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Umgang mit der Pandemie über die Lebensspanne: Die Rolle der Emotionsregulation

Zilla Huber, Olenka Dworakowski, Andrea B. Horn
14th März 2022

Die Pandemie fordert dazu auf, das eigene Verhalten an sich immer ändernde, wenig vorhersagbare Umstände anzupassen. Negative Emotionen sind eine adäquate Reaktion auf eine Situation, die so herausfordert, nur beschränkt kontrollierbar ist und dabei noch lange dauert. Für die psychische Gesundheit entscheidend ist der Umgang mit diesen negativen Emotionen: Unsere Studie zeigt, dass sich dieser je nach Alter unterscheidet.

Die COVID Pandemie ist eine Herausforderung- nicht nur für die öffentliche Gesundheit und die Weltpolitik, sondern auch für die Anpassungsfähigkeit des Einzelnen (Pierce et al., 2020). Seit dem Beginn der Pandemie mussten wir alle unser Verhalten anpassen. Wir tragen Masken, waschen die Hände, verändern grundlegend unser Sozialverhalten und halten uns an viele neue Regeln. Darüber hinaus gilt es mit dem „Anspringen“ unseres emotionalen Systems umzugehen: Emotionale Reaktionen sind ein Signal, dass es Anlass gibt, sich an verändernde Situationen anzupassen. Wird die Situation als bedrohlich, nicht sicher oder schwer kontrollierbar erlebt, macht uns Angst bereit uns adäquat zu verhalten (Gross, 2008). Hätten wir vor nichts Angst oder würde uns nichts ärgern oder freuen - wir würden nicht gut funktionieren. Diese funktionelle Perspektive auf Emotionen hat mittlerweile einen breiten Konsens in der Emotionsforschung erlangt. Mit einer „gesunden“ Angst zu reagieren, würde also im Allgemeinen als adäquat angesehen. Wie wir allerdings mit dieser Angst umgehen, das kann mehr oder weniger günstig verlaufen.

Doch wie mit einer Bedrohung umgehen, wenn diese auch noch chronisch, also über einen längeren Zeitraum stattfindet? Diese Prozesse der Modulation vom Erleben und Ausdruck positiver, wie auch negativer Emotionen werden Emotionsregulation genannt (Gross, 1999). In einer sich ständig verändernden Umwelt und den entsprechenden emotionalen Reaktionen, ist deren Regulation zentral für die seelische und körperliche Gesundheit (Aldao et al., 2010). Die psychologische Erforschung hat diese Prozesse im Erwachsenenalter traditionell im individuellen Kontext betrachtet- neuerdings wird allerdings die Wichtigkeit des sozialen Kontexts der Emotionsregulation nicht nur für Kinder und ihre Bezugspersonen, sondern auch für Erwachsene mehr und mehr hervorgehoben (Horn et al., 2019). Soziale Beziehungen sind beim Umgang mit herausfordernden Situationen eine zentrale Ressource (Maercker & Horn, 2013). Doch ungünstiger Austausch mit Anderen kann negative Emotionen auch verstärken - ein Phänomen, das wir gerade in der Pandemie viel erleben. Im Kontext naher Beziehungen wie in der Partnerschaft, Freundschaften oder familiären Verbindungen ist Ruminatives Co-Brooding – zu deutsch gemeinsames "wiederkäuendes Brüten“, eine Emotionsregulationsstrategie, die menschlich nachvollziehbar, aber nach allem Dafürhalten nicht gut für die psychische Gesundheit ist (Horn & Maercker, 2015). Sie zeichnet sich aus durch rigides Wiederholen von negativen Inhalten in Gesprächen.

Ruminatives Brooding
Für den Einzelnen ist dieses Ruminative Brooding in der Literatur etabliert als die Tendenz sich im negativen Selbstfokus wiederholt an denselben emotional negativen Inhalten zu verhaften (Aldao et al., 2010). Es gilt als Risikofaktor für depressive Verstimmungen und andere Einschränkungen der psychischen Gesundheit. Dieses Ruminative Brooding passiert also nicht nur in Gedankenkreisen im eigenen Kopf– mit Vorliebe in den frühen Morgenstunden oder vor dem Einschlafen – sondern auch im Dialog mit nahestehenden Personen. Hierbei werden die repetitiven Gedanken mitgeteilt, ohne dass der/die Gesprächspartner*in die Chance hat, einen Lösungsvorschlag zu geben oder das Gefühl des Verstanden seins zu vermitteln (Horn und Maercker, 2016). Die Konversation dreht sich im Kreis und ist ebenfalls ungünstig für den Umgang mit Gefühlen wie auch für die Qualität der Beziehung.

In der Lebensspannenforschung hat sich gezeigt, dass der Umgang mit Emotionen sich über die Lebenspanne verändert und tendenziell adaptiver wird (Carstensen, 2003). Das verstärkte Rekurrieren interpersoneller Emotionsregulation, also Emotionsregulation in sozialer Interaktion im Alter könnte einer der Gründe für diese positiven Veränderungen sein (Urry & Gross, 2010).

Während der Covid-19 Pandemie zeigen erste Studienresultate, dass ältere Menschen im Vergleich zu Jüngeren bessere psychische Gesundheit aufweisen, obwohl sie oft als Risikogruppe im Fokus standen (Young et al., 2020). Unsere erste Studie (Dworakowski et al., 2021) untersuchte, ob diese Altersunterschiede in der Anpassung zur Pandemie durch Altersunterschiede in individuellem aber auch interpersonellem Brooding - also Co-Brooding - erklärt werden können. Wir untersuchten Daten von 1401 Teilnehmenden im Alter zwischen 18 und 88, die im November 2020 Fragebögen zu Brooding, Co-Brooding und Anpassungsstörung ausgefüllt hatten. Unsere Resultate zeigten, dass die beobachteten Altersunterschiede der Anpassungsstörungssymptomen in Bezug auf die Covid-19 Pandemie statistisch durch Brooding und auch Co-Brooding vermittelt werden. Ältere Studienteilnehmende berichten also weniger Symptome. Das hängt damit zusammen, dass sie weniger auf die ungünstigen Strategien des Broodings und Co-Broodings zurückgreifen. Dies passt zu anderen Befunden in der alterswissenschaftlichen Literatur und ist im Kontext des Umgangs mit der Pandemie ein neuer Befund. Zunächst spricht das für die Annahme, dass im Alter oft weiser und gelassener mit Belastungen wie einer Pandemie umgegangen wird. Weiterhin stellt sich die Frage, wie man Menschen helfen kann, sich von gedanklichen Verhaftungen zu lösen- diese werden im Zusammenhang damit gesehen, dass man bestimmte, emotional aufgeladene Inhalte meidet und um den „hot spot“ herumkreist. Andere Forschungsprojekte aus unserer Gruppe haben gezeigt, dass Aufschreiben zum Formen einer Geschichte es manchmal leichter macht, Worte zu finden, für das, was wirklich belastet. Diese Geschichte lässt sich dann auch leichter mit Anderen teilen, wenn es Raum für Verletzlichkeit gibt. Diese Art sozialen Austauschs stellt dann eine wichtige Ressource dar.

In derselben Befragung waren die Studienteilnehmenden deshalb auch aufgefordert worden, über ihre Gedanken und Gefühle zur Pandemie zu schreiben – eben genau Worte zu finden, für das, was sie umtreibt. Diese Texte wurden dann mit Hilfe einer automatisierten Sprachanalyse auf Sprachstile untersucht, die in der Sozialpsychologie als Indikator für kognitiv-emotionale Verarbeitung eingeführt wurden. Personen, die stärker negativ mit den Inhalten verhaftet waren und auch darüber redeten (i.e. mehr (Co-)Brooding berichteten) benutzten in ihren Texten mehr negative Emotionswörter. Dies entspricht früheren Befunden in der Literatur, genauso wie ein vermehrtes Nutzen des Pronomens „ich“ einen negativ verhafteten Verarbeitungsstil enthüllte. Letzteres Ergebnis fanden wir allerdings nur bei den jüngeren Teilnehmenden. Neu war der Befund, dass bei den älteren Teilnehmenden eine Sprache, die mehr Selbstfokus (Ich-Wörter) zeigte, mit weniger negativer Verhaftung einherging. In der Psychologie gibt es schon länger eine Auseinandersetzung, dass philosophische, weise Introspektion gegenüber ungünstiger Nabelschau sehr unterschiedliche Facetten von Selbstaufmerksamkeit darstellen. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass zumindest in unserer altersdiversen Stichprobe, Selbstaufmerksamkeit bei älteren Menschen eher durch diese mehr Weisheit und Produktivität versprechende Qualität ausgezeichnet war als bei den jüngeren Studienteilnehmenden (Dworakowski et al., 2021).

Diese Ergebnisse geben einen Einblick darin, wie viele Ressourcen ältere Menschen aufweisen, um mit der Pandemie umzugehen- und das ganz gegen das Altersstereotyp des vulnerablen Risikoträgers.

Ressourcen stärken bei CoCoCap65+-Trainingsstudie
Zum Abschluss wollen wir noch auf eine andere Studie verweisen, deren Ursprünge im ersten Lockdown waren, als Mike Martin zusammen mit der UZH3 und dem UFSP „Dynamik Gesunden Alterns“ Angebote entwickeln wollte für die von den Massnahmen besonders betroffene Gruppe der über 65-Jährigen. Diese Trainings-Studie hat zum Ziel, Räume zu schaffen, um die oben erwähnten Ressourcen bei Menschen über 65 Jahren noch weiter zu kultivieren. Forschungsergebnisse zeigen, dass für ein gesundes Altern das Ausprobieren neuer Aktivitäten über die ganze Lebensspanne hinweg sowohl die kognitive Gesundheit als auch das Wohlbefinden fördert (Park et al., 2014). Ein günstiger Umgang mit stressigen Herausforderungen des Alltags und die Fähigkeit, sich von Situationen mit negativer Stimmung zu erholen, sind mit Wohlbefinden und kognitiver Leistungsfähigkeit verbunden und soziale Aktivität und Eingebundenheit sind weitere Ressourcen, die alle Ebenen der Gesundheit fördern (Scott et al., 2015). Immer wieder konnte gezeigt werden, dass altersbezogene Prozesse der kognitiven, affektiven und sozialen Domäne in hohem Masse miteinander verbunden sind (Charles & Carstensen, 2010; Krendl, 2020; Urry & Gross, 2010). Diese bisherigen Ergebnisse möchte die Studie in Bezug auf die aktuelle Situation mit dem Covid-19-Virus genauer untersuchen. Teilnehmende werden zusammen mit einem/r Tandempartner*in in eine von drei Bedingungen eingeteilt, in der sie über drei Wochen entweder soziale, kognitive oder affektive Ressourcen trainieren. Das Kernstück von allen Trainingsbedingungen ist der Raum für regelmässigen sozialen Austausch bei gemeinsamen Telefongesprächen. In einer Bedingung erhalten die Teilnehmenden dabei tägliche Konversationsimpulse. Bei einer anderen Form werden etablierte kognitive Trainings gemeinsam durchgeführt: die Tandempartner*innen leiten sich gegenseitig an Wortflüssigkeitsübungen zu machen. Im dritten Format werden die Teilnehmenden eingeladen zusätzlich jeden Abend eine expressive Schreibaufgabe durchzuführen, um auch alleine Gedanken und Gefühle zu ordnen und Worte zu finden, die möglicherweise in den Telefongesprächen geteilt werden können. In allen Bedingungen füllen die Teilnehmenden vor und nach den drei Wochen, sowie drei Monate später eine längere Befragung aus und kürzere Befragungen während den drei Wochen. Die Datenerhebung dieser Studie ist noch nicht beendet. Das Ziel dieser Studie ist es Effekte dieser Trainings auf den trainierten Bereich, aber auch Transfereffekte auf andere Bereiche zu untersuchen. Somit versuchen wir Komplexität und Zusammenhang von kognitiven, affektiven und sozialen Prozessen gerecht zu werden und diese auch in Zeiten limitierter Ressourcen zu stärken und mobilisieren.

Falls Sie Interesse an dieser Studie haben, sind Sie eingeladen unsere Webseite zu besuchen:  https://cococap65plus.dynage.ch/. Wenn Sie 65 Jahre und älter sind, haben Sie auch noch die Chance sich anzumelden!


Referenzen:

  • Aldao, A., Nolen-Hoeksema, S., & Schweizer, S. (2010). Emotion-regulation strategies across psychopathology: A meta-analytic review. Clinical psychology review, 30(2), 217-237. https://doi.org/10.1016/j.cpr.2009.11.004
  • Carstensen, L. L., Fung, H. H., & Charles, S. T. (2003). Socioemotional selectivity theory and the regulation of emotion in the second half of life. Motivation and emotion, 27(2), 103-123. https://doi.org/10.1023/A:1024569803230
  • Charles, S. T., & Carstensen, L. L. (2010). Social and emotional aging. Annual Review of Psychology, 61, 383–409. https://doi.org/10.1146/annurev.psych.093008.100448
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  • Horn, A. B., & Maercker, A. (2016). Intra- and interpersonal emotion regulation and adjustment symptoms in couples: The role of co-brooding and co-reappraisal. BMC Psychology, 4(1), 51. https://doi.org/10.1186/s40359-016-0159-7
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  • Scott, S. B., Graham-Engeland, J. E., Engeland, C. G., Smyth, J. M., Almeida, D. M., Katz, M. J., . . . Sliwinski, M. J. (2015). The Effects of Stress on Cognitive Aging, Physiology and Emotion (ESCAPE) Project. BMC Psychiatry, 15, 146. https://doi.org/10.1186/s12888-015-0497-7
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  • Young, N. A., Waugh, C. E., Minton, A. R., Charles, S. T., Haase, C. M., & Mikels, J. A. (2021). Reactive, agentic, apathetic, or challenged? Aging, emotion, and coping during the COVID-19 pandemic. The Gerontologist, 61(2), 217–227. https://doi.org/10.1093/geront/gnaa196

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