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Kaufen oder boykottieren? Die psychologischen Wurzeln des politischen Konsums

Kathrin Ackermann, Birte Gundelach
18th November 2020

Immer mehr Menschen möchten ihrer politischen Meinung durch bewusste Kaufentscheidungen Ausdruck verleihen. Das bewusste Kaufen (Buykott) und das bewusste Nicht-Kaufen (Boykott) von Produkten aus ethischen oder politischen Gründen gehören zu den am häufigsten genutzten neuen Partizipationsformen. Eine neue Studie untersucht anhand von Umfragedaten aus der Schweiz, inwiefern der politische Konsum psychologische Wurzeln hat. Die Ergebnisse zeigen, dass Persönlichkeitsmerkmale einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, um zu erklären wer ein politischer Konsument ist und wer nicht.  

Die Art und Weise, wie Menschen sich am politischen Prozess beteiligen, verändert sich ständig: neue Formen der Partizipation kommen hinzu, alte verlieren an Bedeutung. Seit einigen Jahren ist zu beobachten, dass immer mehr Menschen ihrer politischen Meinung durch bewusste Kaufentscheidungen Ausdruck verleihen. Sie kaufen beispielsweise bewusst fair gehandelte Schokolade oder verzichten bewusst auf die Produkte von Konzernen, die für ihre Produktionsmethoden öffentlich in der Kritik stehen. Inzwischen gehören das bewusste Kaufen (Buykott) und das bewusste Nicht-Kaufen (Boykott) von Produkten aus politischen, ethischen oder ökologischen Gründen zu den am häufigsten genutzten Partizipationsformen in westlichen Demokratien. Im Ländervergleich zählt die Schweiz zu den Ländern, in denen der politische Konsum am stärksten verbreitet ist. Laut unserer Studie hat sich 2014 ungefähr die Hälfte der Befragten in den vergangenen zwölf Monaten schon einmal bewusst aus politischen, ethischen oder ökologischen Gründen für ein Produkt entschieden. 

Abbildung 1: Politischer Konsum in der Schweiz

Anmerkungen: Dargestellt ist der Anteil der Befragten, die sich an einer Form des politischen Konsums beteiligen. Boykott und Buykott schließen sich dabei nicht gegenseitig aus.
Lesebeispiel: 32 Prozent der Befragten geben an, bestimmte Produkte bewusst nicht zu kaufen (Boykott).
Quelle: Darstellung auf Basis von Ackermann und Gundelach (2020); Daten: Schweizer Freiwilligen Monitor 2014
Persönlichkeitseigenschaften als Erklärungsfaktoren für politische Partizipation

Im Vergleich zur Teilnahme an Demonstrationen oder dem Engagement in Parteien und politischen Vereinigungen, kann die bewusste politische Entscheidung für oder gegen ein Produkt individuell getroffen werden und bedarf nicht der Mitwirkung anderer. Daher argumentieren wir, dass individuelle Eigenschaften zur Erklärung dieser individualisierten und sachorientierten Form der Partizipation besonders relevant sein sollten. Unser empirischer Test dieses Arguments konzentriert sich auf die Rolle von Persönlichkeitseigenschaften. In der Psychologie hat sich die Beschreibung von Persönlichkeitseigenschaften anhand des Fünf-Faktoren-Modells («Big Five»-Modell) etabliert. Das Modell nimmt an, dass sich Individuen und ihre Verhaltenstendenzen anhand von fünf Persönlichkeitsmerkmalen – Offenheit für Erfahrungen, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus – unterscheiden lassen. Einer Person, die neugierig und interessiert an Neuem ist, wird beispielsweise ein hohes Maß an Offenheit für Erfahrungen attestiert. Studien zeigen, dass Persönlichkeitsmerkmale nicht nur das alltägliche Verhalten von Individuen beeinflussen, sondern auch deren Denken und Handeln in der politischen Sphäre.

Offenheit fördert, Gewissenhaftigkeit hemmt politischen Konsum

Um den Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und politischem Konsum zu ergründen, führen wir eine empirische Analyse anhand von Umfragedaten durch (siehe Infobox). Diese Analyse zeigt, dass vor allem die Persönlichkeitsmerkmale «Offenheit für Erfahrungen» und «Gewissenhaftigkeit» beeinflussen, ob eine Person zur politischen Konsumentin oder zum politischen Konsument wird. Offene Personen haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich an Boykott und Buykott zu beteiligen als weniger offene Personen. Ist eine Person hingegen sehr gewissenhaft, nimmt die Wahrscheinlichkeit der Beteiligung an politischem Konsum ab. Verträgliche Personen greifen indes nur zum Instrument des Buykotts, das als weniger konfliktbehaftet angesehen wird.

Abbildung 2: Der Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und politischem Konsum

Anmerkungen: Dargestellt sind die Regressionskoeffizienten (Punkte) und das 95%-Konfidenzintervall (waagrechte Linien) basierend auf einem logistischen Regressionsmodell zur Erklärung des politischen Konsums. Schneidet das Konfidenzintervall die gelbe Null-Linie nicht, ist der Effekt statistisch signifikant. Bei den kategorialen Kontrollvariablen dienen folgende Kategorien als Referenzkategorie: tertiäre Bildung, hohes Einkommen, städtische Wohnumgebung, Deutschschweiz.
Lesebeispiel: Das Modell zeigt, dass Personen mit starker Ausprägung der Persönlichkeitseigenschaft «Offenheit für Erfahrungen» eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, sich an Boykott und Buykott zu beteiligen, als Personen, bei denen diese Persönlichkeitseigenschaft schwach ausgeprägt ist.
Quelle: Darstellung auf Basis von Ackermann und Gundelach (2020); Daten: Schweizer Freiwilligen Monitor 2014
Einstellungen als Mittler?

Neben Persönlichkeitseigenschaften begünstigen oder verhindern natürlich noch andere individuelle Faktoren die Teilnahme an Boykott und Buykott. Immer wieder wird beispielsweise die Rolle von sozialen und politischen Einstellungen betont (Copeland und Boulianne 2020). Verschiedene Studien zeigen, dass Persönlichkeitsmerkmale auch diese Einstellungen beeinflussen. Daher ist es denkbar, dass sie als Mittler für den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und politischem Konsum verantwortlich sind. In weiterführenden Analysen berücksichtigen wir soziales und politisches Vertrauen, politisches Interesse und Ideologie, um diese Annahme zu prüfen. Unsere Analysen deuten zwar darauf hin, dass diese Einstellungen eine Rolle spielen. Sie können den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und politischem Konsum jedoch nicht gänzlich erklären. Persönlichkeitsmerkmale sind also auch als eigenständige Größe zu verstehen, die uns helfen zu verstehen, wer politisch konsumiert und wer nicht.

Daten und Methode
Für unsere Studie haben wir Umfragedaten des Schweizer Freiwilligen Monitor 2014 verwendet. Die Daten wurden anhand einer geschichteten Zufallsstichprobe und mittels telefonischer Interviews und einer Onlinebefragung von 5721 Befragten zwischen September und Dezember 2014 erhoben. Wir schätzen getrennte logistische Regressionsmodelle für Boykott und Buykott. Die abhängigen Variablen sind jeweils dichotome Variable, die angeben ob jemand in den vergangenen zwölf Monaten (1) bestimmte Produkte aus politischen, moralischen oder Umweltgründen boykottiert (d.h. nicht gekauft oder konsumiert, z.B. Boykott von Fleischprodukten als Vegetarier) (= Boykott) oder (2) bestimmte Produkte aus politischen, moralischen oder Umweltgründen bewusst gekauft hat (z.B. Kauf von „fair gehandelten“ Waren, um Kleinbauern in Entwicklungsländern zu unterstützen) (= Buykott). Als zentrale unabhängige Variablen verwenden wir die Persönlichkeitsmerkmale nach dem Fünf-Faktoren-Modell. Sie werden als metrische Variablen gemessen, wobei höhere Werte für eine stärkere Ausprägung der jeweiligen Persönlichkeitseigenschaft stehen. Zusätzlich werden Kontrollvariablen (Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Wohnumgebung und Sprachregion) im Modell berücksichtigt. In weiterführenden Modellen wird untersucht, ob politische und soziale Werte und Einstellungen für den Zusammenhang zwischen Persönlichkeit und politischem Konsum verantwortlich sind.


Referenz: 

  • Ackermann, Kathrin und Birte Gundelach (2020). Psychological roots of political consumerism: Personality traits and participation in boycott and buycott. International Political Science Review, online first. doi:10.1177/0192512120959683

 

Quelle:

  • Copeland, Lauren und Shelley Boulianne (2020). Political consumerism: A meta-analysis. International Political Science Review, online first. doi:10.1177/0192512120905048

 

Bild: pixabay.com