereitschaft und Konzilianz, während eigenwillige und dominante Einzelgänger darin kaum Platz finden.

Worin unterscheiden sich die beiden von der SP nominierten Kandidaten? Wo sehen Sie Vor- und Nachteile für die beiden?

Die SP stellt zwei starke Kandidaten mit unterschiedlichen Profilen auf. Das heisst, dass sie der Bundesversammlung tatsächlich eine Auswahl bietet. Weniger in Bezug auf die politische Haltung, sondern mehr im Hinblick auf ihre Herkunft und ihren Erfahrungshorizont. Beat Jans bringt kantonale Exekutivführung- und langjährige Nationalratserfahrung mit. Er ist ein sicherer Wert. Zudem kommt er aus einer Region, die seit Jahrzehnten nicht mehr im Bundesrat vertreten ist. Jon Pult ist ein Kommunikationstalent und würde dafür sorgen, dass der Bundesrat sichtbar verjüngt und damit die Interessen der jüngeren Generation vertreten würde. Nachteil für beide: bei der mächtigen Bauernlobby sind sie beide ein rotes Tuch.

Wieso wird eigentlich Daniel Jositsch und nicht Evi Allemann oder Roger Nordmann von vielen Medien als viel qualifizierter betrachtet?

Philip Loser hat im Tages Anzeiger darauf eine sehr aufschlussreiche Antwort gegeben: „Jositsch ist ein Musterbeispiel für eine wechselseitige Projektion: Die (Zürcher) Medien schrieben dem Zürcher Ständerat und Rechtsprofessor seit Jahren eine fast schon übermenschliche Kompetenz zu. Nur sind diese übermenschlichen Fähigkeiten von Daniel Jositsch tatsächlich nachgewiesen?“ Mit anderen Worten: käme Jositsch nicht aus der Stadt Zürich, wo die wichtigsten Leitmedien der Schweiz sitzen, wäre er auch nicht so idealisiert worden.

Hat es Sie überrascht, dass es Evi Allemann nicht auf das SP-Ticket geschafft hat?

Ja, weil die SP-Fraktion der selbstdeklarierten Gleichstellungspartei mehrheitlich aus Frauen besteht.

Kann sich eine dritte Person Chancen auf den SP-Sitz im Bundesrat ausrechnen?

Nein.

Die Grünen wollen den bisherigen FDP-Bundesrat Ignazio Cassis angreifen. Haben sie mit diesem Vorhaben eine Chance? 

Um als Bundesrat gewählt zu werden, benötigt man 124 Stimmen. Es geht also nicht ohne Allianzpartner. Für die Grünen reicht es nicht, wenn sie nur die SP an ihrer Seite hat. So lange die Mitte sich nicht bereit erklärt, den Angriff der Grünen zu unterstützen, ist die Rechnung einfach: Die Stimmen kommen nicht zusammen. Die Grünen machen mit dieser Kandidatur aber ihren Anspruch geltend und weisen darauf hin, dass eine wichtige gesellschaftliche Kraft nicht im Bundesrat vertreten ist.

Der Historiker Urs Altermatt hat die Idee eines rotierenden Bundesratssitzes zwischen Mitte und FDP ins Spiel gebracht. Was halten Sie von dieser Idee?

Die Parteien sind ähnlich stark, das spricht für diese Variante. Ich sehe aber zwei Einwände: Erstens ist das praktisch nicht so einfach umsetzbar. Zweitens: Wenn das Ziel eine möglichst faire und gerechte Vertretung der politischen Kräfte ist, dann müsste der siebte Sitz nicht an eine dieser Parteien gehen, die mit weniger als rund 15 Prozent Wähleranteil eigentlich Anspruch auf nur einen Sitz haben – sondern eher an die Partei, die knapp 10 Prozent hat, nämlich die Grünen. 

Wie wichtig ist die regionale Zugehörigkeit eines Kandidaten für die Wahl in den Bundesrat?

In den letzten Jahren hat der regionale Aspekt tendenziell an Bedeutung verloren. Andere Faktoren wie das Persönlichkeitsprofil, das Geschlecht und die politische Position sind wichtiger geworden. Nach der überraschenden Nichtwahl von Eva Herzog wird zwar beim einen oder anderen reinspielen, dass man Basel das letzte Mal desavouiert hat und dass die zweitstärkste Wirtschaftsregion der Schweiz vielleicht auch einmal zum Zug kommen sollte. Ich würde aber nicht sagen, dass das der entscheidende Punkt sein wird. Bei Beat Jans sind es andere Faktoren, die für ihn sprechen, vor allem seine Exekutiverfahrung und seine langjährige Erfahrung als Nationalrat.

Beat Jans oder Jon Pult: Wer hat die besseren Chancen gewählt zu werden?

Im Gegensatz zu früheren Wahlen sehe ich keinen eindeutigen Favoriten. Im Moment sehe ich leichte Vorteile für Beat Jans, aber ich traue Jon Pult zu, dass er bei den Hearings punkten kann.



Adrian Vatter

Adrian Vatter studierte und promovierte an der Universität Bern. Nach Stationen an verschiedenen Universitäten, darunter auch in den USA und Deutschland, ist er seit 2009 Professor für Schweizer Politik und seit 2022 Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät an der Universität Bern. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der politischen Institutionen der Schweiz mit Fokus auf dem Föderalismus, der direkten Demokratie und der Konkordanzdemokratie. Er ist Autor des Buchs „Der Bundesrat. Die Schweizer Regierung“, NZZ Libro (2020).

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