VOTO-Studie zu den eidgenössischen Volksabstimmungen vom 27. September 2020
Thomas Milic, Alessandro Feller, Daniel Kübler
12th November 2020
Bei der Abstimmung über die Begrenzungsinitiative stand die SVP alleine auf weiter Flur. Es gelang ihr nicht, ausserhalb der eigenen Anhängerschaft Mehrheiten zu gewinnen. Die Kosten von 6 Mia. CHF und Zweifel an der Notwendigkeit einer hoch gerüsteten Luftwaffe machten das Rennen um die Beschaffung der Kampfjets spannend. Dies zeigt die Analyse der Befragung von 1’513 Stimmberechtigten im Rahmen der VOTO-Studie zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 27. September 2020. Die Studie wurde vom Zentrum für Demokratie Aarau, von FORS und dem Befragungsinstitut LINK durchgeführt und von der Bundeskanzlei finanziert.
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Begrenzungsinitiative: SVP-Anhängerschaft alleine auf weiter Flur
Die Begrenzungsinitiative scheiterte im Wesentlichen daran, dass es der SVP kaum gelang, ausserhalb der eigenen Anhängerschaft Stimmen zu gewinnen. Die Sympathisierenden der SP, Grünen und GLP verwarfen das Begehren mit Nein-Stimmenanteilen von über 85 Prozent wuchtig. Auch bei den Gefolgschaften der CVP und FDP verpasste das Begehren eine Mehrheit deutlich (33% bzw. 28% Zustimmung). Die Parteiungebundenen brachten der Vorlage zwar mehr Sympathien entgegen, waren aber unentschlossen (52% Nein).
Abgelehnt wurde die Initiative vor allem, weil es in den Augen der Nein-Stimmenden die bilateralen Beziehungen zur EU gefährdete. Zudem befürchteten viele Nein-Stimmenden einen gravierenden wirtschaftlichen Schaden, sollte das Personenfreizügigkeitsabkommen gekündigt werden. Diese beiden Motive gaben vor allem bei den bürgerlichen Anhängerschaften den Ausschlag, die sich zwar prinzipiell eine eigenständige Zuwanderungssteuerung wünschen, aber nicht um den Preis eines Bruchs mit der Europäischen Union.
Jagdgesetz: Der Wolf erhitzt die Schweizer Gemüter
Ausschlaggebend für den Entscheid zum Jagdgesetz war zunächst der Umstand, ob man in einer Region lebt, wo der Wolf heimisch ist. Überraschenderweise spielte auch die politische Haltung eine wichtige Rolle für den Entscheid: Linksaussen betrug der Nein-Stimmenanteil zum Jagdgesetz 93 Prozent, während die Revision im rechten Lager mit Ja-Stimmenanteilen von deutlich über 60 Prozent gutgeheissen wurde.
Die politische Haltung war in den Alpenkantonen, wo die Wolfsrudel auch beheimatet sind, nur von sekundärer Bedeutung, spielte aber eine umso stärkere Rolle in den urbanen Zentren. In Bezug auf die Entscheidungsmotive spielten Emotionen eine bedeutsame Rolle. Dabei führten die Nein-Stimmenden das Existenzrecht des Wolfes ins Feld, während auf der befürwortenden Seite auf die Gefahr hingewiesen wurde, die nicht nur für Mensch, sondern auch für andere Tiere vom Wolf ausging. Die Ja-Stimmenden sahen in der Ablehnung des Jagdgesetzes überdies eine Bevormundung der alpinen Bergregionen durch die bevölkerungsstarken Mittellandskantone. Ausschlaggebend für das knappe Nein war indessen das Argument, wonach neu auch Tiere hätten getötet werden dürfen, die bisher noch keinen Schaden angerichtet haben. Das ging nicht bloss den Nein-Stimmenden zu weit, auch einer grossen Minderheit der Ja-Stimmenden behagte dies nicht.
Steuerliche Kinderabzüge: Kein Steuergeschenk für Reiche
Die Änderung des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer scheiterte daran, dass es von weiten Teilen der Stimmenden als Steuergeschenk für Vermögende betrachtet wurde. Kein anderes Nein-Motiv wurde auch nur annähernd so häufig genannt wie jenes, dass die Kinderabzüge nur den Reichen nützen würden. Auch deshalb vermochte die Revision bei keiner der sechs grossen Parteianhängerschaften eine Mehrheit zu erzielen. Im linken Lager war die Vorlage chancenlos, aber auch die Anhängerschaften der bürgerlichen Parteien, die sich für die Vorlage ausgesprochen hatten, konnten sich für die Steuerabzüge nicht mehrheitlich erwärmen.
Vaterschaftsurlaub: Gleiche Rechte, aber auch gleiche Pflichten für Frau und Mann
Im linken Lager war der Vaterschaftsurlaub unumstritten. Etwa neun von zehn Stimmenden, die sich dem linken Lager zugehörig fühlen, unterstützten die Einführung einer zweiwöchigen «Papizeit». Dazu passt auch, dass nicht wenige von ihnen bei der Begründung ihres Votums auf eine inhaltliche Rechtfertigung verzichteten und stattdessen antworteten, die Einführung eines Vaterschaftsurlaubs sei schlicht überfällig gewesen. Die Anhängerschaften von CVP und FDP waren ihrerseits gespalten: Rund die Hälfte der FDP- und etwas mehr als 50 Prozent der CVP-Sympathisierenden nahmen den Vaterschaftsurlaub an. Die parteiungebundenen Stimmenden sprachen sich ebenfalls in ihrer Mehrheit für die Vorlage aus. Einzig bei den SVP-Sympathisierenden hatte der Vaterschaftsurlaub einen schweren Stand: 78 Prozent von ihnen verwarfen ihn.
Bemerkenswert ist zudem der Umstand, dass junge Frauen die Vorlage gar noch deutlicher annahmen als junge Männer. Aus den Motivnennungen geht indessen auch hervor, dass mit der Einführung des Vaterschaftsurlaubs nicht bloss gleiche Rechte, sondern oft auch gleiche Pflichten von Frau und Mann verknüpft wurden.
Beschaffung Kampfjets: Abermals ein Grundsatzentscheid
Die Beschaffung von Kampfjets nahmen Männer, ältere Stimmende und bildungsferne Schichten mehrheitlich an, während sie Frauen, jüngere Stimmende und bildungsnahe Schichten mehrheitlich verwarfen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen waren aber meist gering: so nahmen Männer den Planungsbeschluss mit einer knappen Mehrheit von 55 Prozent an. Wie schon bei früheren Armeevorlagen zog sich ein tiefer Graben zwischen links und rechts: Links wurde die Beschaffung der Kampfjets wuchtig abgelehnt, rechts hingegen deutlich angenommen. Stimmende, die sich der politischen Mitte zuordnen, hiessen die Vorlage mit 60 Prozent Ja-Stimmenanteil gut.
Eine grosse Zahl der Ja-Stimmenden steht grundsätzlich hinter der Armee oder hält sie zwecks Wahrung von Sicherheit, Neutralität und Unabhängigkeit für unverzichtbar. 7 Prozent überzeugte indessen der Umstand, dass die 6 Mia. CHF aus dem ordentlichen Armeebudget stammen. Das Motiv wurde vergleichsweise oft von GLP-Sympathisierenden vorgebracht, was angesichts des knappen Ergebnisses von Bedeutung für den Abstimmungsausgang war. Ausserdem begründeten rund fünf Prozent der Ja- Stimmenden ihren Entscheid primär mit der Empfehlung des Bundesrats und anderen Akteuren, wobei VBS-Vorsteherin Viola Amherd im Vordergrund stand.
Für eine beträchtliche Zahl der Nein-Stimmenden war das vorgelegte Rüstungsprojekt zu teuer. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Pandemiesituation im Kanton Tessin von 13 Prozent der Nein-Stimmenden als Hauptgrund für ihr Nein-Votum genannt wurde. Wenn es also einen «COVID 19-Effekt» gab, dann am ehesten im Kanton Tessin, wo die Kampfjetvorlage knapp abgelehnt wurde. Sodann zweifelten viele Nein-Stimmende an der Notwendigkeit einer hochgerüsteten Luftwaffe, sei es, weil die Gefahrenlage sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert habe oder sei es, weil sie einem kleinen Land wie der Schweiz nicht angepasst sei. Die Analyse der Hauptargumente zeigt, dass es sich bei dieser Vorlage vornehmlich um eine Abstimmung für oder gegen die Armee handelte.
Beteiligung: Links-grün, hohe Bildung und urban
Am eidgenössischen Urnengang vom 27. September 2020 nahmen die Stimmberechtigten aus dem links- grünen Lager, jene mit hoher Bildung und hohem Einkommen sowie jene aus den urbanen Zentren in erhöhtem Masse teil.Die starke Mobilisierung dieser Bevölkerungssegmente wirkte sich auf die Abstimmungsergebnisse aus.
Hinweis zur Zitierweise: Thomas Milic, Alessandro Feller und Daniel Kübler (2020). VOTO-Studie zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 27. September 2020. ZDA, FORS, LINK: Aarau/Lausanne/Luzern.
Kontakt:
- Fragen zum Inhalt der Studie: Dr. Thomas Milic, 079 600 82 36, thomas.milic@zda.uzh.ch
Für diese Studie wurden zufällig ausgewählte Stimmberechtigte per Telefoninterview befragt. Die Frageformulierungen, die Erhebungen sowie die Datenanalyse liegen in der alleinigen Verantwortung von VOTO. Alle Berichte, die Fragebogen sowie die Rohdaten mit Zusatzinformationen zur Erhebung sind für wissenschaftliche Zwecke frei zugänglich unter www.voto.swiss bzw. durch das FORS Datenarchiv forsbase.unil.ch.