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Frauen und Politik der anderen Art: der politische Konsum

Deborah Kalte
18th März 2021

Konsumentscheidungen werden zunehmend aus politischen, ethischen, sozialen, oder ökologischen Motiven getroffen. Frauen treffen häufiger politisch motivierte Kaufentscheide als Männer. Dies kann jedoch nicht allein dadurch erklärt werden, dass Frauen häufiger einkaufen gehen. Es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede in den Persönlichkeitsmerkmalen, die einen zusätzlichen Teil der Geschlechtsdifferenz im politischen Konsumverhalten erklären können.

Aarauer Demokratietage

Politischer Konsum als unkonventionelle Form politischer Beteiligung

Eine wachsende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern berücksichtigt beim täglichen Einkauf und Konsum, woher ein Produkt kommt und wie es hergestellt wurde. Zum einen werden Produkte, die beispielsweise unter fairen und sozialen Arbeitsbedingungen hergestellt wurden (Fairtrade) oder bestimmten ökologischen Standards entsprechen (Bio), gegenüber konventionellen Produkten bevorzugt. Zum anderen werden gewisse Lebensmittelproduzenten oder Kleidungshersteller boykottiert, welche ihre Produkte unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, nicht artgerechter Tierhaltung oder mittels umweltschädlicher Prozesse herstellen.

Wenn Konsumenten ihre Kaufkraft benützen, um politische, ethische, soziale oder ökologische Anliegen zu äussern und anzugehen, dann spricht man von politischem Konsumverhalten. Politischer Konsum stellt somit eine unkonventionelle und alternative Form dar, mittels der sich die Bevölkerung zunehmend politisch beteiligt.

Umgekehrte Geschlechtsdifferenz im politischen Konsumverhalten

Während klassische Formen der politischen Beteiligung wie beispielsweise die Mitarbeit an oder die finanzielle Unterstützung von Kampagnen oder der Beitritt zu Parteiorganisationen seit jeher eindeutig von Männern dominiert werden, finden wir einen gegenläufigen Trend bei neueren, unkonventionellen Beteiligungsformen.

Die Forschung zum politischen Konsumverhalten dokumentiert eine anhaltende umgekehrte Geschlechterdifferenz. Frauen boykottieren häufiger Produkte oder kaufen häufiger bewusst bestimmte Produkte ein als Männer. Dies ist ein Hinweis dafür, dass sich Frauen nicht generell weniger politisch engagieren als Männer, sondern anders.

Bisherige Versuche, die umgekehrte Geschlechterdifferenz zu erklären, stützen sich auf drei klassische theoretische Modelle, die entwickelt wurden, um geschlechtsspezifische Unterschiede in traditionellen Formen politischer Partizipation zu beleuchten (siehe Box).

Diese drei Modelle liefern in der Tat wertvolle Hinweise darauf, warum sich Frauen stärker als Männer an politischen Konsumaktivitäten beteiligen. Doch selbst wenn alle diese Faktoren empirisch berücksichtigt werden, sind es immer noch eher Frauen als Männer, die nach ethischen, sozialen und ökologischen Standards einkaufen. 

Geschlechterdifferenz in der politischen Beteiligung
An erster Stelle der klassischen Modelle steht das Argument, dass Frauen im Vergleich zu Männern strukturell, d.h. sozioökonomisch, benachteiligt sind und sich daher eher zu alternativen, weniger institutionalisierten Formen des Engagements hingezogen fühlen.

Als weitere Erklärung wird angeführt, dass Frauen dazu neigen, sich in Formen der politischen Partizipation zu engagieren, die mit ihrer zeit- und energieaufwendigen Situation als Mütter und Hausfrauen vereinbar sind. Da Frauen häufiger die Einkäufe für die Familie erledigen, liegt es nahe, dass sie somit beim politischen Konsumverhalten dominieren.

Drittens wird argumentiert, dass sich Frauen aufgrund geschlechtsspezifischer Sozialisation, eher in privaten und weniger "öffentlichen" Formen der politischen Beteiligung engagieren.

Geschlechterunterschiede in Persönlichkeitsmerkmalen und politischem Konsumverhalten

Bisherige Forschungen deuten darauf hin, dass bestimmte Persönlichkeitsmerkmale – gemessen anhand des «Big Five»-Modells – wichtige Faktoren sind, um besser zu verstehen, warum sich Menschen in der einen oder anderen Form politisch engagieren.

Politisches Konsumverhalten scheint hauptsächlich von jenen ausgeübt zu werden, die höhere Werte bei den Persönlichkeitsmerkmalen Offenheit für Erfahrungen und Verträglichkeit haben. Ausserdem zeigen mehrere empirische Studien systematische Geschlechterunterschiede in den Persönlichkeitsmerkmalen auf. Im Allgemeinen erzielen Frauen systematisch höhere Werte auf den Dimensionen Verträglichkeit, Neurotizismus und Gewissenhaftigkeit. Aufgrund dieser Erkenntnisse argumentieren wir, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in den Persönlichkeitsmerkmalen eine alternative Erklärung für die geschlechtsspezifischen Unterschiede im politischen Konsumverhalten liefern könnten. Unsere empirische Analyse findet Belege für dieses Argument: geschlechtsspezifische Unterschiede in Persönlichkeitsmerkmalen, insbesondere in der Verträglichkeit, können einen signifikanten Teil der umgekehrten Geschlechtsdifferenz im politischen Konsumverhalten erklären.

Daten und Methode
Für unsere Studie haben wir Umfragedaten verwendet, die speziell für die Messung des politischen Konsums in der Schweiz entwickelt wurden.

Die Umfrage ist Teil eines vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierten Forschungsprojekts und wurde im Auftrag des Zentrums für Demokratie Aarau und der Universität Zürich im Jahr 2017 durchgeführt (Projekt-Nr. 10001A_169156). Daran teilgenommen haben Personen ab 16 Jahren aus der deutsch- und französischsprachigen Schweiz, die auf Basis von Meldedaten des Bundesamtes für Statistik zufällig ausgewählt wurde. Insgesamt nahmen 3’694 Personen an der Befragung teil, die Rücklaufquote betrug 46%.

Wir definieren Personen als politische Konsumenten, wenn sie in den letzten sechs Monaten häufig aus politisch motivierten Gründen Produkte boykottiert und/oder gekauft haben. Die Persönlichkeitsmerkmale haben wir anhand des «Big-Five»-Modells gemessen, mit den Ausprägungen Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Neurotizismus. Um unsere Hypothesen zu untersuchen, verwendeten wir eine Mediationsanalyse: es wurde analysiert, ob der Effekt von Geschlecht auf das politischen Konsumverhalten über die Persönlichkeitsmerkmale Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für Erfahrungen umgeleitet wird.

Hinweis: Dieser Beitrag ist die schriftliche Kurzfassung des Referats der Autorin, gehalten am 18. März 2021 im Rahmen der 13. Aarauer Demokratietage des Zentrums für Demokratie, Aarau. 

Referenz:

Bild: pixabay.com