1

Wie die Twitter-Debatte zum Coronavirus in der Schweiz überhand nimmt

Maël Kubli, Fabrizio Gilardi
1st April 2020

Die Twitter-Sphäre in der Schweiz nahm das Coronavirus erst wahr, als es sich in Europa auszubreiten begann. Hierbei erstaunt vor allem, dass sich das Verhalten der professionellen Akteure auf Twitter nicht von der breiten Masse der Twitter-Nutzenden unterscheidet.

Als China am 31. Dezember die WHO über das Coronavirus informierte, nahm dies in der Schweiz auf Twitter niemand wahr. Erst mit den ersten bestätigten Fällen in Europa begann sich das Blatt zu wenden und plötzlich scheint jeder etwas zum Thema twittern zu müssen.

Abbildung 1: Entwicklung von COVID-19 in der Schweizer Twittersphäre

Erhebungszeitraum: 01.12.2019 bis 26.03.2020 (Total 2'700'229 Tweets von 55'603 User)

 

Für diese Analyse haben wir alle Follower von 23 verschiedenen Zeitungen in der Schweiz identifiziert. Dies sind mehr als 2 Millionen Accounts. Dies stellt uns vor das Problem, dass es uns nicht möglich ist, alle Timelines der Accounts innerhalb eines vernünftigen Zeitrahmens herunterzuladen (pro Stunde können nur 3'600 Timelines heruntergeladen werden).

Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, nur die Accounts zu berücksichtigen, die mindestens fünf dieser Zeitungen folgen. Dies reduziert die Anzahl der Accounts auf noch gut 55'000 und ermöglicht uns, die Timelines relativ zeitnah herunterzuladen. Darüber hinaus führt diese Hürde zu weniger Accounts, die vermutlich nicht aus der Schweiz stammen, da diese weniger oft mehreren Schweizer Zeitungen folgen. Die rund 55'000 Accounts haben vom 1. Dezember 2019 bis zum 26. März 2020 insgesamt mehr als 2,7 Millionen Tweets abgesetzt.

Abbildung 2: Twittersphäre von 55'603 aktiven User*innen, die mindestens fünf Schweizer Zeitungen folgen

Erhebungszeitraum: 01.12.2019 bis 26.03.2020 (Total 2'700'229 Tweets)

 

Von diesen rund 2,7 Millionen Tweets wurden in der gesamten Zeitspanne mehr als 260'000 (9.64%) Tweets zum Thema Coronavirus verfasst - von 10'318 (18.56%) verschiedenen Accounts. Zur Identifikation der Tweets wurden der Text und die Hashtags der Tweets automatisch nach Stichwörtern durchsucht, welche mit dem Coronavirus in Verbindung gebracht werden können. Die grosse Menge an Daten und die automatische Zuordnung bringt allerdings eine Unschärfe mit sich. Bestimmt haben gewisse Tweets, die wir nicht mit dem Coronavirus in Verbindung bringen konnten, auch mit dem Thema zu tun.

 

 

Daneben haben wir alle Tweets aus dem Datensatz herausgefiltert, die von politischen Akteuren aus der Schweiz stammen. Damit konnten wir etwas mehr als 1'000 Accounts identifizieren. Diese Accounts gehören Bundesbehörden, National- und Ständerät*innen, Organisationen und anderen politisch aktiven Personen.

Abbildung 3: Twittersphäre von 1'011 aktiven politischen User*innen auf Twitter

Erhebungszeitraum: 01.12.2019 bis 26.03.2020 mit Total 99'402 Tweets von Politiker*innen, Bundesrät*innen, Behörden und Organisationen

 

Insgesamt ist diese Gruppe von Accounts für nur gerade knapp 100'000 Tweets aus 2,7 Millionen Tweets in diesem Zeitraum verantwortlich. Hierbei zeigt sich erstmal, dass sich die gesamte Anzahl an Tweets zum Coronavirus nicht stark unterscheidet von der breiten Masse, da auch Sie nur 6'753 Tweets oder 6,79% der Tweets zum Thema abgesetzt haben. Dies bestätigt sich auch bei der Betrachtung über die Zeit.

Abbildung 4: Entwicklung von COVID-19 in der Schweizer Twittersphäre, Politische Akteur*innen

Erhebungszeitraum: 01.12.2019 bis 26.03.2020 mit Total 99'402 Tweets von 1'011 Politiker*innen, Bundesrät*innen, Behörden und Organisationen

 

 

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich für die Schweiz vor allem, dass auf Twitter das Thema keine grössere Rolle einnehmen konnte solange sich das Virus nur in Asien ausbreitete. Erst mit den ersten Fällen von infizierten Europäer*innen, die aus China zurück nach Europa reisten, nahm das Thema langsam an Fahrt auf.

Gleichzeitig mit den ersten Fällen wurde das Virus auch immer öfter Thema für die verschiedenen politischen Veranstaltungen, bei denen die europäischen Nationen teilnahmen. In der Schweiz nahm das Thema aber noch nicht Überhand, zumal die Krankheit hier noch nicht angekommen war. Erst als in Italien die Situation zu eskalieren begann, wurde das Thema stärker auf Twitter behandelt, da die Sorge des Einschleppens des Virus in die Schweiz plötzlich akut wurde. Mit dem ersten bestätigten Fall wurde es auch hier das bestimmende Thema und machte gegen Ende Februar durchwegs mehr als zehn Prozents des gesamten Volumens der Tweets aus.

Interessant sind in der nachfolgenden Grafik die unterschiedlichen Entwicklungen der Debatten auf Deutsch, Französisch, Italienisch sowie Englisch. Hier zeigt sich vor allem, dass die Deutschschweiz das Coronavirus am längsten nicht stark thematisierte, da es räumlich noch weit weg zu sein schien.

Ganz anders sieht es in der italienischen Schweiz aus. Im Tessin wurde das Thema ein erstes Mal Anfang Februar stark diskutiert, nachdem am  31. Januar in Italien die ersten Fälle bekannt wurden und sich im Tessin die Sorge verbreitete, dass Grenzgänger*innen es in die Schweiz einführen könnten.

Das Thema flachte dann aber wieder schnell ab, um dann am 22. Februar zur Hauptdebatte auf Twitter zu werden. Dies geschah, als bekannt wurde, dass sich in Norditalien mehrere grosse Seuchenherde befinden - damit waren alle Dämme gebrochen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich das Virus auch im Tessin verbreiten würde. Daher ist es auch nicht sehr verwunderlich, dass die Debatte durch die weitere Verbreitung in der ganzen Schweiz nicht mehr angeheizt wurde. Das Tessin war und ist der Restschweiz um mehrere Tage voraus.

Abbildung 5: Entwicklung von COVID-19 in der Schweizer Twittersphäre, Tweets auf Deutsch

In der Deutschschweiz und der Romandie dagegen wurde die Debatte mit dem starken Ausbruch in Norditalien ab dem 22. Februar auch stärker thematisiert. Die Debatte erreichte hier ihre erste Schwelle am 28. Februar als die Schweiz die ersten einschneidenden Massnahmen ergriff und alle Veranstaltungen von mehr als 1'000 Personen verbot.

Damit die Debatte Überhand nehmen konnte, dauerte es aber noch etwa bis zum 9. März. Spätestens dann wurde langsam klar, dass ohne weitere stärkere Massnahmen auch in der Schweiz das Coronavirus nicht einfach wieder verschwinden würde. Den Höhepunkt erreichte die Debatte um das Wochenende vom 13. bis 16. März - also genau zum Zeitpunkt als der Bundesrat beschloss, zuerst die Schulen zu schliessen und Veranstaltungen und Versammlungen von mehr als 100 Personen zu verbieten und schliesslich am 16. März die besondere Lage ausgerufen hat.

Seit dieser Entscheidung hat die Debatte rund um das Coronavirus Hochkonjunktur. Bis sich keine markante Besserung der Lage abzeichnet, wird sie diese wohl auch noch weiterhin innehaben.


Hinweis: Bei diesem Artikel handelt es sich um eine Zweitpublikation. Die Erstausgabe finden sie auf der Homepage des Digital Democracy Lab.