1

Die Bedeutung sozialer Normen in der Pandemie – Befunde des Projekts «Covid-Norms»

Sarah Geber
12th April 2022

Soziale Normen regeln die Einhaltung von Präventionsmassnahmen, wie Masketragen, Abstandhalten und Impfen, zwischenmenschlich. Sie stellen somit ein legitimes Mittel der Pandemiebekämpfung, insbesondere in demokratischen Gesellschaften, dar. Doch wie haben sich soziale Normen zu Präventionsverhalten während der Covid-19-Pandemie in der Schweiz entwickelt? Damit beschäftigt sich das Projekt «Covid-Norms».

Soziale Normen sind Handlungsregeln einer sozialen Gruppe oder Gesellschaft. Im Kontext der Covid-19-Pandemie regeln sie die Einhaltung von Präventionsmassnahmen, wie Masketragen, Abstandhalten und Impfen. Sie tun dies sozial und nicht gesetzlich, worin das Potenzial von sozialen Normen für Demokratien begründet liegt, die im Wesentlichen auf Freiheit und Selbstbestimmtheit basieren. Die Etablierung von sozialen Normen zu Präventionsverhalten steht im Einklang mit diesen Prinzipien und stellt damit ein langfristiges und legitimes Mittel der Pandemiebekämpfung in demokratischen Gesellschaften dar. Angesichts dieses Potenzials von sozialen Normen stellt sich die Frage, wie sich soziale Normen zum Präventionsverhalten während der Covid-19-Pandemie in der Schweiz entwickeln. Der Beitrag trägt Befunde zu dieser Frage zusammen, die im Kontext des Projekts «Covid-Norms» gewonnen wurden. 

Kommunikation, soziale Normen und Abstandhalten – Ergebnisse einer Befragungsstudie

Normative Vorstellungen davon, was andere tun und was sie gut finden, werden über Kommunikation geprägt (Geber & Hefner, 2019). Dies ist insbesondere in Krisenzeiten der Fall, da in Zeiten der Unsicherheit das Bedürfnis nach Orientierung und an Informationen besonders gross ist (Rimal & Storey, 2020). Im Zusammenhang mit der Einführung der Social Distancing-Massnahme zu Beginn der Pandemie untersuchte eine Studie (Friemel & Geber, 2021), wie normative Vorstellungen zum Abstandhalten mit dem individuellen Präventionsverhalten zusammenhängen, und wie diese Vorstellungen wiederum von verschiedenen Formen der Kommunikation (Nachrichtenmedien, Social Media und persönlicher Austausch) geprägt werden. Die im März 2020 durchgeführte Online-Befragung von 1‘005 Schweizer*innen der deutschsprachigen Schweiz (51% weiblich, Alter: M = 47.8, SD = 17.98) zeigt folgende Zusammenhänge (methodische Details und weitere Ergebnisse sind der Publikation Friemel & Geber, 2021, zu entnehmen):

  • Nachrichtenmedien korrelieren positiv mit normativen Vorstellungen: Je wichtiger die Befragten Nachrichtenmedien zur Information über Corona fanden, desto eher nahmen sie Abstandhalten als ein weit verbreitetes und sozial akzeptiertes Verhalten wahr.
  • Social Media korreliert negativ mit normativen Vorstellungen: Je bedeutsamer Social Media, wie Facebook, Twitter und Instagram, zur Information über Corona war, desto weniger nahmen die Befragten Abstandhalten als ein weit verbreitetes und sozial akzeptiertes Verhalten wahr.
  • Austausch im persönlichen Umfeld korreliert positiv mit normativen Vorstellungen: Je wichtiger die Befragten den Austausch im persönlichen Umfeld – mündlich, via (Video-)Telefonie oder über Instant Messenger – fanden, desto eher war Abstandhalten in ihrer Wahrnehmung ein normatives Verhalten.
  • Normative Vorstellungen korrelieren positiv mit individuellem Abstandhalten: Je stärker die Befragten wahrnahmen, dass Abstandhalten im alltäglichen Umfeld verbreitet und sozial akzeptiert ist, desto konsequenter hielten sie sich selbst im Alltag daran.

Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung verschiedener Kommunikationsformen hinsichtlich normativer Vorstellungen sowie die Relevanz sozialer Normen als Prädiktoren individuellen Verhaltens. Die Studie hat jedoch methodische Limitationen, welche die Interpretation der Ergebnisse einschränken. Zum einen erlaubt das querschnittliche Design der Befragungsstudie keine kausale Prüfung der Annahmen; es kann demnach nicht empirisch überprüft werden, ob Kommunikation normative Vorstellungen prägt und ob diese Vorstellungen wiederum Verhalten beeinflussen oder ob (auch) gegenläufige Einflüsse vorliegen. Zudem fehlen Daten zu den Kommunikationsinhalten, welche die Zusammenhänge zwischen Kommunikation und normative Vorstellungen besser einordnen würden. Dies wäre insbesondere mit Blick auf die negative Korrelation zwischen Social Media-Zuwendung und normativen Vorstellungen aufschlussreich. Diese methodischen Einschränkungen werden in der umfassenden Trendstudie des Projekts «Covid-Norms» überwunden.

Das Projekt «Covid-Norms» – Monitoring und Analyse von Präventionsverhalten

Das Projekt hat das Ziel, die Entwicklung sozialer Normen zum Präventionsverhalten in der Schweizer Bevölkerung zu verstehen. Dafür geht es über die Betrachtung von Zusammenhängen auf der Individualebene hinaus und verknüpft mithilfe der Kommunikation die Individual- mit der Gesellschaftsebene (Geber & Sedlander, 2022). Kern des Projekts ist eine Trendstudie, die über 18 Monate (September 2020 – Februar 2022) eine wöchentliche Befragung und eine halbautomatisierte Inhaltsanalyse kombiniert. Basierend auf einem schweizweiten Sample (N = 425 Befragte) erfasst die Online-Befragung wöchentlich die normativen Vorstellungen sowie die Einstellung und das Verhalten der Bevölkerung hinsichtlich verschiedener Präventionsmassnahmen (z. B. Masketragen, Abstandhalten, Impfen). Die Inhaltsanalyse erhebt die Thematisierung dieser Massnahmen in 34 Schweizer Nachrichtenmedien (Online, Print, TV/Radio). Diese methodische Anlage erlaubt es, Veränderungen in normativen Vorstellungen, Einstellungen und Präventionsverhalten in der Bevölkerung sowie die Medienresonanz politischer Entscheidungen und pandemischer Ereignisse zu monitoren. Darüber hinaus ermöglicht die Zusammenführung dieser Daten, die Dynamiken zwischen Medienberichterstattung, wahrgenommenen Normen und Präventionsverhalten in der Schweizer Bevölkerung zu analysieren. Weitere Informationen zum Projekt sowie Befunde des Monitorings sind auf der Webseite covid-norms.ch zu finden.

Die Bedeutung sozialer Normen in der Pandemie

In ihrer Gesamtschau demonstrieren die im Projektkontext durchgeführten Studien, dass soziale Normen mit Blick auf Präventionsverhalten relevant sind. Das zeigen nicht nur die zuvor dargelegten Ergebnisse zum Abstandshalten, dies bringen auch Studien zur Nutzung der Tracing-App (Geber & Friemel, 2022) oder Impfen (Geber et al., 2022) hervor. Zudem stehen die Ergebnisse im Einklang mit der Idee von sozialen Normen als Phänomene, die über verschiedene Formen der Kommunikation, beispielsweise über Nachrichtenmedien und Social Media, geprägt werden (Friemel & Geber, 2021). Auf der Medieninhaltsebene zeigt sich, dass Präventionsmassnahmen zentraler Gegenstand der Berichterstattung in den Schweizer Nachrichtenmedien sind (Vogler et al., 2021). Insbesondere der Impfdiskurs dominierte lange Zeit (bis zur Ukraine-Invasion) die Berichterstattung. Dabei hat sich Telegram als Kommunikationsplattform für Corona-Massnahmengegner*innen etabliert (Siegen et al., 2022). Weitere Analysen und Studien werden Aufschluss darüber geben, welche Rolle normative Diskurse in verschiedenen Teilöffentlichkeiten für die Entwicklung sozialer Normen des Präventionsverhaltens spielen.

Das Projekt Covid-Norms
Das Projekt Covid-Norms wird in Kooperation zwischen dem Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung (IKMZ) und dem Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich realisiert. Finanziert wird es im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms „Covid-19“ (NFP 78) des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) sowie vom Bundesamt für Gesundheit (BAG). Weitere Informationen zum Projekt sind der Webseite covid-norms.ch zu entnehmen.

Hinweis: Dieser Beitrag ist die schriftliche Kurzfassung des Referats der Autorin, gehalten am 24. März 2022 im Rahmen der 14. Aarauer Demokratietage des Zentrums für Demokratie, Aarau. 


Referenzen

  • Friemel, T. N. & Geber, S. (2021). Social distancing during the COVID-19 pandemic: How communication affects health protective behavior through shaping perceptions of efficacy, norms, and threat. Health Communication, 1–11. https://doi.org/10.1080/10410236.2021.197
  • Geber, S. & Friemel, T. N. (2022). Tracing-technology adoption during the COVID-19 pandemic: The multifaceted role of social norms. International Journal of Communication, 16, 247–266. https://ijoc.org/index.php/ijoc/article/view/18089
  • Geber, S. & Hefner, D. (2019). Social norms as communicative phenomena: A communication perspective on the theory of normative social behavior. Studies in Communication and Media, 8(1), 6–28. https://doi.org/10.5771/2192-4007-2019-1-6
  • Geber, S., Ho, S. S. & Ou, M. (Mai 2022). Communicative and normative influences on the intention to get vaccinated against Covid-19: A cross-cultural study in Singapore and Switerland. International Communication Association, Paris, Frankreich.
  • Geber, S. & Sedlander, E. (2022). Communication as the crucial link: Toward a multilevel approach to normative social influence. Studies in Communication Sciences. Vorab-Onlinepublikation. https://doi.org/10.24434/j.scoms.2022.02.005
  • Rimal, R. N. & Storey, J. D. (2020). Construction of meaning during a pandemic: The forgotten role of social norms. Health Communication, 35(14), 1732–1734. https://doi.org/10.1080/10410236.2020.1838091
  • Siegen, D., Eisenegger, M., Vogler, D. & Tribelhorn, L. (März 2022). Der Impfdiskurs auf Telegram. https://covid-norms.ch/die-impfthematik-auf-telegram/
  • Vogler, D., Eisenegger, M., Siegen, D. & Tribelhorn, L. (Februar 2021). Beachtung von Schutzmasken und Impfen in den Schweizer Medien. https://covid-norms.ch/die-corona-pandemie-in-den-schweizer-medien/

Bild: unsplash.com