1

Hat uns die COVID-19-Pandemie zu besseren Menschen gemacht?

Fabian Gander, Lisa Wagner
25th November 2021

Forschende der Universität Zürich untersuchten, ob die COVID-19-Pandemie mit Persönlichkeitsveränderungen einherging. Dazu verglichen sie Werte vor und nach der ersten Welle der Pandemie und fragten direkt nach Veränderungen. Die Befragten berichteten viele positive Veränderungen – im direkten Vergleich zeigten aber nur zwei Eigenschafen einen Anstieg. Positiv bewertete Persönlichkeitseigenschaften (Charakterstärken) sagten aber freiwilliges Engagement sowie das Einhalten der Massnahmen vorher.

"Was uns nicht umbringt, macht uns stärker." Im Sinne dieses Nietzsche-Zitats wird häufig davon gesprochen, dass negative oder sogar traumatische Erfahrungen mit persönlichem Wachstum einhergehen und uns zu stärkeren, besseren Menschen machen können. Empirische Untersuchungen zeigten, dass Menschen nach negativen Ereignissen häufig berichten, dass sich ihre Beziehungen verbesserten und sie das Leben stärker wertschätzen. Problematisch ist dabei aber, dass Menschen meist erst nach diesem Ereignis befragt werden, ob sie positive Veränderungen erlebt haben. So bleibt unklar, ob dies nur eine subjektive Interpretation ist oder ob sich die Persönlichkeitseigenschaften tatsächlich verändert haben. Um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten, ist ein Vergleich der Werte vor und nach einem Ereignis zentral. Dies ist aber äusserst schwierig, da persönliche Krisen glücklicherweise nur selten auftreten.

Die COVID-19-Pandemie als kollektive Herausforderung

Mit der COVID-19-Pandemie bot sich Forschenden der Universität Zürich eine Gelegenheit, eine solche Studie durchzuführen: Aus einer früheren Datenerhebung lagen Angaben zu Charakterstärken vor. «Charakterstärken» sind 24 Persönlichkeitseigenschaften, die positiv bewertet und generell erwünscht sind. Dazu zählen beispielsweise Eigenschaften wie Kreativität, Ehrlichkeit, Freundlichkeit, Selbstregulation, oder Dankbarkeit. Für viele Menschen ging die erste Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 mit erheblichen Veränderungen im Arbeits-, Freizeit-, Sozial- und Familienleben einher, an die sie sich anpassen mussten. Aus dieser Perspektive kann die COVID-19-Pandemie als kollektive Herausforderung betrachtet werden. Daher fragten sich die Forschenden: Hatte die Pandemie trotz ihrer negativen Auswirkungen auch positive Folgen? Konnten die Menschen an dieser Herausforderung "wachsen" und ihre Charakterstärken weiterentwickeln?

Daten und Methode
Im Sommer 2020 kontaktierten die Forschenden die Personen erneut und 366 Erwachsene gaben Auskunft darüber, ob sie bei sich selbst oder bei einer nahestehenden anderen Person Veränderungen der Charakterstärken wahrgenommen haben. Darüber hinaus machte eine Teilstichprobe (150 Personen) erneut Angaben zu ihrem aktuellen Niveau der Charakterstärken nach der Pandemie. Ausserdem wollten die Forschenden auch herausfinden, ob die Charakterstärken einer Person damit zusammenhängen, ob man sich während der Pandemie freiwillig engagiert hat (z.B. in der Nachbarschaftshilfe) und inwiefern man sich an die Massnahmen zur Pandemiebekämpfung (z.B. Abstand halten) hielt.

Die Ergebnisse zeigen, dass die meisten Menschen positive Veränderungen wahrgenommen haben: Im Durchschnitt gaben die Teilnehmenden an, dass fast alle Charakterstärken zugenommen haben, insbesondere Dankbarkeit, Sinn für das Schöne und Exzellenz, Umsicht und Bescheidenheit – sowohl bei sich selbst als auch bei einer nahestehenden Person. Als jedoch die Werte der Charakterstärken vor der Pandemie mit den Werten danach verglichen wurden, ergab sich ein anderes Bild: Insgesamt gab es nur sehr wenige Veränderungen, lediglich bei den Charakterstärken Bescheidenheit und Umsicht war eine Zunahme zu verzeichnen. Es scheint also, dass die Menschen das Ausmass der Veränderungen in ihrer Persönlichkeit überschätzen.  

Guter Charakter sagt Verhalten während Pandemie voraus

Mehrere Charakterstärken sagten allerdings das Verhalten während der Pandemie voraus: Diejenigen, die vor der Pandemie höhere Werte in Urteilsvermögen, Ausdauer, Bescheidenheit und Umsicht aufwiesen, berichteten, dass sie sich mehr an die Massnahmen hielten. Freiwilliges Engagement wurde durch mehrere Charakterstärken vorhergesagt: Personen mit höheren Ausprägungen in Dankbarkeit, Tapferkeit, Bindungsfähigkeit und Enthusiasmus gaben an, sich während der Pandemie eher freiwillig engagiert zu haben. Wissen über solche Zusammenhänge könnte dazu dienen, Kampagnen besser auf solche Personen auszurichten, die sich weniger an Massnahmen halten oder engagieren. 

Sind wir nun bessere Menschen geworden?

Zusammenfassend deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass die COVID-19-Pandemie uns nicht unbedingt stärker oder zu besseren Menschen gemacht hat; bestenfalls sind wir in der Folgezeit bescheidener und umsichtiger geworden. Sie zeigen aber auch, dass Menschen durchaus positive Veränderungen wahrnehmen und dass positive Eigenschaften im Umgang mit einer solchen Krise eine Rolle spielen.

Ausblick

In einem Folgeprojekt bietet die Universität Zürich ein kostenloses Online-Trainingsprogramm zur Steigerung des Wohlbefindens an. Das Trainingsprogramm wurde anhand aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse konzipiert und wird auch wissenschaftlich evaluiert. Die Trainingsaktivitäten sind kurz und einfach und können problemlos in den Alltag integriert werden. Eine Teilnahme ist aktuell noch möglich unter: https://www.happyhabits.ch


Referenz:

  • Gander, F., & Wagner, L. (2021). Character growth following collective life events: A study on perceived and measured changes in character strengths during the first wave of the COVID-19 pandemic. European Journal of Personality. https://doi.org/10.1177/08902070211040975