1

«Baselvotes» gibt Basler Volksabstimmungen seit 1875 eine Plattform

Eva Gschwind
26th Oktober 2023

Basel-Stadt nimmt in der Schweizer Demokratieforschung keinen prominenten Platz ein. Der Stadtkanton war ein direktdemokratischer Nachzügler. Dazu ist er ein statistischer Sonderfall, denn kantonale Abstimmungen und Abstimmungen der Stadt Basel sind deckungsgleich. Nicht zuletzt deshalb nehmen die Baslerinnen und Basler bezüglich Nutzung der Volksrechte längst einen Spitzenplatz ein. Und nie sind mehr Volksinitiativen zur Abstimmung gekommen als in den letzten Jahren. Nachschlagen und selbst analysieren lässt sich dies, und vieles mehr, auf www.baselvotes.ch.

Selbstverständlich lehnt sich der Name «baselvotes» an «swissvotes» an. Während letztere Plattform seit Jahren eine umfassende Übersicht über alle nationalen Volksabstimmungen bietet, suchten Politikinteressierte eine solche für Basel-Stadt bis vor kurzem vergebens; die kantonalen statistischen Jahrbücher beginnen erst 1921. Nun lassen sich sämtliche über 600 Basler Volksabstimmungen und Resultate seit 1875 tabellarisch rasch abrufen, inklusive der Urheberschaft von Initiativen und Referenden, den Parolen wichtiger Akteure und einem inhaltlichen Kurzbeschrieb. Die auf baselvotes veröffentlichten Daten bilden die Grundlage des Buchs «Auf zur Urne!» (2022), das die Geschichte der Basler Lust an Mitbestimmung erstmals umfassend erzählt.

Respektable Erfolgsbilanz der «Politik von unten»

Die Basler – und seit 1966 endlich auch die Baslerinnen – haben bisher 184 Volksinitiativen und 304 fakultative Referenden an die Urne gebracht (1875­–2022). Die Erfolgsquote beträgt bei den Initiativen 37% und bei den fakultativen Referenden 40%.

Beide Instrumente werden bis Mitte des 20. Jahrhunderts klar stärker – und erfolgreicher – von der bürgerlichen Seite genutzt. Zu einer ersten Häufung kommt es in den stark polarisierten 1920er bis 1940er Jahren, die durch den Bruderzwist von SP und Kommunisten, 15 Jahre ‹rotes Basel›, die Wirtschaftskrise und den Zweiten Weltkrieg geprägt waren. In den 1980er und 1990er Jahren kommt es zu einem markanten Wandel, als links-grüne Akteure die Volksrechte geradezu okkupieren. Seit dem Rückzug der Linksaussenparteien Progressive Organisationen Basel (POB) und Partei der Arbeit (PdA) verteilt sich die Nutzung der Volksrechte in Basel-Stadt wieder breiter. Unter dem Strich lassen sich mehr Volksinitiativen dem rot-grünen Lager zuordnen, das Referendum etwas häufiger dem bürgerlichen Lager.

Nie sind mehr Volksinitiativen zur Abstimmung gelangt als im vergangenen Jahrzehnt. Dies zeigt die ungebrochene Popularität der Volksinitiative. Es lässt sich aber auch als geringer Kompromisswille der Initianten deuten – oder von Regierung und Parlament. In neun Fällen legte der Grosse Rat in diesem Zeitraum einen Gegenvorschlag vor, das Komitee liess sich jedoch nicht auf einen Rückzug seiner Initiative ein.

Abbildung 1. Erfolgsquote Volksinitiativen

Abbildung 2. Erfolgsquote Referenden

Impulsgeber und Schrittmacher

Die Basler Stimmberechtigten haben sich immer wieder als Impulsgeber und Schrittmacher erwiesen. In den ersten Jahrzehnten dominierten Fragen der Stadtentwicklung und der demokratischeren Kräfteverhältnisse (z.B. Proporzwahl). Ab den 1920er Jahren kamen sozialpolitische Forderungen hinzu. So gehen die erste Altersrente und das erste Feriengesetz auf eine Volksinitiative zurück. Im Zuge von Modernisierung und Bevölkerungswachstum rückte schliesslich ab den 1960er Jahren die Umwelt in den Vordergrund. Die AKW-kritischen Baslerinnen und Basler erzwangen eine alternative Energiepolitik und insgesamt wieder mehr städtische Lebensqualität: von der Umgestaltung der autogerechten zur verkehrsberuhigten Stadt, vom Erhalt von Grünflächen bis zu geschütztem und bezahlbarem Wohnraum.

In jüngster Zeit führte Basel-Stadt per Volksinitiative als erster Deutschschweizer Kanton einen Mindestlohn ein und gab sich das ehrgeizige Zieljahr 2037 zur Erreichung der Klimaneutralität. In beiden Fällen nahm die Stimmbevölkerung den Gegenvorschlag des Parlaments an. Der Stadtkanton ist bei Initianten auch als Einfallstor für neue ethische Anliegen ins Visier gerückt. So wollte die «Primaten-Initiative» weltweit erstmals Grundrechte für Tiere durchsetzen. Wo die Pharmaindustrie und der Zoo bedroht scheinen, blocken allerdings auch die Baslerinnen und Basler ab.

Statistischer Sonderfall

Die Basler Bevölkerung arrangierte sich lange auch ohne Mitsprache ganz gut mit der wohltätigen konservativen Oberschicht der Burckhardts, Merians oder Sarasins. Erst 1875 fand der Stadtkanton dank der Freisinnigen zur direkten Demokratie, als fünftletzter Kanton.1 Dann machten die Stimmbürger von den neuen Rechten rasch Gebrauch, zumal die Verfassungsgeber den Kanal weit fassten. Wer genauer hinschaut, erkennt, dass manche Abstimmungsgegenstände nur die Stadt betrafen. Da die Stadt Basel seit 1875 keine eigenen Verwaltungsstrukturen mehr hat, mussten viele Vorlagen kantonal entschieden werden, die in anderen Kantonen kommunale Angelegenheit sind: von Quartierplanungen bis zum städtischen Parkplatz- und Abfallregime.

Das lässt bereits vermuten, dass Basel-Stadt im schweizerischen Vergleich eine hohe Anzahl kantonaler Volksabstimmungen aufweist. Dazu kommen weitere Einflüsse. So entwickelten sich aus der heterogenen Stadtgesellschaft heraus viele Parteien, und sie alle griffen zu den Volksrechten. In anderen Kantonen kam es dafür zu mehr angeordneten Volksabstimmungen; Basel-Stadt kannte nie ein obligatorisches Gesetzes- oder Finanzreferendum.

Spitzenreiter beim Unterschriftensammeln – alarmierend tiefer Anteil Stimmberechtigter

Unter dem Strich rangiert Basel-Stadt bezüglich der Anzahl Abstimmungsvorlagen im ersten Drittel, aber nicht zuvorderst, wie der Datensatz des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Bern für die letzten vierzig Jahre zeigt. Den Spitzenplatz nimmt der Stadtkanton beim Unterschriftensammeln ein. Am meisten Volksinitiativen reichte zwar der Kanton Zürich ein, Basel-Stadt schwingt jedoch unangefochten bei den fakultativen Referenden oben aus.2

Basel-Stadt, im 19. Jahrhundert am Rande der demokratischen Bewegung, hat sich zu einem munteren und spannenden Mitspieler der direkten Demokratie entwickelt. Akut stellt sich für den Stadtkanton indes die Frage, ob und wie weit er die Mitsprache öffnen soll. Der Anteil der Stimmberechtigten sinkt nämlich stetig und liegt inzwischen unter 52 Prozent – bald könnte die Bevölkerungsmehrheit (wieder) von politischen Entscheiden ausgeschlossen sein.


Referenzen:

1 Vatter, Adrian: Kantonale Demokratien im Vergleich, Bern 2002, S. 238.

2 https://www.ipw.unibe.ch/forschung/political_data_on_the_swiss_cantons/index_ger.html