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Optimierte schulische Einzugsgebiete für mehr Chancengerechtigkeit in Schweizer Städten

Oliver Dlabac, Adina Amrhein, Fabienne Hug
30th März 2021

Die Zusammensetzung von Schulen spiegelt die soziale und ethnische Ungleichverteilung in den Quartieren eins zu eins. Um Chancengerechtigkeit bereits in frühen Jahren zu ermöglichen, sind stärker durchmischte Schulen nötig. Je nach Quartier können bereits kleinräumige Anpassungen an den Grenzen der Einzugsgebiete die Durchmischung verbessern. Der entwickelte Algorithmus kann dabei helfen. Dies bestätigt die Folgestudie des Zentrums für Demokratie Aarau (ZDA), die die 2019 erstellte Pilotstudie zur Stadt Zürich um fünf weitere Städte ergänzt.

In keinem OECD-Land wirkt sich die Zusammensetzung der Schulen nach sozialer und sprachlicher Herkunft so stark auf die Schulleistung der einzelnen Schülerinnen und Schüler aus wie in der Schweiz. Ein erfolgreicher Bildungsweg und gute berufliche Voraussetzungen hängen – zumindest teilweise – davon ab, in welchem Schulhaus jemand zur Schule geht. Dieser Umstand gefährdet die Chancengerechtigkeit – insbesondere bei Schülerinnen und Schülern aus Quartieren mit hohem Anteil von migrantischen und sozial schwächeren Familien. Um Chancengerechtigkeit herzustellen, wäre eine stärkere Durchmischung an Schulen nötig. 

Die vorliegende Studie untersuchte am Beispiel der Städte Basel, Bern, Genf, Lausanne, Winterthur und Zürich die Schulzuteilung von Kindern auf der Unterstufe. Zugleich prüfte sie, welche Veränderungen an den Grenzen der Einzugsgebiete nötig wären, um eine bessere soziale und ethnische Durchmischung zu erreichen. Um Schulzuteilung und Schulraumplanung in diesem Sinn zu unterstützen, haben die Autorinnen und Autoren der Studie einen Optimierungsalgorithmus konzipiert.

Schuldurchmischungs-Algorithmus
Eine erste, grobe Zuteilung der Schüler/innen erfolgt in der Schweiz auf der Grundlage von Einzugsgebieten. Diese Einzugsgebiete werden jährlich angepasst, um ausgewogene Klassenbestände zu gewährleisten. Das datengestützte Verfahren schlägt an den Grenzgebieten Anpassungen vor, welche neben ausgewogenen Klassenbeständen und kurzen und sicheren Schulwegen auch eine Nivellierung in der Zusammensetzung der Schulen anstrebt. Hierzu wird für sämtliche Schulen und Strassenblöcke ein «Konzentrationsindex» zum Anteil Schüler/innen mit Fremdsprachigkeit und mit niedrigem Bildungshintergrund berechnet und anschliessend werden in einem intuitiv nachvollziehbaren Verfahren nach möglichst förderlichen Abtauschen von Strassenblöcken im Grenzgebiet zwischen den Schulen gesucht.

  • Die Zusammensetzung der Schulen in der Unterstufe widerspiegelt die soziale und ethnische Ungleichverteilung in den Quartieren eins zu eins. Allfällige Bestrebungen der Städte, der ausgeprägten Entmischung entgegenzuwirken, sind in der Analyse keine ersichtlich.
  • Der international anerkannte Befund eines – in der Schweiz besonders ausgeprägten – Effekts der sozialen und kulturellen Zusammensetzung von Schulen auf die individuellen Schulleistungen («Kompositionseffekt») kann dahingehend differenziert werden, dass ein negativer Effekt auf die Schulleistung erst ab einem Anteil von 40 Prozent Schüler/innen mit benachteiligtem Hintergrund eintritt. Die erneute Bestätigung eines solchen «Kippeffekts» lässt bestehende Ängste vieler Eltern vor einer stärkeren Durchmischung als unbegründet erscheinen. 
  • Die typischen Bildungswege unterscheiden sich stark je nach sozialer und ethnischer Zusammensetzung der städtischen Schulkreise oder Quartiere.
  • Der Optimierungsalgorithmus zeigt, dass je nach Stadt bereits kleinräumige Anpassungen an den Grenzen der Einzugsgebiete einen gewissen Ausgleich zwischen Schulen schaffen könnten, teilweise auch über Schulkreise hinweg.
  • Der Algorithmus berücksichtigt die Vorgaben für die Bestimmung von Einzugsgebieten: Schulweglänge/-sicherheit, Schulhauskapazitäten, gemeinsame Schulwege, Festhalten an «Quartierschulen».

Gerade den frühen Stufen der Volksschule werden eine zentrale Rolle für die gesellschaftliche Integration zugeschrieben. Insgesamt macht die Studie deutlich, dass das Potenzial, diese Integration an städtischen Schulen zu ermöglichen, noch wenig ausgeschöpft wird. 

Handlungsempfehlungen der Studie
  • Der Durchmischung an Schulen sollte bereits bei der Festlegung der Einzugsgebiete und Schulzuteilung Rechnung getragen werden.
  • Schulraumplanung und Schulhausbau sollten stärker darauf ausgerichtet sein, die Durchmischung an städtischen Schulen zu fördern.
  • Der Stadtentwicklungspolitik und dem privaten und gemeinnützigen Wohnungsbau kommt für die Erreichung durchmischter Quartiere und damit durchmischter Schulen eine zentrale Rolle zu. Gleichzeitig sollte bei der Aufwertung von Quartieren darauf geachtet werden, dass sozial schwächere und bildungsferne Familien nicht weiter aus der Stadt gedrängt werden.
  • Der neu entwickelte Algorithmus kann in die bestehenden Schulzuteilungsverfahren integriert werden, ohne die Arbeitsschritte der Mitarbeitenden, die damit betraut sind, wesentlich zu verändern.
  • Um die gesellschaftliche Akzeptanz zu erhöhen, sollen im Falle einer Anwendung die festgelegten Parameter des Algorithmus offengelegt und die Zuteilungspraxis der Behörden offen kommuniziert werden.

«Stärker durchmischte Schulen können auch zu einer stärkeren Durchmischung der Wohnquartiere beitragen. Mit der Studie soll auch ein neuer Impuls zur aktuellen Debatte über Bildungsgerechtigkeit in der Schweiz geliefert werden. Zusätzlich zur Umsetzung spezieller Programme für Schulen mit hohen Anteilen an Fremdsprachigen sollten die Schulbehörden dafür sorgen, dass die Schulen stärker durchmischt werden.

«Soziale und ethnische Vielfalt ist in urbanen Räumen längst eine Realität. Zum städtischen Raum gehört auch eine durchmischte Volksschule», sagt Studienautor Oliver Dlabac.

Informationen zur Studie
Die Studie entstand als Ergänzung zum laufenden internationalen Forschungsprojekt «Die demokratischen Grundlagen der gerechten Stadt», das vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert und vom Zentrum für Demokratie Aarau in Zusammenarbeit mit der Universität Birmingham (UK) durchgeführt wird. Die Untersuchung wurde von der Stiftung Mercator Schweiz und der Stadtentwicklung Zürich finanziert.


Referenz:

Dlabac, Oliver; Amrhein, Adina; Hug, Fabienne (2021): Durchmischung in städtischen Schulen – eine politische Aufgabe? Optimierte schulische Einzugsgebiete für Schweizer Städte. ZDA: Aarau.

Bild: Pädagogische Hochschule Zürich