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Da setze ich meinen Namen drunter! Mitunterzeichnen als Indikator der Kompromissbereitschaft

David Zumbach, Anja Heidelberger, Marc Bühlmann
22nd November 2019

Damit Kompromisse eingegangen und einvernehmliche Lösungen gefunden werden können, muss mindestens eine bedeutende Mehrheit der Akteure im Parlament bereit sein, einen oder mehrere Schritte aufeinander zuzugehen. Eine Möglichkeit zu überprüfen, ob die Bereitschaft zu konkordantem Handeln tatsächlich immer kleiner wird – wie häufig behauptet wird –, besteht in der Analyse der sogenannten Mitunterzeichnenden. Sowohl das Ersuchen um Unterschriften als auch die Mitunterzeichnung selber kennzeichnen eine grundsätzliche Bereitschaft, gemeinsam Lösungen zu suchen. Wie sieht nun aber die Entwicklung des Mitunterzeichnens von Vorstössen im Schweizer Parlament zwischen 1999 und 2018 aus? Lässt sich hier eine Abschwächung der Kompromissbereitschaft ablesen und kann dies als Bestätigung der These einer Krise der Konkordanz interpretiert werden?

Wozu dient Mitunterzeichnen?

Motionen, Postulate und parlamentarische Initiativen können von Einzelpersonen, Fraktionen oder Kommissionen eingereicht werden. Reichen einzelne Parlamentarierinnen und Parlamentarier einen Vorstoss oder eine parlamentarische Initiative ein, haben sie die Möglichkeit, ihrer darin enthaltenen Idee durch eine möglichst grosse Zahl an Mitunterzeichnenden mehr politisches Gewicht zu verschaffen. In der Forschung zeigt sich, dass Parlamentskolleginnen und –kollegen Vorstösse insbesondere dann unterschreiben, wenn sie der Lösung eines als wichtig erachteten Problems möglichst viel Schub verleihen möchten. Dabei dürfte der Erfolg eines Vorstosses wahrscheinlicher sein, wenn Parlamentsmitglieder aus möglichst vielen Fraktionen, also nicht nur aus der Fraktion des oder der Einreichenden, mitunterzeichnen.

Doch es gibt auch Gründe, die gegen eine Mitunterzeichnung sprechen. Einerseits nimmt der Anreiz, die Vorhaben anderer zu unterstützen, womöglich aufgrund der zunehmenden Mediatisierung ab. So ist die Wahrscheinlichkeit, in den Medien Erwähnung zu finden, vermutlich grösser, wenn auf der eigenen Position beharrt wird, als wenn man als einer von vielen einen mühsam erarbeiteten gemeinsamen Entscheid präsentiert. Andererseits muss ein Erlassanstoss nicht zwingend eine möglichst konsensuelle Lösung zum Ziel haben. Er kann auch dazu dienen, neue Ereignisse zu thematisieren, sich zu profilieren oder als Mittel, um den eigenen Wählerinnen und Wählern aufzuzeigen, dass man sich aktiv für ihre Interessen einsetzt. In diesen Fällen reicht aber ein Erlassanstoss ohne Mitunterzeichnende aus; gleichzeitig sind die übrigen Parlamentsmitglieder – insbesondere ausserhalb der eigenen Fraktion – vermutlich weniger gewillt, solche Vorstösse zu unterstützen.

Der Datensatz
Ob und wie sich das Mitunterzeichnungsverhalten im eidgenössischen Parlament verändert hat, untersuchen wir mit einem Datensatz, der einerseits alle Unterzeichnenden aller Motionen, Postulate und parlamentarischen Initiativen zwischen 1999 und 2018 beinhaltet und damit eine Analyse der Entwicklung der Häufigkeiten über die Zeit erlaubt. Andererseits haben wir den Datensatz um die Nichtunterzeichnenden desselben Zeitraums ergänzt, was uns die Durchführung von Regressionsanalysen oder aufgrund der ungleichen Verteilung von 235’211 Unterschriften zu 3’709’939 Fällen, in denen auf eine Unterschrift verzichtet wurde, von Rare-Events-Logit-Modellen mit robusten Standardfehlern und Kontrolle der Unterschreibenden, erlaubt.

Die Anzahl Mitunterzeichnende nimmt über die Zeit ab

Eine erste Analyse auf Aggregatebene verdeutlicht, dass die Zahl an Mitunterzeichnenden pro Vorstoss zwischen 1999 und 2018 bei Motionen, nicht aber Postulaten oder parlamentarischen Initiativen, signifikant abgenommen hat. Abbildung 1 zeigt dies anhand der medianen[1] Häufigkeit auf, mit der eine Motion eines Ratskollegen oder einer Ratskollegin unterzeichnet wird. Gleichzeitig hat der Anteil an Erlassanstössen, die von niemandem unterzeichnet werden, im Nationalrat – nicht aber im Ständerat – signifikant zugenommen (nicht abgebildet).

Abbildung 1: Entwicklung der Anzahl Mitunterzeichnende von 1999 bis 2018 in National- und Ständerat

Diese Befunde alleine können allerdings noch nicht als Zeichen für eine Abschwächung der Konkordanz gewertet werden. Mindestens die folgenden drei Gründe sprechen für Zurückhaltung.

1.) Zunahme der Anzahl eingereichter Motionen und Postulate

Die Anzahl eingereichter Vorstösse nimmt über die Zeit zu, wie Abbildung 2 verdeutlicht. Sowohl im National- als auch im Ständerat werden immer mehr Motionen und Postulate, nicht aber parlamentarische Initiativen, eingereicht. Die Zunahme lässt sich vermutlich dadurch erklären, dass Vorstösse den Parlamentarierinnen und Parlamentariern auch die Möglichkeit bieten, sich gegenüber den Medien und ihren Wählerinnen und Wählern zu profilieren.

Abbildung 2: Entwicklung der Anzahl Motionen und Postulate (1999-2018)

2.) Zunehmende Nutzung der Anstossinstrumente zur Profilierung

Mit der Zeit nimmt zudem die Wirkung der gleichen ideologischen Haltung auf das Mitunterzeichnen zu. Mit anderen Worten: Derselben Fraktion anzugehören wird über die Zeit wichtiger für die Entscheidung, ob man unterschreibt oder nicht (Abbildung 3). Wir vermuten, dass dies mit dem Druck zur Profilierung erklärt werden kann: Der Anreiz für fraktionsfremde Parlamentsmitglieder, eine Unterschrift unter einen Vorschlag zu setzen, ist gering, wenn für die einreichenden Personen vor allem die Beeinflussung der politischen Agenda und das Ansehen vor den eigenen Wählerinnen und Wählern im Fokus stehen.

Abbildung 3: Marginaler Effekt der gleichen Fraktion auf die Unterschriftenbereitschaft über die Zeit

 

Anmerkung: Marginaler Effekt für Rare-Events-Logit-Models mit abhängiger Variable «Unterschriftenbereitschaft» und einem Interaktionsterm für Jahr*gleiche Fraktion.

Quelle: Eigene Auswertungen, Datengrundlage: Parlamentsdienste der Bundesversammlung 2019

 

3.) Der Effekt der Wichtigkeit auf die Unterschriftenwahrscheinlichkeit nimmt zu

Entscheidend für die Konkordanz ist nun aber, dass diese zunehmenden Profilierungsvorstösse keinen nachteiligen Effekt auf die Unterschriftenwahrscheinlichkeit wichtiger Geschäfte ausüben. So zeigt Abbildung 4 zum Schluss, dass neben dem marginalen Effekt der Fraktionszugehörigkeit eben auch der marginale Effekt der Bedeutung eines Geschäfts zugenommen hat. Anliegen, die als wichtig erachtet werden, werden also über die Zeit immer wahrscheinlicher mitunterzeichnet. Keine Unterschriften zu suchen und keine Erlassanstösse zu signieren, wenn diese vor allem als Mittel der Profilierung und Themenbesetzung dienen, ist aus einem Effizienzblickwinkel sinnvoll – zumindest solange die wichtigen Anträge auch weiterhin auf zahlenmässig und ideologisch breitere Unterstützung stossen. Solche selektive Unterschriftenbereitschaft widerspiegelt nicht nur die unterschiedlichen Präferenzen und Strategien der Parlamentarierinnen und Parlamentarier, sondern auch einen ziemlich bewussten Umgang mit Kompromissbereitschaft. 

Abbildung 4: Marginaler Effekt der Bedeutung eines Geschäfts auf die Unterschriftenbereitschaft über die Zeit

Anmerkung: Marginale Effekte für Rare-Events-Logit-Models mit abhängiger Variable «Unterschriftenbereitschaft» und einem Interaktionsterm für Jahr*Bedeutung des Geschäfts.

Quelle: Eigene Auswertungen, Datengrundlage: Parlamentsdienste der Bundesversammlung 2019


[1] Der Median gibt den Mittelwert einer Verteilung an: Die Hälfte aller Fälle befindet sich unter, die andere Hälfte über diesem Wert.


Referenz:

Zumbach, David; Heidelberg, Anja und Marc Bühlmann (2019). Da setze ich meinen Namen drunter! Mitunterzeichnen als Indikator der Kompromissbereitschaft. In: Konkordanz im Parlament. Zürich: NZZ Libro, Reihe „Politik und Gesellschaft in der Schweiz“.

Bild: rawpixel.com