Die sozio-professionelle Zusammensetzung des Nationalrats 2019-2023
Andrea Pilotti, Roberto Di Capua
8th November 2019
Im neuen Parlament ist vor allem der Nationalrat anders zusammengesetzt als in der vorherigen Legislatur. 61 neu gewählte Mitglieder werden im Dezember 2019 ihren Platz einnehmen, das entspricht 30,5 Prozent aller Sitze im Nationalrat. Dass die Erneuerungsrate so hoch ist, kann auf zwei Gründe zurückgeführt werden: Zum einen traten 30 Personen nicht mehr zur Wahl an und zum anderen wurden 31 Bisherige nicht wieder gewählt. Die Nichtwiederwahlquote betrug somit 18 Prozent und war die höchste seit 1999.
Stark gestiegener Frauenanteil
Nach den nationalen Wahle vom 20. Oktober 2019 kam es zu einer deutlichen Feminisierung des Nationalrates. Tatsächlich stieg der Anteil der gewählten Frauen von 33 Prozent im Jahr 2015 auf 42 Prozent im Jahr 2019. Damit bewegt sich der Nationalrat in Richtung Geschlechterparität (Abbildung 1).
Abbildung 1: Frauen- und Männeranteil im Nationalrat (2015 und 2019)
Betrachtet man die neugewählten Vertreter*innen, so stellt man fest, dass diese Feminisierung des Nationalrates alle Hauptparteien betrifft: Alle parteipolitischen Delegationen, mit Ausnahme der CVP, haben unter ihren neu gewählten Vertreter*innen eine Balance (SVP, GLP, SP) oder eine Mehrheit von Frauen (Grüne und FDP) (Abbildung 2).
In absoluten Zahlen ist es jedoch der Wahlerfolg der Grünen, der am meisten zur Feminisierung des Nationalrates beisteuert. Von den 32 neuen Parlamentsmitglieder sind zehn grüne Frauen, zudem je 5 von der SP und der GLP, je 4 von der FDP, 3 von der SVP, 2 von der CVP und je eine Person von der Ensemble à Gauche, BDP und EVP).
Abbildung 2: Anteil der neugewählten Frauen nach Parteien (2019)
Nach diesen Wahlen sind die Parteidelegationen mit dem höchsten Frauenanteil im neuen Nationalrat daher die Mitte-Links-Formationen. So beträgt der Frauenanteil bei der SP 62 Prozent, bei den Grünen 61 Prozent und 50 Prozent bei der GLP. Die anderen Fraktionen haben keine Geschlechterparität: 34 Prozent der gewählten Vertreter*innen der FDP sind Frauen, bei der CVP sind es 32 Prozent und bei der SVP 25 Prozent (Abbildung 3).
Abbildung 3: Frauenanteil bezüglich Parteizugehörigkeit im Nationalrat (2019)
Leichte Akademisierung
Während die Zahl der Akademiker*innen im Nationalrat seit den 90er-Jahren aufgrund des Erfolgs der SVP stetig zurückgegangen ist, steigt erstmals der Anteil der Mandatsträger*innen mit Hochschulabschluss. Der Nationalrat wird akademischer, da 61Prozent der gewählten Amtsträger*innen einen Hochschulabschluss haben (nach den Wahlen 2015 betrug der Anteil der Akademiker*innen 57 Prozent, siehe Abbildung 4). Über die lange Frist betrachtet, bleibt der Akademisierungsgrad aber tiefer als 1980, alsdem Nationalrat 67 Prozent Hochschulabsolvent*innen angehörten.
Die aktuelle Zunahme der Akademiker*innen erklärt sich dadurch, dass unter den Neugewählten 66 Prozent einen Hochschulabschluss haben. In Bezug auf die Parteien ist dieser Trend bei der GLP am ausgeprägtesten, da von den zehn Neugewählten neun einen Universitätsabschluss haben; aber auch bei der der CVP, der SP und den Grünen hat die Mehrheit der Neugewählten einen Hochschulabschluss (CVP: 83 Prozent, SP: 80 Prozent, Grüne: 71 Prozent, siehe Abbildung 5). Dieser Trend ist auf der rechten Seite weniger ausgeprägt, bei der SVP sind von den sechs neuen Mitglieder zwei Akademiker*innen; vier der sieben neuen Parlamentsmitglieder der FDP verfügen ebenfalls über einen Universitätsabschluss.
Abbildung 4: Anteil der gewählten Mitglieder des Nationalrates mit akademischem Titel (2015 und 2019)
Abbildung 5: Anteil der gewählten Mitglieder des Nationalrates mit akademischem Titel nach Parteien (2019)
Die Fraktion mit dem höchsten Akademikeranteil im neuen Nationalrat ist die GLP, bei der 88 Prozent der Gewählten Akademiker*innen sind; dicht gefolgt von den Grünen und der SP mit je 79 Prozent Akademiker*innen. Darauf folgt die CVP mit 72 Prozent und die FDP mit 59 Prozent; nur innerhalb der SVP-Fraktion sind die Hochschulabsolvent*innen mit 34 Prozent eine Minderheit (Abbildung 6).
Abbildung 6: Anteil Hochschulabsolventen nach Partei
Änderung des Berufsbildes des Nationalrates
Das Berufsbild des Nationalrates bleibt recht stabil. Das Bundesparlament bleibt 2019 ein Parlament, das sich hauptsächlich aus Politiker*innen (37 Prozent kommunale Führungskräfte, Berufsparlamentarier*innen und Verbandsfunktionär*innen), Unternehmer*innen (23%) und gewählten Vertreter*innen freier Berufe (23%) zusammensetzt.
Wir können jedoch drei leichte Verschiebungen feststellen, obwohl wir insgesamt keine signifikanten Veränderungen feststellen.
Erstens eine Erhöhung der Zahl der gewählten Amtsträger*innen mit Angestelltenstatus von 15 Prozent im Jahr 2015 auf 19 Prozent im Jahr 2019 (Abbildung 7). Dieser Anstieg wird insbesondere durch eine Erhöhung der Zahl der Lehrer*innen von zwei Prozent im Jahr 2015 auf sechs Prozent im Jahr 2019 erreicht (Anhang 2). Parteibezogen gesehen sind es vor allem die Neugewählten der Grünen, der GLP und der SP, die diesen Trend verstärken, wobei durchschnittlich ein Drittel der neugewählten Personen den Status von Arbeitnehmer*innen haben (Abbildung 8).
Abbildung 7: Verteilung der gewählten Mitglieder nach Berufsstand (2015 und 2019)
Abbildung 8: Anteil neugewählter ArbeitnehmerInnen im Nationalrat nach Parteien (2019)
Abbildung 9: Anteil neugewählter Selbstständiger im Nationalrat nach Parteien (2019)
Abbildung 10: Anteil neugewählter Mitglieder, die bereits ein politisches Amt besetzten (2019)
Es sei auch darauf hingewiesen, dass unter diesen neu gewählten Mitgliedern ein beachtlicher Anteil aus Familien mit ehemaligen Parlamentarier*innen stammt. Tatsächlich haben zehn Prozent der Neugewählten einen Vater oder eine Mutter, die der Bundesversammlung früher angehörten (z.B. bei der CVP Marianne Binder-Keller und Vincent Maitre, bei den Grünen Kilian Baumann oder bei der SVP Benjamin Giezendanner).
Fazit
Das sozio-professionelle Profil des Nationalrates hat sich nach den Nationalratswahlen vom 20. Oktober 2019 verändert. Hervorzuheben sind die signifikante Feminisierung der Kammer, die Zunahme der Akademisierung, der relative Anstieg der Führungskräfte aus der öffentlichen Verwaltung und ein Anstieg der Berufspolitiker*innen, die die Bundesversammlung noch weiter von einem so genannten Milizparlament entfernen. Parteibezogen gesehen lassen sich diese vier Trends insbesondere durch den Wahlerfolg der Grünen und der GLP (+17 bzw. +9 Sitze), durch die relative Stabilität der SP und der FDP (trotz des Verlusts von jeweils 4 Sitzen) und durch den deutlichen Rückgang der SVP (-12 Sitze) erklären.
In Bezug auf die Repräsentativität ist der Nationalrat weit davon entfernt, ein Repräsentationsideal zu erreichen, das von einem Milizsystem erwartet wird. Obwohl bei der Vertretung der Frauen Fortschritte erzielt wurden, bleibt das Schweizer Parlament ein sozial hoch selektives Organ, das sich hauptsächlich aus Akademiker*innen, Unternehmer*innen, Freiberufler*innen oder Berufspolitiker*innen zusammensetzt; alles Minderheitengruppen innerhalb der Schweizer Gesellschaft, die hauptsächlich aus Arbeitnehmer*innen besteht.
Anhang 1: Berufe der neugewählten Mitglieder des Nationalrats (2019)
Anhang 2: Die Berufsgruppen der Gewählten (Vergleich 2015 und 2019)
Anhang 3: Neu gewählte Mitglieder der öffentlichen Verwaltung nach Parteien (2019)
Bild: admin.ch