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Kantonale Volksinitiativen: Kreative Vielfalt oder zu viel des Guten?

Evren Somer
1st Oktober 2020

Seit ihrer Einführung hat sich der Anwendungsbereich der kantonalen Volksinitiative stetig erweitert. Die Vielfalt an Möglichkeiten, um damit eine Änderung der kantonalen Politik herbeizuführen, ist überaus gross. Eine am Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) entstandene Untersuchung zeigt, wo die materielle Reichweite und die formellen Grenzen der Volksinitiative liegen, und macht Vorschläge zur Verhinderung von Ungültigkeitserklärungen.

Die Bundesverfassung verlangt in den Kantonen neben dem obligatorischen Referendum einzig die Volksinitiative auf Verfassungsänderung. Die kantonalen Rechtsordnungen eröffnen ihren Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern wesentlich mehr gestalterische Partizipationsmöglichkeiten. Dabei handelt es sich nicht nur um das praktisch bedeutsame Rechtsetzungsinstrument der Gesetzesinitiative, sondern auch um jene Antragsrechte, womit auf die Verwaltungstätigkeit des Parlaments oder ausserkantonale Politik hingewirkt wird. Verschiedene Kantone kennen sogenannte Verordnungs-, Verwaltungs- oder Staatsvertragsinitiativen, die durch die Beschluss- oder Einheitsinitiative verwirklicht werden.

Der stetige Ausbau des Anwendungsbereichs der Volksinitiative auf zusätzliche Regelungsgenstände entspricht dem Bedürfnis, den Stimmberechtigten neben den abstrakten Gesetzen auch ein unmittelbares Mitspracherecht bei wichtigen konkreten Einzelakten zu gewähren. Solche Entscheide stossen sowohl aufgrund ihrer finanziellen Auswirkungen als auch hinsichtlich ihres unmittelbaren Nutzens bei den Bürgerinnen und Bürgern auf hohes Interesse. Allerdings finden manche Initiativarten im Verfassungsrecht der Kantone keine ausdrückliche Erwähnung. Vielfach muss die Initiativfähigkeit eines Gegenstands durch Auslegung der einschlägigen Rechtsnormen ermittelt werden. Zudem vermögen manche neueren Instrumente im Gegensatz zu den traditionellen Formen der Volksinitiative nicht in jedem Fall einen endgültigen Rechtszustand herbeiführen. Die Annahme einer Planungsinitiative beispielsweise garantiert nicht, dass die gewünschten Pläne gemacht und auch umgesetzt werden.

Rund zwei Drittel der Kantone kennen das Instrument der Verwaltungsinitiative. Selbst wo derartige Initiativarten nicht vorgesehen sind, erfüllt mitunter die Gesetzesinitiative in Abhängigkeit von der Enge bzw. Weite des im jeweiligen Kanton herrschenden materiellen Gesetzesbegriffs die Funktion einer Verwaltungsinitiative. Den wohl wichtigsten Gegenstand der Verwaltungsinitiative bilden die Ausgabenbeschlüsse. Zudem fallen weitere referendumsfähige Finanz- oder Planungsbeschlüsse darunter. 

An Grenzen stösst die Verwaltungsinitiative dort, wo damit der Erlass einer individuell-konkreten Verwaltungshandlung, bspw. einer Konzession vorgeschlagen wird. Deren Zulässigkeit als Initiativgegenstand lässt sich aber damit begründen, dass im Gegensatz zu den Einbürgerungsentscheiden nicht unmittelbar in die persönliche Rechtsstellung des Einzelnen eingegriffen wird. Es steht hier mehr die Konzessionserteilung und somit ein für die Allgemeinheit bedeutendes öffentliches Anliegen im Vordergrund als die Person des Konzessionsnehmers. Politisch und juristisch analog zu beurteilen sind Volksinitiativen, die einen Nutzungsplan des Raumplanungsrechts zum Inhalt haben. Insofern darf bei der Frage, ob ein bestimmter Verwaltungsakt Gegenstand einer Volksinitiative bilden kann, nicht allein auf dessen formale Normstruktur abgestellt werden. Sofern in einem Kanton das einschlägige Instrument nur bereits materiell vorhanden ist, kann unter Beachtung der geltenden Gültigkeitsschranken beinahe jedes Anliegen auf dem Weg der Volksinitiative verfolgt werden. Es bestehen nur einige wenige absolute Grenzen, die einzuhalten sind. Im Übrigen handelt es sich um eine Frage der Zuordnung.

Im Verfassungsrecht der Kantone gibt es kein Verbot der Missachtung der Normstufe, oder in anderen Worten, kein Gebot des zulässigen Initiativgegenstands als explizite Gültigkeitsvoraussetzung. Einer sich abzeichnenden Verletzung der traditionellen Gültigkeitsvoraussetzungen kann mit einer rechtzeitigen Anpassung des Initiativtexts begegnet werden. Ist hingegen der Gegenstand einer Initiative unzulässig, lässt sich eine Ungültigerklärung kaum abwenden. Um Initiativen davor zu bewahren, ist die explizite Verankerung des Gebots des zulässigen Initiativgegenstands im Sinne einer bürgerfreundlichen Klarstellung in Betracht zu ziehen. So liesse sich im ersten Zugriff klar ermitteln, ob ein Initiativanliegen zulässig oder ausgeschlossen ist.


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