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Die Aufgaben der Gemeinden – Ein Blick auf die Empirie

Andreas Ladner, Alexander Haus
20th Juli 2021

Welche Aufgaben erfüllen Gemeinden und welche Kompetenzen haben sie? In den staatsrechtlichen Werken finden sich verschiedene Aufzählungen der Gemeindeaufgaben, doch einen abschliessenden Aufgabenkatalog gibt es nicht. Wie unsere empirische Studie zeigt, gibt es je nach Kanton und Gemeinde bezüglich der Ausgestaltung der Aufgabenerbringung grosse Unterschiede.

Die konkreten Aufgabenbereiche der Gemeinden

Die wichtigsten Aufgaben der Gemeindensind ihre Selbstorganisation in Form der öffentlichen Verwaltung und der Gemeindebehörden. Dazu zählen die Bereiche der kommunalen Basisinfrastruktur, wie die Wasserversorgung, das Abwasser und lokale Strassen sowie die Abfallentsorgung (siehe Tabelle  1).

Auch das Bauwesen, allen voran die Raum- und Zonenplanung und die Bewilligung von Baugesuchen, ist praktisch in allen Gemeinden Bestandteil des Aufgabenportfolios. Dazu gesellt sich weiter die Feuerwehr. Die Volksschule und die Sozialhilfe, obschon in unterschiedlicher Form, sowie die Leistungserbringung in den Bereichen Kultur, Sport und Landschafts-, Ortsbild- und Umweltschutz, gelten für neun von zehn Gemeinden als kommunale Tätigkeiten.

Die Bereiche Polizeiaufgaben, familienergänzende Kinderbetreuung, Unterstützung von älteren Personen, Alters- und Pflegeheime, Spitex, öffentlicher Verkehr und Energieversorgung werden demgegenüber etwas weniger häufig, aber immer noch von 70 bis 85 Prozent der Gemeinden als Gemeindeaufgaben bezeichnet.[1]

Tabelle 1: Die konkreten Gemeindeaufgaben nach Aufgabenbereichen (in Prozent der Gemeinden)

Aufgabenbereiche Gemeindeaufgabe Keine Gemeindeaufgabe/ betrifft Gemeinde nicht
Gemeindeverwaltung: insgesamt 99.3% 0.7%
Gemeindeverwaltung: Informatik 99.3% 0.7%
Gemeindeverwaltung: Finanzverwaltung 99.3% 0.7%
Gemeindebehörden 99.1% 0.9%
Abfall-Entsorgung 98.9% 1.1%
Gemeindeverwaltung: Einwohnerdienste 98.2% 1.8%
Abwasser-Kanalisation 98.2% 1.8%
Feuerwehr 97.6%    2.4%   
Raum- und Zonenplanung 97.1%    2.9%   
Bewilligung von Baugesuchen 96.6%    3.4%   
Wasserversorgung 95.9%    4.1%   
Öffentliche Bauten 95.5%    4.5%   
Privater Verkehr (Strassenbau, Verkehrsberuhigung) 92.5%    7.5%   
Volksschule 92.1%    7.9%   
Kultur 89.8%    10.2%   
Sozialhilfe 88.6%    11.4%   
Sport-Sportanlagen 88.5%    11.5%   
Landschafts- und Ortsbildschutz 88.4%    11.6%   
Umweltschutz 85.7%    14.3%   
Gemeindepolizeiliche Aufgaben 83.2%    16.8%   
Familienergänzende Kinderbetreuung 83.1%    16.9%   
Unterstützung und Betreuung älterer Personen 82.3%    17.7%   
Energieversorgung 80.0%    20.0%   
Spitex 79.1%    20.9%   
Alters- und Pflegeheime 74.0%    26.0%   
Öffentlicher Verkehr 73.1%    26.9%   
Jugendarbeit 68.5%    31.5%   
Wirtschaftsförderung 64.0%    36.0%   
Integration von Ausländern 62.8%    37.2%   
Betreuung von Asylsuchenden 55.6%    44.4%   
Unterstützung und Betreuung von Arbeitslosen 50.8%    49.2%   
Betreuung von Drogenabhängigen 34.2%    65.8%   

Bemerkungen: Gemeindebefragung 2017, Nmin 1'726, Nmax 1’765

Weniger häufig zu den Gemeindeaufgaben gezählt werden neben der Wirtschaftsförderung vor allem Bereiche des Sozialwesens respektive der Sozialarbeit. Dies umfasst die Betreuung von Drogenabhängigen, die Unterstützung und Betreuung von Arbeitslosen, die Betreuung von Asylsuchenden, die Integration von Ausländern sowie die Jugendarbeit.

Erbringung Gemeindeaufgaben von Gemeindegrösse abhängig

Mit zunehmender Bevölkerungszahl steigt in der Regel auch der Aufgabenumfang einer Gemeinde. Aber es gibt auch grosse Unterschiede zwischen den Kantonen. Wie unsere Analysen zeigen, sind die kantonalen Differenzen im Bereich Soziales am Grössten. In der Betreuung von Arbeitslosen und Asylsuchenden sowie bei der Jugendarbeit und der familienunterstützenden Kinderbetreuung sind die Gemeinden in den Westschweizer Kantonen etwas weniger häufig aktiv als in den Deutschschweizer Kantonen.

Kantonale Unterschiede finden sich auch bei der Wirtschaftsförderung und den gemeindepolizeilichen Aufgaben. Letztere sind eher auf der kantonalen als auf der kommunalen Ebene angesiedelt. Kaum Abweichungen ergeben sich hingegen in den Bereichen Regierung & Verwaltung, Bau- und Umwelt,  Infrastruktur und Verkehr sowie Bildung, Kultur und Sport.

Es zeigt sich somit, dass das Spektrum an Aufgaben, das die Gemeinden bewältigen, in den meisten Fällen sehr vielschichtig ist und von Regierung und Verwaltung über Bau und Umwelt bis zur Wirtschaftsförderung eine grosse Vielfalt an Themengebieten umfasst. Insgesamt bezeichnen die Gemeindeschreiber auf einer Liste mit 32 Aufgaben im Durchschnitt 27 davon als Gemeindeaufgaben. Kaum anzutreffen sind Gemeinden, welche weniger als 15 Gemeindeaufgaben nennen und auch Gemeinden mit unter 20 Aufgaben sind relativ selten.

Breite und Tiefe der Aufgabenerbringung

Je grösser die Zahl der Aufgaben, welche eine Gemeinde erbringt, desto wichtiger wird die Arbeit der Behörden. Die Anzahl der Aufgaben, welche eine Gemeinde zu erbringen hat, kann als Breite des Aufgabenportfolios (policy scope) bezeichnet werden. Dem wird in der Regel zu Recht entgegengehalten, dass vor allem mit Blick auf die Bedeutung und Eigenständigkeit der Gemeinde nicht die Zahl der Aufgaben ausschlaggebend ist, sondern die Frage, ob eine Gemeinde bei der Aufgabenerbringung auch eigenständige Entscheidungskompetenzen hat. Dies kann als Tiefe der Aufgabenerbringung bezeichnet werden (effective political discretion).

Im Durchschnitt liegen bei 4.3 Aufgaben die Entscheidungskompetenzen bei den Gemeinden. Etwas mehr als 30 Prozent der Gemeinden haben 6 und mehr Aufgabenbereiche, bei denen sie selbst entscheiden und etwa ein Fünftel hat bestenfalls in einem Aufgabenbereich selbständige Entscheidungskompetenzen.

Gemeindemonitoring 2017
Zur Erfassung der Tiefe der Aufgabenerbringung haben wir uns auf 13 unterschiedliche Aufgabenbereiche beschränkt. Die Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber konnten für die ausgewählten Aufgabenbereiche angeben, wie weit bei den Entscheidungen, bei der Finanzierung und beim Vollzug ihre Gemeinde jeweils selbst, ihre Gemeinde zusammen mit dem Kanton oder mehrheitlich der Kanton zuständig ist.

Eindeutig Gemeindesache: Sport, Wohnungsbau, Kultur und Jugend

Am häufigsten in das vollumfängliche Zuständigkeitsgebiet der Gemeinden fallen die Bereiche Sport, gefolgt vom Wohnungsbau, der Kultur und Jugendfragen. Hierbei handelt es sich um klassische Gemeindeaufgaben, bei denen die höheren Ebenen nur beschränkt aktiv sind. Interessant ist, dass vor allem in den Bereichen Sport und Wohnungsbau die Anteile der Gemeinden, die angeben, dass sie auch für die Finanzierung und den Vollzug zuständig sind, vergleichbar gross ausfallen. Es ist daher – zumindest auf aggregierter Ebene – davon auszugehen, dass man der Forderung nach fiskalischer Äquivalenz in diesen Aufgabengebieten, aus Sicht der befragten Gemeindevertretern, am nächsten kommt.

Ähnlich hohe Anteile finden sich nur noch bei den Aufgabenbereichen Gesundheit und öffentlicher Verkehr, für welche die Gemeinden aus leicht verständlichen Gründen kaum allein verantwortlich sind. In diesen beiden Aufgabenbereichen liegen sämtliche Kompetenzen deutlich häufiger allein beim Kanton. In diese Aufgabenkategorie fallen teilweise auch die Polizei, wobei allerdings hier die Zuständigkeitswerte nur geringfügig höher liegen als bei den Gemeinden.

Bei der Krippenbetreuung gehen immer noch knapp 50 Prozent der Gemeinden davon aus, dass die Entscheidungen in ihren Händen liegen und ebenso viele sind auch selbst für die Finanzierung und vor allem für den Vollzug verantwortlich. Bei der Sozialhilfe und der Altersbetreuung gehen dann die alleinigen Zuständigkeiten der Gemeinden zurück. In diesen Bereichen ist die kommunale Ebene aber noch relativ häufig allein für den Vollzug zuständig. Besonders ausgeprägt ist dieses Muster bei der Schule, wo viele Gemeinden für die Umsetzung verantwortlich sind, während die Entscheidungen und die Finanzierung mit dem Kanton geteilt werden.

Während bei den Baubewilligungen vor allem der Vollzug und die Finanzierung den Gemeinden zufallen und lediglich ein Drittel der Gemeinden angibt, auch eigenständig entscheiden zu können, geht dieser Anteil bei der Bau- und Zonenordnung, auf rund 10 Prozent der Gemeinden zurück. Dies liegt daran, dass die Raumplanung noch stärker von übergeordnetem Recht dominiert wird – nicht zuletzt auch aufgrund der Einführung des neuen Raumplanungsgesetzes (RPG) auf Bundesebene im Jahre 2014.

Einfluss der Gemeindegrösse, der Sprachregion und der Kantonszugehörigkeit

Je grösser eine Gemeinde ist, desto breiter ist ihr Aufgabenportfolio und desto tiefer greift ihre Zuständigkeit bei der selbständigen Aufgabenerbringung. Policy scope und effective political discretion korrelieren positiv mit der Gemeindegrösse. Der Aufgabenumfang der Gemeinden (Breite) erweist sich trotz ihrer häufig sehr kleinen Bevölkerungszahl als relativ gross. Zwischen Städten und Kleinstgemeinden sind die Unterschiede weniger markant als man es vielleicht erwarten würde.

Ausgeprägt sind die Differenzen zwischen den Gemeinden verschiedener Kantone und den Sprachregionen. In den deutschsprachigen Gemeinden werden am meisten Aufgaben als Gemeindeaufgaben aufgeführt, gefolgt von den rätoromanischen Gemeinden, den italienischsprachigen und den französischsprachigen Gemeinden. Auch was die Tiefe der Aufgabenerbringung anbelangt, so zeigen sich dieselben Unterschiede

Anschaulich ist schliesslich die Zusammenstellung der Resultate auf Ebene der Kantone, wie dies aus Abbildung 1 ersichtlich wird. Bei den Kantonen, in denen die Gemeinden in weniger Aufgabenbereichen aktiv sind, handelt es sich um Kantone der französisch- oder italienischsprachigen Schweiz. Die Muster für Tiefe und Breite der Aufgabenerbringung sind einander sehr ähnlich. Besonders gross sind die Unterschiede beim Sozialwesen und teilweise bei der Schule und der Polizei.

Abbildung 1: Policy Scope: Durchschnittliche Anzahl an Gemeindeaufgaben 2017 nach Kantonen

Quelle: Gemeindebefragung 2017, Nmin 2, Nmax 302 und Nmin 2, Nmax 289

«Starke» und «schwache» Gemeinden

Abschliessend soll überprüft werden, inwieweit Breite und Tiefe der Aufgabenerbringung Hand in Hand gehen oder ob sie konkurrenzierende Formen der Aufgabenorganisation darstellen. Unsere Analysen zeigen, dass sie nicht völlig unabhängig voneinander sind. Der mittelstarke Korrelationskoeffizient von 0.400 bedeutet, dass Gemeinden mit mehr Aufgaben auch in mehr Aufgabenbereichen selbst entscheiden. Konkret heisst das, dass die Gemeinden, die für viele Aufgaben zuständig sind, tendenziell auch über mehr Kompetenzen verfügen.

Knapp ein Drittel der Gemeinden erbringt wenig Aufgaben und hat auch geringe Entscheidungskompetenzen (vgl. Tabelle 2, «Schwache» Gemeinden). Diesen Gemeinden steht ein ebenso grosser Anteil von Gemeinden gegenüber, welche überdurchschnittlich viele Aufgaben wahrnehmen und auch entsprechend häufig über eigene Entscheidungskompetenzen verfügen («Starke» Gemeinden). Etwa ein Fünftel der Gemeinden erbringt zwar viele Aufgaben, hat aber insgesamt eher wenig zu sagen (Vollzugsgemeinden), während knapp 15 Prozent der Gemeinden für unterdurchschnittlich viele Aufgaben zuständig sind, aber dafür überdurchschnittliche Entscheidungskompetenzen besitzen (Partiell «starke» Gemeinden).

Tabelle 2: Einteilung der Gemeinden nach Breite und Tiefe der Aufgabenerbringung (in Prozentanteilen)
  Entscheidungskompetenzen (Tiefe)
Tief Hoch
Anzahl an Gemeinde-Aufgaben (Breite) Tief 1. "Schwache" Gemeinden
(32.6%)
3. Partiell "starke" Gemeinden
(14.5%)
Hoch 2. Vollzugsgemeinden
(20.3%)
4. "Starke" Gemeinden
(32.6%)

Bemerkungen: Gemeindebefragung 2017, N=1695

Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Gemeinden vielerorts nicht nur vielfältige Aufgaben erfüllen, sondern ihnen auch in verschiedenen Aufgabenbereichen die Entscheidungskompetenzen zufallen. Dies hängt jedoch stark von der Gemeindegrösse sowie der sprachregionalen und kantonalen Zugehörigkeit der Gemeinde ab. In der Tat gibt es bezüglich der Ausgestaltung der Aufgabenerbringung relativ grosse Unterschiede zwischen den verschiedenen Gemeinden.

Gemeindebefragungen
Nachdem bereits in früheren nationalen Gemeindebefragungen (beispielsweise der Jahre 1994, 1998, 2005 und 2009) nach der Art und Weise der Aufgabenerbringung (Zweckverband, Vertrag) gefragt wurde und die Gemeindeschreiberinnen und Gemeindeschreiber bereits 1994 und 2009 indirekt angeben konnten, ob es sich bei einer Aufgabe aus ihrer Sicht nicht um eine Gemeindeaufgabe handelt, wurde im Gemeindemonitoring 2017 ganz direkt danach gefragt.[2] Zudem wurde ermittelt, für welche Aspekte der Aufgabenerbringung die Gemeinden verantwortlich sind. Die Daten sind hier verfügbar.


Referenzen:

[1]   Für mehr über die Aufgabenerbringung in den Gemeinden vgl. Ladner, Andreas und Alexander Haus (2021). Aufgabenerbringung der Gemeinden in der Schweiz: Organisation, Zuständigkeiten und Auswirkungen. Chavannes-près-de-Renens: Cahier de l’IDHEAP No. 315/2021.

[2]   Mehr Ergebnisse aus dem Gemeindemonitoring 2017 finden sich in: Steiner, Reto, Andreas Ladner, Claire Kaiser, Alexander Haus, Ada Amsellem und Nicolas Keuffer (2021). Zustand und Entwicklung der Schweizer Gemeinden. Ergebnisse des nationalen Gemeindemonitorings 2017. Chur/Glarus: Somedia Buchverlag, Edition Rüegger. Das Gemeindemonitoring 2017 und die entsprechenden Publikationen basieren auf dem durch den Schweizer Nationalfonds geförderten Forschungsprojekt Local Autonomy and Local Public Sector Reforms (Projektnummer: 10001A_162948).

Bild: Abfallsentsorgung als typische Gemeindeaufgabe (Containerlandschaft in Barcelona)