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Zwischen Pariser Abkommen und direkter Demokratie: Wann sind klimapolitische Abstimmungsvorlagen erfolgreich?

Isabelle Stadelmann-Steffen, Sophie Ruprecht
23rd September 2022

Die Schweiz mit ihren direktdemokratischen Institutionen steht für eine konsensuale Politik, die zwar durch kleine Schritte, dafür aber durch eine hohe Legitimität gekennzeichnet ist. Auch die kleinen Schritte, so wird oft gesagt, sind nicht unbedingt ein Problem, weil sie sozusagen stetig in die gleiche Richtung gehen, während beispielsweise in stärker mehrheitsgeprägten Systemen eine neue Regierung Reformen wieder umkehren kann. Allerdings: Was, wenn es schnell gehen muss? Dieser Beitrag basiert auf einer Studie, welche die Erfolgsfaktoren von umweltpolitischen Abstimmungen seit 1983 untersucht.

Die Schweiz hat sich wie die meisten anderen Staaten im Rahmen des Pariser Abkommens zu klimapolitischen Zielen verpflichtet, deren Umsetzung eine nicht nur technologische, sondern vor allem auch politische Herausforderung darstellt (Stadelmann-Steffen & Dermont 2018; Wicki et al. 2019; Carattini et al. 2018). Der geforderte rasche und weitreichende Wandel scheint in einem Widerspruch zu stehen mit der von der direkten Demokratie geprägten konsensualen Politik der kleinen Schritte. Die bisherige Forschung hat diesbezüglich festgestellt, dass es gerade relativ weitreichende Massnahmen im direktdemokratischen Kontext der Schweiz schwer haben (Stadelmann-Steffen et al. 2018; Carattini et al. 2017). Unsere Studie widmet sich der Frage, unter welchen Bedingungen effektive klimapolitische Vorlagen im direktdemokratischen Kontext erfolgreich sind, sprich einen hohen Ja-Anteil an der Urne erreichen.[1] Der Begriff «effektiv» wird dabei nicht konkret in Bezug auf eine (getestete) Wirksamkeit von bestimmten Massnahmen verstanden, sondern soll lediglich die Annahme betonen, dass für die Erreichung der klimapolitischen Ziele Massnahmen nötig sind, die über «kleine Schritte» oder rein freiwillige und informationsbasierte Steuerungsinstrumente (Howlett 2005) hinausgehen.

Während sich aktuell viele Forscher:innen mit der Unterstützung «grüner» Policies und vor allem mit ökologischen Steuern[2] beschäftigen und dabei den Fokus auf die Ebene der Individuen legen (z.B. Beiser-McGrath & Bernauer 2019; Carattini et al. 2017, 2018; Mildenberger et al. 2022; Rausch und Karplus 2014), nehmen wir eine Aggregatperspektive ein. Im Zentrum der Analyse stehen nationale Abstimmungsvorlagen der letzten 40 Jahre, die klimapolitisch relevante Aspekte beinhalten. Damit untersuchen wir im Gegensatz zu den meisten umfragebasierten Studien nicht hypothetisches Verhalten, sondern tatsächliche Entscheidungsprozesse. Wir interessieren uns dabei für Themen, Inhalte und Steuerungsmechanismen sowie dahinterstehende Koalitionen der Abstimmungsvorlagen und ergründen, inwiefern diese Faktoren mit der Akzeptanz dieser Vorlagen an der Urne korrelieren. Im Vergleich zu früheren ähnlichen Analysen (Bornstein & Lanz 2008; Stadelmann-Steffen 2011) integrieren wir den jüngeren Zeitraum, in dem Themen wie der Klimawandel oder die Biodiversität stark an Bedeutung gewonnen haben. Wir stützen uns auf eine vergleichende Analyse umweltpolitischer Abstimmungen auf nationaler Ebene in der Schweiz zwischen 1983 und 2021 anhand der Daten von Swissvotes (2021).

Direkte Demokratie kann theoretisch effektive Umweltpolitik sowohl hemmen wie fördern

Gemäss dem Public-Choice-Ansatz geht es bei der Einführung von umweltschützenden Massnahmen grundsätzlich um die Abwägung von kurzfristigen Kosten, welche für das Individuum oder die Wirtschaft entstehen, gegenüber dem langfristigen Nutzen in Form von nachhaltig gesteigerter Umweltqualität (Kirchgässner & Schneider 2003; Shum 2011; Stadelmann-Steffen & Dermont 2018). Aufgrund der Klassifizierung des Umweltschutzes als öffentliches Gut und der damit einhergehenden Trittbrettfahrerthematik hat dessen Bereitstellung seit jeher zu Allokationsproblemen geführt. [3] Da Massnahmen zum Schutz von Umwelt und Klima von der Bevölkerung mittels Steuerzahlungen und anderen staatlichen Abgaben finanziert werden oder anderweitige Einschränkungen in Kauf genommen werden müssen, dürfte die Bevölkerung nur jene Massnahmen zum Schutz der Umwelt billigen, welche den persönlichen Nutzen erhöhen (Priddat 2008). Dieses Argument scheint im direktdemokratischen Kontext besonders wichtig zu sein, weil die Bevölkerung damit oft bei der Zustimmung zu umweltpolitischen Vorlagen kurzfristige persönliche Kosten akzeptieren muss. Faktoren wie die Auswahl der Policy-Instrumente, deren Reichweite und die Frage, inwiefern diese für Individuen und Haushalte sicht- und spürbar sind, können diese Kosten-Nutzen-Abwägung und somit den Abstimmungserfolg einer umweltpolitischen Vorlage beeinflussen.

Eine zweite Perspektive zur Erklärung des Abstimmungserfolgs von umweltpolitischen Vorlagen argumentiert, dass eine reine Kosten-Nutzen-Abwägung, wie sie in der Public-Choice-Debatte vorzufinden ist, oftmals zu kurz greift: Elemente des politischen Prozesses sowie ideologische Aspekte (z.B. bestimmte Einstellungen) können eine ebenso zentrale Rolle einnehmen, indem sie beeinflussen, was schlussendlich das Resultat politischer Konflikte und Aushandlung ist. Die Umweltschutzthematik selbst und damit auch die Akzeptanz entsprechender Policies ist stark ideologisch geprägt (Bornstein & Lanz 2008). Aus dieser Perspektive wurden in den Analysen deshalb der Unterstützungsgrad einer Vorlage in der politischen Elite, der Konfliktgrad und die Frage, wie stark eine Vorlage auf Umwelt und Klima abzielt, als Variablen integriert, die den Erfolgsgrad einer Vorlage beeinflussen können.

Daten und Methode
Die verwendeten Daten stammen in erster Linie von Swissvotes (2021). Da Umweltschutz und Umweltpolitik in der Schweiz vor allem seit der Waldsterbedebatte der 1980er Jahre ein zunehmend wichtiges politisches Thema darstellen, wählten wir als Untersuchungszeitraum die Jahre 1983  bis 2021. Mittels Schlagwortsuche in der Swissvotes-Datenbank identifizierten wir jene 57 Vorlagen im Untersuchungszeitraum, deren Inhalte einen Bezug zu den Themen Umwelt, Klima oder Energie hatten (siehe Tabelle G1 im Online-Anhang).[4] Die Swissvotes-Daten wurden zudem durch weitere Informationen zu den einzelnen Vorlagen bzw. zum Kontext der Abstimmung ergänzt. So wurden das BIP[5] sowie die Parteistärke der Grünen Partei der Schweiz[6] im Jahr der Abstimmung vom Bundesamt für Statistik bezogen. Weitere zentrale unabhängige Variablen kodierten wir basierend auf dem Abstimmungsbüchlein zu den Abstimmungen selbst.

Zur Auswertung der gestellten Forschungsfrage bedienen wir uns der Bayesianischen Regressionsanalyse, welche die unbekannten Parameter anhand von Wahrscheinlichkeitsverteilungen schätzt. Im Vergleich zu herkömmlichen frequentistischen Methoden baut die Bayesianische auf der Annahme bereits existierender Informationen auf, welche anschliessend mit den vorhandenen Daten aktualisiert werden (vgl. Jackman 2009; Koch 2007). Dieser Ansatz bietet sich insbesondere in Anwendungen an, welche sich wie die unsrige auf relativ kleine Fallzahlen stützen und nicht auf Zufallssamples aus einer grösseren Grundgesamtheit basieren.

Die Ergebnisse: ein bisschen von beidem

Unsere Ergebnisse (Abbildung 1) stützen zunächst die prominente Public-Choice-These, wonach die Kosten umweltpolitischer Massnahmen ein Grund für die Bevölkerung sind, diese abzulehnen. Unsere Analyse präzisiert die politische Rolle dieser Kosten, indem sie aufzeigt, dass die Sichtbarkeit der Kosten und damit die direktdemokratische Hürde besonders hoch ist, wenn eine Vorlage direkt Verhaltensänderungen impliziert oder einen Alltagsbezug aufweist. Hingegen haben es abstraktere, stärker auf Ziele und Strategien ausgerichtete Vorlagen leichter, die direktdemokratische Hürde zu überspringen. Analoge Muster zeigen sich auch in Bezug auf den Instrumententyp: Während die Kostendimension bei Steuern besonders offensichtlich ist und entsprechende Massnahmen mit einem geringeren Erfolg an der Urne einhergehen, weisen Vorlagen, die Verbote oder Subventionen enthalten, in der Tendenz eine höhere Zustimmung auf. Dabei sind Letztere oft nicht tatsächlich «billiger» als Steuern, werden aber so wahrgenommen (Stadelmann-Steffen 2011). Ein wenig überraschender Befund ist zudem, dass stärker vom Status Quo abweichende Vorlagen einen geringeren Erfolgsgrad an der Urne aufweisen. Dies lässt sich auch in die Public-Choice-Perspektive einordnen: Die Kosten ergeben sich bei weitreichenden Massnahmen nicht zuletzt aus der daraus resultierenden Unsicherheit und dem Anpassungsaufwand.

Diesen Hürden für umweltpolitische Vorlagen stehen zwei Faktoren gegenüber, welche einem Abstimmungserfolg zuträglich sind. Dies sind einerseits eine grosse politische Koalition, welche die Vorlage unterstützt, und andererseits ein klarer Umweltfokus der Vorlage. Hinsichtlich des Umweltfokus zeigen weitergehende Analysen zudem auf, dass vor allem Initiativen bei einer starken Fokussierung auf das Umweltthema erfolgreicher sind, während die Rolle einer breiten unterstützenden Koalition schwächer ausfällt.

Abbildung 1: Bayesianisches Modell zur Erklärung des Ja-Anteils an der Urne
Direkte Demokratie und effektive Umweltpolitik: ein realpolitisches Dilemma

Wie sind nun diese Ergebnisse hinsichtlich der Möglichkeiten zu interpretieren, klimapolitische Massnahmen im direktdemokratischen Kontext politisch umzusetzen? In der Tat zeugen die Befunde in erster Linie von einem realpolitischen Dilemma in der Schweizer Klimapolitik. Zwar scheint die Betonung des Umweltthemas mit höheren Erfolgschancen von Abstimmungsvorlagen einherzugehen und zudem einige kritische Faktoren abzuschwächen. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass umweltpolitische Vorlagen in der direkten Demokratie häufiger erfolgreich sind, wenn sie nicht zu weit gehen, eher abstrakter Natur sind und keine Steuern beinhalten – gerade diese Faktoren zeichnen aber typischerweise effektive klimapolitische Massnahmen aus. Auch unter Einbezug der letzten Jahre, während derer umwelt- und klimapolitische Themen an Bedeutung gewonnen haben, bestätigt sich damit wie schon in früheren Studien (Stadelmann-Steffen 2011) in erster Linie die Vetowirkung der direkten Demokratie. Dies gilt insbesondere für die von Parlament und Regierung initiierten Vorlagen und Massnahmen – wie das jüngste Beispiel des CO2-Gesetzes, aber auch gescheiterte kantonale Energiegesetze illustrieren. Hier scheint es nicht ohne eine Politik der kleinen Schritte zu gehen, d.h. gut austarierte Vorlagen, die einerseits von einer möglichst grossen Koalition gestützt werden, und andererseits das Potential haben, einen neuen «Status Quo» zu bilden, welcher weitere und effektivere Reformen erleichtert. Unsere Befunde zeigen auf, dass dabei ein klarer Fokus auf das übergeordnete Ziel, sprich die Betonung von Umwelt- und Klimazielen, dem Erfolg von Vorlagen zuträglich ist. Ein solcher Bezug zum langfristigen Gemeinwohl kann möglicherweise ein Gegengewicht zu den sichtbaren, kurzfristigen Kosten bilden (Stadelmann-Steffen & Dermont 2018).

Überdies zeigt ein detaillierter Blick auf die begünstigenden Faktoren sowie die untersuchten Vorlagen, dass die direkte Demokratie durchaus Gelegenheiten bieten kann, insbesondere über Initiativen relativ weitreichende Vorlagen im Umweltbereich durchzubringen. In diesem Kontext ist es interessant zu erwähnen, dass von den 15 Initiativen, die in den letzten 40 Jahren an der Urne angenommen wurden, nicht weniger als 5 die Umweltpolitik betrafen. Die konkreten Fälle deuten allerdings darauf hin, dass der Initiativerfolg oft besonderen Konstellationen und Momenten geschuldet war, welche sich kaum statistisch generalisieren lassen. Auch sind erfolgreiche Initiativen im Bereich der Klimapolitik und in jüngster Zeit bisher noch ausgeblieben. Nichtdestotrotz spricht einiges dafür, dass Initiativen nebst der zuvor skizzierten Politik der kleinen Schritte das Potential haben, der Schweizer Klimapolitik zusätzliche Dynamik zu verleihen – entweder, indem sie in besonderen Momenten eine Mehrheit an der Urne erhalten, oder aber auch indirekter, indem sie ein Thema auf die politische Agenda bringen oder es im politischen Prozess stärken.


[1] Wenn wir im Folgenden von erfolgreichen Abstimmungsvorlagen oder einem hohen Erfolgsgrad von Vorlagen sprechen, dann ist damit ein hoher Ja-Stimmenanteil gemeint, während nicht darauf Bezug genommen wird, ob eine Vorlage schlussendlich angenommen oder abgelehnt wurde. Letzteres hängt von weiteren Faktoren ab, beispielsweise der Anforderung des Ständemehrs bei Verfassungsänderungen.

[2] Von ökologischen Steuern spricht man, wenn ökologisch unerwünschtes Verhalten besteuert wird. Beispiele sind etwa Steuern auf Strom, Flugtickets, etc.

[3] Ein öffentliches Gut charakterisiert sich durch Nicht-Ausschliessbarkeit (fehlende Eigentumsrechte) und Nicht-Rivalität im Konsum (Priddat 2008). Das führt dazu, dass Angebot und Nachfrage bei öffentlichen Gütern den Preis nicht korrekt regulieren. Im Falle des Umweltschutzes werden die Kosten entsprechender Massnahmen überschätzt gegenüber ihrem Nutzen, weshalb zu wenig von diesen «Gütern» produziert wird. Dies wird dadurch verstärkt, dass es aus Sicht der Einzelnen oft rational scheint, nicht in solche Massnahmen zu investieren, weil sie als sogenannte Trittbrettfahrer:innen trotzdem von deren Nutzen profitieren können.

[4] Während diese Stichwortsuche 97 Abstimmungsvorlagen identifizierte, wurden 35 nicht in den Datensatz integriert, weil sich der Bezug zur Umwelt als zu wenig eindeutig erwies.

[5] BFS (2021), für das Jahr 2021 wurde eine Schätzung des SECO verwendet (Seco 2021).

[6] BFS (2019). Es wurde jeweils die schweizweite Parteienstärke bei der vorangegangenen Nationalratswahl verwendet.


Hinweis: Dieser Beitrag ist die schriftliche Kurzfassung des Buchkapitels «Im Spannungsfeld zwischen Pariser Klimaabkommen und direkter Demokratie: Unter welchen Bedingungen sind klimapolitische Abstimmungen erfolgreich?», in: Schaub Hans-Peter/Bühlmann Marc (Hrsg.). Direkte Demokratie in der Schweiz, Neue Erkenntnisse aus der Abstimmungsforschung. Zürich: Seismo 2022. S. 179 – 202.

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