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Grosse Erwartungen — Die neue Europäische Kommission, ihre Ambitionen und die öffentliche Meinung in der EU

Catherine de Vries, Isabell Hoffmann
31st Januar 2020

Die aktuelle eupinions-Umfrage brachte zu Tage, dass die europäische Öffentlichkeit klare Erwartungen an die politische Prioritätenliste der EU hat. Gleichzeitig haben die Bürgerinnen und Bürger aber wenig Vertrauen, dass die EU diese Aufgaben erfolgreich bewältigt. Die Zukunft der EU scheint alles andere als rosig.

Keine Zeit zum Lesen? Kein Problem. Sie können sich folgenden Beitrag auch auf dem Podcast von eupinions anhören.

Das Europäische Parlament hat am 27. November 2019 die neue Europäische Kommission unter Ursula von der Leyen gewählt. Die neue Präsidentin strahlt Zuversicht und Tatkraft aus, obwohl die Herausforderungen der EU wohl so gross sind wie selten zuvor in ihrer Geschichte.

Eine dieser Herausforderungen besteht darin, die europäischen Völker davon zu überzeugen, dass die EU zumindest einige der aktuellen Malaisen lindern kann. Angesichts der heftigen Brexit-Debatte und einer Rekordzahl an euroskeptisch eingestellten Mitgliedern im neuen Europäischen Parlament wäre es wichtiger denn je, dass die europäische Politik Ergebnisse liefert.

Im Folgenden werden die wichtigsten Ergebnisse der aktuellen eupinions-Befragung im Überblick präsentiert. Weiterführende Informationen und Abbildungen sind auf eupinions.eu zu finden.

Die Ergebnisse der letzten eupinions-Befragung

Für die eupinions-Studie mit dem Titel "Grosse Erwartungen" wurden im Juni 2019 12'000 Bürgerinnen und Bürger aus der ganzen EU befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass die europäische Öffentlichkeit einerseits klare Erwartungen an die politische Prioritätenliste der EU hat, aber andererseits ein zu geringes Vertrauen, dass diese auch tatsächlich umgesetzt werden.

Die Mehrheit der Befragten ist der EU gegenüber immer noch positiv eingestellt. 62 Prozent gaben an, in Gesprächen im Freundes- und Kollegenkreis positiv über die Europäische Union zu sprechen. Und auch mehr als die Hälfte (54 Prozent) sprach sich für eine Vertiefung der politischen und wirtschaftlichen Integration Europas aus. Die jüngste Generation der europäischen Bürgerinnen und Bürger steht der EU am wohlwollendsten gegenüber. Unsere Studie bestätigt, dass die Europäerinnern und Europäer hoffnungsvoll und unterstützend sind, wenn es um die Leitprinzipien und das Potenzial der europäischen Politik geht - so wie dies frühere eupinions-Studien bereits gezeigt haben.

Allerdings wird die vorhandene Sympathie durch die vielen Krisen, die die EU durchlebt, auf die Probe gestellt. Das zeigt sich besonders dann, wenn die Europäerinnen und Europäer zu Zukunftsszenarien der EU befragt werden. Beispielsweise befürchten dreissig Prozent aller Befragten, dass neben Grossbritannien noch weitere Länder aus der EU austreten werden. 35 Prozent sind der Meinung, dass sich die EU in verschiedenen Geschwindigkeiten weiterentwickeln wird. Zwanzig Prozent der Befragten glauben, dass die EU unverändert bestehen bleiben wird, neun Prozent sind hingegen davon überzeugt, dass die Europäische Union vollständig untergehen wird.

Abbildung 1: Zukünftige Erwartungen

Bürgerinnen und Bürger stellen klare Forderungen an die europäische Politik

Trotz dieser gemischten Zukunftsprognosen zeigen unsere Ergebnisse aber auch, dass die europäischen Bürgerinnen und Bürger klare Vorstellungen davon haben, in welchen Problembereichen Handlungsbedarf besteht. Der größte Anteil der Befragten (rund vierzig Prozent der EU27), ist der Meinung, dass die Umwelt in Zukunft die wichtigste Priorität der EU sein sollte. In Frankreich, Deutschland, den Niederlanden und Polen stand der Bereich Umwelt an erster Stelle.

Neben der Umweltpolitik gaben die Befragten auch EU-weit an, dass sie erwarten, dass sich die Politik der EU auf auf die Bereiche Arbeitsplätze (34 %), soziale Sicherheit (23 %), Bürgerrechte (21 %) und öffentliche Sicherheit (19 %) konzentriert. Für die Befragten aus Italien und Spanien steht der Bereich Arbeitsplätze für sechzig resp. vierzig Prozent der Befragten an erster Stelle.

Neben der Umweltpolitik gaben die Befragten auch EU-weit an, dass sie erwarten, dass sich die Politik der EU auf auf die Bereiche Arbeitsplätze (34 %), soziale Sicherheit (23 %), Bürgerrechte (21 %) und öffentliche Sicherheit (19 %) konzentriert. Für die Befragten aus Italien und Spanien steht der Bereich Arbeitsplätze für  sechzig resp. vierzig Prozent  der Befragten an erster Stelle. In Frankreich und Polen folgt der Bereich Arbeitsplätze direkt nach der Umweltpolitik an zweiter Stelle. Am unteren Ende der Prioritätenliste stehen für die Befragten die Rechte von Minderheiten oder die Chancengleichheit.

Abbildung 2: Top-Prioritäten für die neue Europäische Kommission

Nach Parteipräferenzen eingeteilt, zeigt sich, dass Unterstützerinnen und Unterstützer rechtspopulistischer Parteien am deutlichsten von diesem Muster abweichen. Umweltfragen rangieren für sie hinten in der Rangordnung, für sie ist Arbeitsplatzsicherheit prioritär.  

Unsere Resultate zeigen deutlich, dass die Bürgerinnen und Bürger von der neuen Kommission einerseits ein entschlossenes Handeln im Bereich Umweltschutz erwarten - der kürzlich formulierte Green Deal ist ein entscheidender erster Schritt in diese Richtung.

Ein weiterer Indikator dafür, in welche Richtung die Kommission ihre Energien richten sollte, sind die Ergebnisse auf die Fragen zu den persönlichen Sorgen der Europäerinnen und Europäern. Mehr als die Hälfte der Befragten nannte die Lebenshaltungskosten als ihre größte Sorge, am höchsten lag der Anteil in Frankreich und Polen mit 61 resp. 62 Prozent Nennungen. Am nächsthäufigsten wurde schlechter Gesundheitszustand, unsichere Arbeitsplätze und Kriminalität genannt. Besonders hoch ist die Arbeitsplatzunsicherheit in Italien und Spanien.

Abbildung 3: Persönliche Top-Prioritäten in den kommenden Jahren

Man könnten daraus folgern, dass sich die Europäerinnen und Europäer zwar um die Umwelt sorgen, ihnen ihr Portemonnaie aber genauso viele Sorgen bereitet.

Den Reden, Erklärungen und ersten Schritten von Präsidentin von der Leyen nach zu urteilen, scheinen viele ihrer Ideen mit den politischen Prioritäten der europäischen Bürgerinnen und Bürger übereinzustimmen. Dies gilt insbesondere für ihre Vorschläge bezüglich des Green Deals, der Ausweitung der sozialen Rechte und der Konzentration auf das Wirtschafts- und Beschäftigungswachstum.

Kann die neue Europäische Kommission ihre Ziele erreichen?

Dies ist die Schlüsselfrage für die meisten europäischen Bürgerinnern und Bürger angesichts der anstehenden Herausforderungen.

In der Tat hat Präsidentin von der Leyen den Einsatz erhöht und einer europäischen Öffentlichkeit, die sich nach einer funktionierenden EU sehnt, aber in letzter Zeit vor allem Dysfunktionalität und Konflikte erlebt hat, grosse Versprechungen gemacht.

Letzteres wirft die Frage auf: Selbst wenn es der neuen Kommission gelingen sollte, eine funktionierende Zusammenarbeit zu erreichen, wird sie diesen Erfolg für sich beanspruchen können? Bislang hat die Europäische Kommission traditionell darum gekämpft, eine überzeugende, positive Erzählung ihres Wirkens zu konstruieren.

Es lohnt sich daher, das sehr prekäre politische und institutionelle Umfeld, in dem sich die neue Kommission befindet, im Auge zu behalten. Umso wichtiger werden auch die persönlichen Qualitäten und Kompetenzen von Ursula von der Leyen. Wenn die großen Erwartungen, die sie geweckt hat, erfüllt werden sollen, werden folgende drei Faktoren entscheidend sein: ihr Kommunikationsstil, ihr Führungsstil und ihre Fähigkeit, die innerinstitutionelle Beziehung zu gestalten.

Die eupinions-Befragung
eupinions wurde von Catherine de Vries und Isabell Hoffmann gegründet.

eupinions ist eine unabhängige Plattform für europäische, öffentliche Meinung. Wir sammeln, analysieren und kommentieren die Meinung der europäischen Öffentlichkeit zu aktuellen politischen Themen und Megatrends.

eupinions setzt modernste Datenerfassungstechniken ein. Vierteljährlich werden in allen EU-Mitgliedsstaaten Befragungen in 22 Sprachen durchgeführt. Unsere Daten entsprechen wissenschaftlichen Standards und sind repräsentativ hinsichtlich Alter, Geschlecht, Bildung und Land/Region. eupinions ist ein Projekt der Bertelsmann Stiftung. Die Daten werden in Zusammenarbeit mit Dalia Research erhoben.

Alle Publikationen im Zusammenhang mit eupinions werden von den beiden Forscherinnen gemeinsam verfasst.


Referenz:

Bild: eupinions