Der Stadt-Land-Graben im Spiegel zweier Abstimmungstermine

Martina Flick Witzig
25th August 2021

Die Ergebnisse der Abstimmung vom 13. Juni 2021 haben hohe Wellen geschlagen. Vor allem die knappe Ablehnung des CO2-Gesetzes hat die Diskussion über einen allfälligen Graben zwischen städtischen und ländlichen Regionen befeuert. Ein Vergleich mit dem ähnlich gelagerten Termin vom 27. September 2020 gibt Aufschluss, inwiefern hier eine besondere Dynamik zu beobachten ist. An diesem Tag kamen unter anderem die Begrenzungsinitiative, das Jagdgesetz und die Vorlage für einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub an die Urne.

Der Urnengang vom 13. Juni 2021 hat der Diskussion über einen allfälligen Stadt-Land-Graben in der Schweiz neuen Schub verliehen. Verschiedene Medienbeiträge haben das Thema aufgegriffen (z.B. Benz et al. 2021; Bühler 2021; Degonda 2021; Lipp 2021; Strahm 2021) und mit der SVP hat sich die wählerstärkste Partei dazu entschlossen, die (vermeintliche) Konfliktlinie politisch zu bewirtschaften (Triaca & Ballmer 2021).

Die Mobilisierung in ländlichen Regionen fiel am 13. Juni 2021 höher aus als in den Städten. Sie hat zur klaren Ablehnung der beiden Agrarinitiativen sowie zum knappen Nein zum CO2-Gesetz beigetragen, weil alle drei Anliegen in ländlichen Regionen deutlich weniger Unterstützung fanden als in grösseren Gemeinden und Städten. Inwiefern handelt es sich hier um ein aussergewöhnliches Phänomen? Ein Vergleich mit dem Abstimmungstermin vom 27. September 2020 kann hier Aufschluss geben, da die Rahmenbedingungen beider Termine mehrere Parallelen aufweisen (vgl. unten). Als Datengrundlage dienen die vom Bundesamt für Statistik (2021b) aufbereiteten Abstimmungsergebnisse für die Ebene der Gemeinden.

Nur wenig Rückhalt in kleinen Gemeinden

In Bezug auf die Abstimmungsergebnisse vom 13. Juni 2021 in den Gemeinden lässt sich neben den oben skizzierten Resultaten festhalten, dass die Grösse der Gemeinden (gemessen über die Anzahl Stimmberechtigter) mit der Anzahl angenommener Vorlagen in Verbindung steht: Je kleiner die Gemeinde, desto weniger Vorlagen wurden angenommen. Am grössten ist die durchschnittliche Gemeindegrösse dort, wo vier Vorlagen angenommen wurden. Zudem haben nur sehr wenige kleine Gemeinden die Agrarinitiativen und das CO2-Gesetz angenommen.

Gemeinsamkeiten

Vergleicht man dies mit den Gemeindeergebnissen beider Abstimmungssonntage, so zeigen sich verschiedenen Parallelen. An beiden Tagen kamen fünf Vorlagen vors Volk. Zum Teil hatten sie das Potenzial, unterschiedliche Präferenzen zwischen Stadt und Land offenzulegen – gemeint sind hier insbesondere die Referenden zum Jagdgesetz und zum Vaterschaftsurlaub sowie die Begrenzungsinitiative vom 27. September 2020. Zudem war die Stimmbeteiligung an beiden Terminen mit jeweils knapp sechzig Prozent ungewöhnlich hoch, wobei beide Male die Mobilisierung auf dem Land höher war als in der Stadt. Beim Jagdgesetz und der Begrenzungsinitiative zeigen sich auch die erwarteten Zusammenhänge mit der Gemeindegrösse: Je kleiner die Gemeinde, desto höher die Zustimmung.

…und Unterschiede

Auf der anderen Seite zeigen sich aber auch Unterschiede zwischen den beiden Terminen. So ist der Zusammenhang zwischen der Gemeindegrösse und dem Ja-Stimmenanteil zum Jagdgesetz und zur Begrenzungsinitiative deutlich schwächer, als bei den Agrarinitiativen und dem CO2-Gesetz vom 13. Juni 2021. Und in Bezug auf den Vaterschaftsurlaub lässt sich keinerlei Gemeindegrösseneffekt feststellen. Stattdessen treten sprachregionale Unterschiede in den Vordergrund: In den italienischsprachigen Kommunen und vor allem in der Romandie lagen die Ja-Stimmenanteile viel höher als in den Deutschschweizer Gemeinden.

Was lässt sich aufgrund des Vergleichs der beiden Abstimmungstermine über den Stadt-Land-Graben aussagen? Obwohl die Rahmenbedingungen in Bezug auf die Anzahl und Art der Vorlagen ähnlich waren und an beiden Terminen vor allem auf dem Land eine starke Mobilisierung stattfand, sticht der Abstimmungstermin vom 13. Juni 2021 als aussergewöhnlich hervor.

Die Zusammenhänge zwischen der Gemeindegrösse einerseits und den Ja-Stimmenanteilen zu den Agrarinitiativen und dem CO2-Gesetz andererseits sind in dieser Deutlichkeit bemerkenswert. Der Vergleich zeigt aber auch, dass andere Konfliktlinien keineswegs ihre Bedeutung verloren, was sich an den sprachregionalen Unterschieden bei den Ergebnissen zum Referendum über den Vaterschaftsurlaub ablesen lässt.

Quellen:

• Benz, Matthias; Eisenring, Christoph; Seliger, Florian, 2021: Die Mär vom abgehängten Land. NZZ vom 21.08.2021, 24.
• Degonda, Silvana, 2021: Was trennt uns, was eint uns? Schweizer Illustrierte vom 20.08.2021, 30.
• Bühler, Stefan, 2021: Nein. Nein. Nein. Nein. Nein. NZZ am Sonntag vom 20.06.2021, 8.
• Bundesamt für Statistik, 2021a: Eidgenössische Volksabstimmungen 2020-2021, detaillierte Ergebnisse. https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/politik/abstimmungen.assetdetail.17767110.html, zuletzt abgerufen am 24.08.2021
• Bundesamt für Statistik, 2021b: Volksabstimmungen (Ergebnisse Ebene Gemeinde seit 1960). https://www.pxweb.bfs.admin.ch/pxweb/de/px-x-1703030000_101/-/px-x-1703030000_101.px/, zuletzt abgerufen am 23.08.2021.
• Lipp, Jacqueline, 2021: Beide Seiten bauen Mauern auf statt ab. Willisauer Bote vom 17.08.2021, 4.
• Strahm, Rudolf, 2021: Das Klischee vom Graben zwischen Stadt und Land ist zu simpel. Tagesanzeiger vom 10.08.2021, 4.
• Triaca, Ladina; Ballmer, Daniel, 2021: SVP schiesst sich auf links-grüne Städte ein. Blick vom 02.08.2021, 2.

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