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Klimapolitik in den Medien: Akteure, Themen und Koalitionen

Marlene Kammerer, Fadri Crameri
24th April 2020

Der Klimawandel gehört zu den zentralen Herausforderungen der Menschheit unserer Zeit. Seine aktuelle Medienpräsenz hat er den zunehmenden Klimaveränderungen, sowie den weltweiten Klimademonstrationen im Kontext der sozialen Bewegungen «Fridays For Future» und «Extinction Rebellion» zu verdanken. Der Klimawandel ist kein neues Problem, aber seine politische und mediale Bedeutsamkeit unterlag in den vergangenen Jahren deutlicher Schwankungen. Wie lassen sich diese «Konjunkturveränderungen» erklären und über welche Themen und Akteure berichtet die Presse, wenn sie es tut?

Steigt die öffentliche Aufmerksamkeit für ein Thema nach einem besonders schockierenden Ereignis stark an, kann das wie ein Katalysator wirken und es auf die politische Agenda katapultieren oder sogar Wandel anstossen. Dabei kommt den Medien eine wichtige Rolle zu. Neben der regulären politischen Bühne nutzen Politikerinnen und Politiker, Parteien, Interessengruppen oder zivilgesellschaftliche Organisationen auch die Medien, um ihre Präferenzen mitzuteilen. Die Medien ihrerseits sind in der Position, diese Meinungen aufzunehmen und darüber zu berichten. Damit kann die Medienberichterstattung sowohl als Spiegel als auch als Motor des Politikprozesses betrachtet werden.

Vor diesem Hintergrund haben wir in unserer Studie den klimapolitischen Diskurs in der Schweiz und in Deutschland unter die Lupe genommen, um drei zentrale Aspekte zu untersuchen: Die Konjunktur der medialen Aufmerksamkeit, Themen der Berichterstattung sowie die beteiligten Akteure und Diskurskoalitionen.

Die Konjunktur der medialen Aufmerksamkeit

Der Zeitraum zwischen 2009 und 2017 zeichnete sich als eine besonders ereignisreiche Phase in den internationalen Klimaverhandlungen aus. Er begann mit dem Scheitern eines Nachfolgers für das Kyoto-Protokoll auf dem Klimagipfel in Kopenhagen. In den folgenden Jahren wurde Schritt für Schritt das Pariser Abkommen ausgehandelt. Seit 2015 setzt dieses auf eine stufenweise Erhöhung von Selbstverpflichtungen aller Länder und löst damit das Paradigma einer strikten Teilung der Welt in Industrienationen mit rechtlich-bindenden Reduktionsverpflichtungen und den Ländern des globalen Südens ohne jegliche Verpflichtungen ab.

Bei der Betrachtung des zeitlichen Verlaufs der Anzahl publizierter Artikel zum Thema Klimawandel in den beiden Ländern fällt auf (Abbildung 1), dass die internationalen Verhandlungen ein Taktgeber für die Konjunktur der medialen Aufmerksamkeit waren. Allerdings erhöhten nicht alle Klimagipfel das öffentliche Interesse. Ganz im Gegenteil zeigte sich nach dem Scheitern der Kopenhagener Konferenz ein Rückgang der Medienaufmerksamkeit in beiden Ländern. Der Tiefpunkt der Medienaufmerksamkeit wurde jeweils im Jahr 2012 erreicht. Anschliessend folgte seit 2015 eine Steigerung der Medienaufmerksamkeit. Es scheint, dass weniger erfolgreiche Klimagipfel in der Lage sind die Medienaufmerksamkeit nachhaltig zu dämpfen, während erfolgreiche Klimakonferenzen das öffentliche, politische Interesse befeuern.

Es gibt aber auch andere denkbare Erklärungen. Beispielsweise wäre es zu erwarten gewesen, dass die Reaktorkatastrophe von Fukushima im Jahr 2011 zu einem intensivierten, öffentlichen Interesse führte, da der nukleare Vorfall die Energiewende in beiden Ländern zumindest anstiess. Allerdings zeigte sich dieser Effekt nur in der eher linksorientierten Süddeutschen Zeitung. In der Schweiz sank der Anteil der publizierten Artikel sogar deutlich ab. Möglicherweise wurde die Aufmerksamkeit vom Klimathema sogar abgezogen, bzw. vom Reaktorunglück verdrängt.

Abbildung 1: Anteil Klimawandelrelevante Artikel Schweiz und Deutschland

Ein ähnlicher Effekt könnte auch mit dem leichten Einbruch der Aufmerksamkeit im Jahr 2010, und dem nur mässigen Anstieg der Aufmerksamkeit in den Jahren 2014 und 2016 im Zusammenhang stehen. Es ist zu vermuten, dass die verschiedenen Krisen der Europäischen Union (Eurokrise 2010, Unabhängigkeitsreferendum in Schottland 2014, sowie die Brexit-Abstimmung 2016) ein Gutteil der Medienaufmerksamkeit auf sich zogen. Es ist gut möglich, dass diese Themen schlicht wichtiger waren als der Klimawandel. Dieser Effekt ist vor allem für Deutschland zu beobachten.

Worüber berichtet die Presse?
Die folgenden zwei Grafiken zeigen die Klimaberichterstattung im thematischen Kontext. Die Gesamtzahl der für das Jahr 2017 analysierten Artikel war für Deutschland 3343 Artikel, davon 447 substantielle Artikel. In der Schweiz analysierten wir 718 Artikel und identifizierten 197 substantielle Artikel. Bemerkenswert ist, dass sehr viele Artikel den Klimawandel nicht hauptsächlich thematisierten. In den untersuchten deutschen Tageszeitungen befassten sich nur etwa 13% der Artikel substantiell mit dem Klimawandel, in der Schweiz waren es immerhin um die 27%. Überwiegend wird also indirekt über und im Kontext zu anderen Themen über den Klimawandel berichtet. Innerhalb der substantiellen Artikel dominierte in beiden Ländern das Thema Politik, also Artikel über Klimagesetzgebung (z.B. das CO2 Gesetz in der Schweiz oder der Klimaschutzplan 2050 in Deutschland) oder Politikinstrumente (z.B. Emissionshandel). Weiterhin wurde der Klimawandel besonders häufig im Zusammenhang mit den Themen Wetter und Umwelt (Folgen des Klimawandels) oder Wissenschaft und Technik (Ursachen, Prognosen und mögliche technologische Lösungen) thematisiert. Weniger relevant waren kulturelle oder zivilgesellschaftliche Abhandlungen zum Klimawandel.

Akteure und Koalitionen

Für das Jahr 2017 konnten wir in der Schweiz vier Diskurskoalitionen (d.h. Gruppen von politischen Akteuren mit vielen geteilten Positionen) ausfindig machen (Abbildung 2 und Tabelle 1):

Abbildung 2: Koalitionen im Schweizer Mediendiskurs im Jahr 2017

Die Status-Quo-Koalition (braunes Cluster) besteht mehrheitlich aus bürgerlichen Parteien und Interessengruppen der Wirtschaft, die keinen verstärkten Handlungsbedarf im Klimaschutz sehen. Sie befürchten, dass restriktivere Massnahmen oder Klimaziele der Wirtschaft schaden. Allerdings geht nur die SVP so weit, den Klimawandel gänzlich in Frage zu stellen. Einen moderaten Klimakurs vertritt die Pro-Ökonomie-Koalition (violettes Cluster). Klimaschutz darf der Wirtschaft nicht schaden. Dafür wird auf Flexibilität und Freiwilligkeit der Massnahmen gesetzt. Im Kern dieser Koalitionen sind Interessengruppen des Wirtschafts- und Energiesektors. Aber auch bürgerliche Parteien (CVP und BDP), sowie das Parlament und der Bundesrat lassen sich am ehesten zu dieser Koalition zuordnen. Die Pro-Ökologie-Koalition (grünes Cluster) setzt sich aus grünen und linken Parteien, sowie diversen NGOs, grünen Interessengruppen der Wirtschaft und Akteuren der Wissenschaft zusammen. Sie vertreten mehrheitlich ein hohes Emissionsreduktionsziel von über 40% und setzen sich für die Einführung von Energie- und CO2-Steuern ein. Für grüne Investments, einen klimafreundlichen Umgang im Geschäftswesen, sowie präventive Massnahmen setzt sich die Pro-Prävention-Koalition (gelbes Cluster) ein. Hier sind hauptsächlich Versicherungen, Rückversicherer und Pensionskassen vertreten, aber auch der Bundesrat und die Bundesämter für Umwelt, Energie und Gesundheit.

Tabelle 1: Akteurs-Koalitionen im politischen Diskurs in der Schweiz

 

Die Diskurskoalitionen in Deutschland sind weniger klar voneinander abzugrenzen (Abbildung 3, Tabelle 2). Allerdings lassen sich zwei sich gegenüberstehende Koalitionen identifizieren.

Abbildung 3: Koalitionen im Deutschen Mediendiskurs im Jahr 2017

Die Pro-Ökonomie-Koalition (graue Cluster) setzt sich aus dem Bundeswirtschaftsministerium, den konservativen und rechten Parteien, Interessengruppen der Wirtschaft und verschiedenen Automobil- und Chemiekonzernen zusammen. Diese Akteure stehen für eine moderate Energiewende mit wirtschaftlichen Interessen im Zentrum. Wichtig ist Flexibilität bei der Zielerreichung, der Fokus auf freiwillige Massnahmen sowie Planungssicherheit.

Dem gegenüber steht die Pro-Wende-Koalition (grüne Cluster) mit proaktiverer Position. Sie fordern einen zügigen Ausstieg aus der Kohle und dem Verbrennungsmotor, der Ausbau erneuerbarer Energien, die Prävention von Klimarisiken und das Einhalten internationaler Versprechen. Dafür soll eine Reihe von verhaltenssteuernden Massnahmen eingesetzt werden (z.B. Dieselverbot, Subvention von Elektroautos, CO2-Steuer, etc.). Vertreten werden diese Positionen vom Bundesumweltministerium und Bundesumweltamt, der SPD und den Grünen, den Umweltorganisationen, den Banken und Versicherern, sowie einigen Grosskonzernen.

Tabelle 2: Akteurs-Koalitionen im politischen Diskurs in Deutschland

 

Fazit

Insgesamt sind der Verlauf und die Topografie des Klimadiskurses in beiden Ländern sehr ähnlich. In beiden Ländern gab es im vergangenen Jahrzehnt deutliche Schwankungen des medialen Interesses für den Klimawandel und es lassen sich progressive und konservative Koalitionen bestimmen. Allerdings können diese Schwankungen in den Ländern auf unterschiedliche Ursachen zurückgeführt werden. Während in der Schweiz vor allem der Erfolg oder Misserfolg der internationalen Klimaverhandlungen taktgebend waren, spielten in Deutschland darüber hinaus auch weitere Ereignisse, wie die Reaktorkatastrophe in Fukushima oder die diversen Krisen der EU eine Rolle. Besonders interessant ist die Tatsache, dass es in Deutschland im Unterschied zur Schweiz keine Diskurskoalition gibt, die grundsätzlich gegen einen Wandel (Energiewende, ambitionierte Klimapolitik) ist. Sogar die Pro-Ökonomie-Diskurskoalition präferiert eine moderate Wende. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Diskussion um den Klimawandel in der Schweiz polarisierter zu sein scheint als in Deutschland.

Daten und Methode
Um die entsprechenden Daten zu erheben, suchten wir in der überregionalen Tagespresse (Tages-Anzeiger, Neue Zürcher Zeitung, Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung) nach allen Artikeln aus den Jahren 2009-2017, die sich haupt- oder nebensächlich mit dem Thema Klimawandel befassten. Insgesamt fanden wir für Deutschland 23'249 und für die Schweiz 6002 Artikel.

Um in einem zweiten und dritten Schritt das aktuelle Bild des Klimadiskurses wiederzugeben, legten wir unseren Fokus auf das Jahr 2017 und reduzierten die gefundene Artikel auf solche Artikel, die sich ausschliesslich mit dem Klimawandel befassten. In Deutschland wählten wir 443 Artikel aus, für die Schweiz 197. Für diese Artikel bestimmten wir das vorherrschende Thema (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Umwelt, Zivilgesellschaft, oder Kultur) und den geographischen Fokus (Ausland, International, EU, National, Bundesland/Kanton, Lokal).

Im dritten Schritt selektierten wir dann jene Artikel, bei denen die Akteure effektiv Stellung zu einem Problem nahmen oder ihre Meinung kundtaten. Dazu erstellen wir ein sogenanntes Diskursnetzwerk in welchem wir die politischen Akteure mit ihren Präferenzen und Einstellungen verknüpften. Konkret teilten wir die Aussagen zu einem bestimmten Thema, welche in einem Artikel gemacht werden, jeweils einem Akteur zu und kategorisierten diese anhand eines selbst entwickelten Kategoriensystem. Für Deutschland kodierten wir 59 Artikel und fanden 62 verschiedene Akteure, die insgesamt 180 Statements abgaben. Für die Schweiz waren in 39 Artikeln 47 Akteure mit 273 Statements aufzufinden.

Verbindungen zwischen den politischen Akteuren und Ihren Präferenzen und Einstellungen sind schliesslich in Form einer Netzwerkgraphik zu erkennen (siehe Abbildungen 2 und 3). Die Diskurskoalitionen identifizierten wir durch die Anwendung von Clusteranalyse also durch die Berechnung von Ähnlichkeitsstrukturen zwischen den politischen Akteuren hinsichtlich ihrer Präferenzen und Einstellungen.

Die Analysen (überarbeitet) basieren auf

Kammerer, Marlene, Crameri, Fadri, & Ingold, Karin (2019): Das Klima und die EU: Eine Diskursperspektive auf die deutsche und schweizerische Klimapolitik, in: Emmenegger, Patrick, Giger, Nathalie, Careja, Romana (eds.): The European Social Model under Pressure – Liber Amicorum in Honour of Klaus Armingeon. DOI: 10.1007/978-3-658-27043-8_34. Publisher: Springer


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