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Wie gelingt internationale Verantwortungsteilung? Asyl- und Klimapolitik im Vergleich

Philipp Lutz, Anna Stünzi, Stefan Manser-Egli
27th May 2021

Menschen auf der Flucht haben Anspruch auf humanitären Schutz in einem sicheren Land – doch welches Land soll dafür zuständig sein? In der Praxis sind bisherige Bemühungen gescheitert, verbindliche Regelungen zur gemeinsamen Verantwortungsteilung in der Asylpolitik zu etablieren. Ein Vergleich mit der internationalen Klimapolitik zeigt, wie ein wirksamer Rahmen aussehen könnte.

Laut Völkerrecht haben Geflüchtete Anspruch auf humanitären Schutz in einem sicheren Land. Welches Land für welche Geflüchteten zuständig sein soll, bleibt jedoch eine umstrittene und ungelöste Frage der internationalen Asylpolitik – insbesondere im Falle akuter Fluchtbewegungen. Weil Staaten primär darum bemüht sind, die Aufnahme schutzsuchender Personen möglichst gering zu halten, ist kollektives Handeln im Sinne einer Verantwortungsteilung notwendig um wirkungsvollen humanitären Schutz zu etablieren (siehe Lutz et al. 2020). Bis heute scheitern solche Bemühungen in der Praxis, da die meisten Länder nicht bereit sind, verbindliche Regelungen zur Aufnahme von Geflüchteten einzugehen.

Während die allgemeine Norm der Verantwortungsteilung, also eine gerechte und ausgewogene Verteilung von Geflüchteten auf die Aufnahmeländer, sowohl bei Staaten als auch in der Bevölkerung breite Unterstützung findet, mangelt es eklatant an ihrer Umsetzung. Fortschritte diesbezüglich erfordern ein besseres Verständnis für die Übersetzung der abstrakten Norm der Verantwortungsteilung in konkrete Pflichten von Staaten durch die Ausdifferenzierung der Schutzverantwortung.

Die Klimapolitik bietet einen aufschlussreichen Vergleich, um die verschiedenen Optionen und Herausforderungen bei der Etablierung einer effektiven, internationalen Verantwortungsteilung in der Asylpolitik besser zu verstehen (siehe Lutz et al. 2021). Die beiden Politikbereiche sind durch ähnliche Herausforderungen geprägt, da sie beide kollektives Handeln von Staaten erfordern, um ein internationales öffentliches Gut durch die Verteilung von Verantwortlichkeiten bereitzustellen. In der Klimapolitik ist dies die Bewahrung eines stabilen Klimas durch eine kollektive Anstrengung zur Reduktion von Treibhausgasemissionen. In der Asylpolitik ist dies die Bereitstellung von humanitärem Schutz durch eine kollektive Anstrengung, die Verantwortung für den Schutz gerecht unter den Staaten zu verteilen.

Lehren aus Asyl- und Klimapolitik

Die Aufteilung von Verantwortung erfordert die Bestimmung spezifischer staatlicher Pflichten auf eine gerechte und ausgewogene Weise. Zu diesem Zweck stehen eine Reihe von Gerechtigkeitsprinzipien zur Verfügung, wie beispielsweise das Verursacherprinzip (Verteilung der Verantwortung proportional zur Verursachung des Problems) oder das Kapazitätsprinzip (Verteilung der Verantwortung proportional zur Kapazität der Staaten, das Problem zu lösen). Jeder Mechanismus zur Verantwortungsteilung zielt darauf ab Staaten auf Regeln zu verpflichten wie diese zum internationalen öffentlichen Gut beitragen sollten. Die Geschichte der Flüchtlingspolitik zeigt, dass die Umsetzung der Verantwortungsteilung auf zwei verschiedene Arten angegangen wurde, die den Erfahrungen in der internationalen Klimapolitik ähneln: ein fester Verteilungsschlüssel und ein flexibler globaler Rahmen.

Ein fester Verteilungsschlüssel

Während der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 schlug die EU-Kommission einen «Verteilungsschlüssel» vor, um Schutzsuchende auf ihre Mitgliedsstaaten zu verteilen. Unter Verwendung objektiver, quantifizierbarer und überprüfbarer Indikatoren wurde bestimmt, welchen Anteil Schutzsuchender die verschiedenen Mitgliedsstaaten aufnehmen sollten. Dies war der umfassendste Versuch, einen verbindlichen Mechanismus zur Verteilung der Verantwortung zu etablieren. Es gelang jedoch nicht, ihn während der Krise erfolgreich zu implementieren oder als dauerhaftes Verteilungsschema zu installieren. Asymmetrische Interessen zwischen den Staaten hinderten diese daran, verbindliche Verpflichtungen einzugehen, die sie dazu verpflichten würden, mehr Geflüchtete aufzunehmen.

In ähnlicher Weise einigten sich die Staaten 1997 im Kyoto-Protokoll, dem ersten umfassenden Abkommen zur Bekämpfung des Klimawandels, auf feste Reduktionsziele. Mehrere Hauptemissionsländer weigerten sich jedoch entweder, das Protokoll zu ratifizieren (z.B. die USA) oder verließen es nach der ersten Periode (z.B. Kanada). In Kombination mit den wachsenden Emissionen der Industrie- und Schwellenländer deckte das Abkommen letztlich weniger als 20% der weltweiten Emissionen ab und konnte den Trend des wachsenden Treibhausgasaustosses nicht umkehren.

Flexibler globaler Rahmen

In jüngerer Zeit wurden auf globaler Ebene ehrgeizige Bemühungen zur Etablierung einer gemeinsamen Verantwortung in der Asylpolitik unternommen. Der UN Global Compact on Refugees (2018) hat das Ziel, die internationale Zusammenarbeit zu stärken. Ursprünglich sollte er sich auf eine gerechte Aufteilung der Verantwortung konzentrieren, aber dieses Ziel wurde erheblich abgeschwächt, da die Staaten keine zusätzlichen verbindlichen Verpflichtungen zur Aufteilung der Verantwortung akzeptiert haben. Während dieses Ergebnis auf den ersten Blick ernüchternd erscheint, zeigen neuere Entwicklungen in der Klimapolitik, dass ein globaler Konsens über gemeinsame Verantwortlichkeiten ein erster Schritt zu einer effektiven Verantwortungsteilung sein könnte.

In den Verhandlungen über eine Nachfolgevereinbarung zum Kyoto-Protokoll weigerten sich die Staaten, sich zu strikten Emissionsreduktionen zu verpflichten. Das Pariser Abkommen überlässt es stattdessen den einzelnen Staaten, ihren fairen Beitrag festzulegen. Gleichzeitig enthält das Abkommen jedoch verbindliche Verpflichtungen, wie die länderspezifischen Beiträge zum Klimaschutz vorbereitet, kommuniziert und eingehalten werden sollen. Außerdem verpflichtet es die Staaten, ihr Ambitionsniveau im Laufe der Zeit zu erhöhen.

Der Erfolg des Pariser Abkommens zur Erreichung der notwendigen Emissionsminderungen und der Anpassung an die klimatischen Veränderungen wird genau beobachtet und evaluiert werden müssen. Die aktuellen Verpflichtungen und Zusagen der Staaten sind weit davon entfernt,  die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen. Dennoch lässt sich festhalten, dass das Abkommen darin erfolgreich war, alle Parteien einzubeziehen und sie in einem ersten Schritt zu verpflichten, sich den kollektiven Bemühungen im Umgang mit dem Klimawandel anzuschließen.

Es gibt also verschiedene Möglichkeiten, die internationale Verantwortungsteilung zu regeln. Einerseits sind dies der EU-Verteilungsschlüssel und das Kyoto-Protokoll als verbindliche Instrumente (hard law) mit einer festen Regel zur Bestimmung der «fairen Anteile» der Staaten. Sie waren weitgehend ineffektiv bei der Erreichung ihres politischen Ziels, da sie von den Staaten nicht eingehalten oder ignoriert wurden. Andererseits sind dies der Global Compact on Refugees als ein unverbindliches Instrument (soft law), und das Pariser Abkommen bestehend aus einer Kombination aus hard und soft law. Beide Abkommen überlassen es den Staaten, ihre spezifischen Beiträge zur gemeinsamen Verantwortung zu bestimmen. Diese globalen Rahmenwerke beruhen auf langwierigen Verhandlungen, wurden aber letztlich erfolgreich verabschiedet. Sie enthalten jedoch keine strikt verbindlichen Verpflichtungen und es fehlt ihnen eine konkrete Regel zur Verantwortungsverteilung unter den Staaten.

Zielkonflikte bei der Ausgestaltung der Verantwortungsteilung

Aus dem Vergleich der Bemühungen um eine wirksame Aufteilung der Verantwortung im Asyl- und Klimabereich können wir Lehren ziehen, wie ein wirksamer Rahmen gestaltet werden kann. Wie bei jeder internationalen Kooperation ist die Teilung von Verantwortung dann effektiv, wenn sie ausreichend strenge Verpflichtungen der Staaten umfasst, aber auch eine ausreichende Unterstützung und Einhaltung dieser Verpflichtungen zu gewährleisten vermag. Daraus ergeben sich Zielkonflikte: Jeder Verteilungsmechanismus muss ein Gleichgewicht herstellen zwischen verbindlichen, durchsetzbaren Regeln, die auf spezifischen und vorhersehbaren Kriterien beruhen, und der Flexibilität, länderspezifische und zeitlich veränderliche Umstände zu berücksichtigen.

Diese Zielkonflikte führen uns die Herausforderungen bei der Umsetzung von Verantwortungsteilung in der gegenwärtigen Asylpolitik vor Augen und machen deutlich, dass es keine allgemeingültige Formel gibt. Der vielversprechendste Weg besteht unserer Ansicht nach darin, sich der konkurrierenden Ziele bewusst zu sein und sie optimal auszubalancieren. Die jüngsten Errungenschaften des Pariser Abkommens und des Global Compact on Refugees stellen einen solchen Ansatz dar: Umfassende Abkommen zur gemeinsamen Verantwortung basierend auf einem Bottom-up-Ansatz bei denen die Staaten ihre Beiträge zum globalen Gemeinwohl zwar selbst festlegen können, jedoch institutionelle Regeln einen “Gruppendruck” (peer pressure) erzeugen, einen ausgewogenen Beitrag zu leisten.

Hinweis: Dieser Beitrag ist basiert auf einem Beitrag der AutorInnen mit dem Titel “Making responsibility-sharing operational: Comparing asylum and climate governance” welcher im Mai 2021 auf der Plattform ‘Rethinking Refuge’ des Refugee Studies Centre der Universität Oxford erschienen ist.


Referenzen: 

  • Lutz, Philipp, David Kaufmann, and Anna Stünzi (2020) Humanitarian Protection as a European Public Good: The Strategic Role of States and Refugees. Journal of Common Market Studies. 58(3): 757-775. https://doi.org/10.1111/jcms.12974
  • Lutz, Philipp, Anna Stünzi, and Stefan Manser-Egli (2021) Responsibility-sharing in refugee protection: Lessons from climate governance. International Studies Quarterly, forthcoming. https://doi.org/10.1093/isq/sqab016

Bild: unsplash.com