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Populismus und direkte Demokratie – Eine Liebe auf den ersten Blick

Steffen Mohrenberg, Robert Huber, Tina Freyburg
25th Oktober 2019

Wer ist das Volk, was möchte das Volk und wer darf für sich beanspruchen, in seinem Namen zu entscheiden? Populisten glauben die Antwort zu kennen. Wir zeigen in unserer Analyse, dass Menschen mit populistischen Einstellungen der direkten Demokratie gegenüber sehr positiv eingestellt sind und erklären, warum dies so ist.

Viele aktuelle politische Debatten in Europa drehen sich um die Frage nach dem "wahren" Volkswillen und seiner Umsetzung. Populistische Parteien stellen sich häufig als die einzig richtige Vertretung des Volkswillens dar. Sie geben vor, den Willen der Bevölkerung zu kennen und diesen – sofern es die Mehrheitsverhältnisse erlauben – so direkt wie möglich umzusetzen.

Volk und Elite: Was Populismus bedeutet
Personen mit populistischen Einstellungen teilen die Bevölkerung in Elite und Volk ein. Wer genau in welche Kategorie fällt, ist aber nicht so klar definiert. Während für einige das Volk national oder ethnisch definiert ist, bezieht sich diese Einteilung bei anderen auf die Zugehörigkeit zu sozialen Klassen. Gemeinsam ist den Populist*innen, dass sie die Elite ablehnen und als korrupt betrachten, während das Volk als gut gilt – dies sowohl im Sinne moralischer Überlegenheit als auch als homogene Einheit, die weiss, was das Beste für das Land ist.

Populistische Parteien fordern in vielen europäischen Ländern mehr direkte Demokratie. Man kann darin einen Widerspruch oder ein machtstrategisches Kalkül erkennen - oder auch die Absicht populistischer Parteien ausmachen, den Volkswillen kontinuierlich übermittelt zu bekommen, um ihm als regierende Partei zum Durchbruch zu verhelfen.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, in wie weit Menschen mit populistischen Einstellungen (mehr) direkte Demokratie bejahen und in der direkten Partizipation der Bevölkerung an politischen Sachentscheidungen einen Wert an sich erkennen. Dieser Frage – wie Menschen mit populistischen Einstellungen zu direkter Demokratie stehen – gingen wir in unserer Analyse nach (siehe Mohrenberg et al. 2019).

 Populist*innen und stealth democrats : Eine Abgrenzung

In der politikwissenschaftlichen Diskussion wird häufig argumentiert, dass Populist*innen (mehr) direkte Demokratie fordern, weil sie auch eine sogenannte Tarnkappendemokratie befürworten. Wir untersuchen in unserer Analyse auch, inwiefern es im politischen Denken zwischen Populisten und Tarnkappen-Demokraten Unterschiede gibt in Bezug auf die Unterstützung der direkten Demokratie.

Definition Tarnkappendemokratie
Der Begriff stealth democracy, zu Deutsch in etwa Tarnkappendemokratie, hat sich im politikwissenschaftlichen Diskurs etabliert. Im Unterschied zu Populist*innen hegen sogenannte stealth democrats aber nur geringe Erwartungen an das Volk. Sie tendieren vielmehr dazu, normale Bürger*innen gering zu schätzen. Es ist ihnen zudem relativ gleichgültig, wer genau ein Land regiert, solange ihrer Meinung nach richtig regiert wird, d.h. solange sie mit den getroffenen politischen Entscheidungen einverstanden sind.

Populismus, stealth democracy und direkte Demokratie

Wir argumentieren, dass aus der Perspektive von stealth democrats direkt-demokratische Verfahren primär als politische Notbremse fungieren, die zwar immer verfügbar sind, aber nur dann zur Anwendung kommen sollten, wenn sich die politischen Entscheidungsträger*innen zu weit von den Präferenzen der Bürger*innen entfernen (Hibbing und Theiss-Morse 2002). Zudem unterstützen stealth democrats die Idee, dass Geschäftsleute oder Experten von ausserhalb der herrschenden politischen Elite und des Parteienspektrums wichtige politische Entscheidungen treffen.

Populist*innen teilen diese Sicht auf direkte Demokratie nicht. Sie unterstützen direktdemokratische Verfahren grundsätzlich, also unabhängig von der konkreten Sachvorlage. Populist*innen sehen direkt-demokratische Instrumente viel mehr als Garant dafür, dass die aus ihrer Sicht "gute" und zu "gutem politischen Handeln" fähige Bevölkerung ihre eigenen Geschicke lenken kann (Müller 2016). Die direkte Teilhabe an politischen Sachentscheidungen ist im Weltbild der Populist*innen daher die grundsätzlich bessere Alternative (oder zwingende Ergänzung) zur repräsentativen Demokratie.

Personen mit ausgeprägter populistischer Einstellung mögen direktdemokratische Verfahren

Unsere Ergebnisse zeigen, dass Menschen mit ausgeprägter populistischer Einstellung direktdemokratische Verfahren stärker präferieren als Menschen mit weniger stark ausgeprägter populistischer Einstellung. Personen, die die typischen Einstellungen von stealth democrats teilen, zeigen ebenfalls die erwartete Präferenz für direkte Demokratie.

Diese direktdemokratischen Präferenzen von Populist*innen und stealth democrats sind in unseren Analysen aber unabhängig voneinander. Dies werten wir als Unterstützung der hier eingangs ausgeführten Position, dass Populist*innen und stealth democrats direkte Demokratie aus unterschiedlichen Motiven heraus gutheissen und dass populistische Zustimmung zu direkter Demokratie nicht von tarnkappendemokratischen Vorstellungen abhängt.

Abbildung 1: Unterstützung für die direkte Demokratie mit populistischen Einstellungen

Lesehinweis: Die Abbildungen fassen die Simulationen unserer Analyse zusammen. Die Punkte zeigen den Median und die Linien jeweils 95%-Konfidenzintervalle (als linker und rechter Endpunkt der horizontalen Linien dargestellt) dieser Simulationen. In jeder einzelnen Simulation wird geschätzt, wie sich die abhängige Variable «Unterstützung direkter Demokratie» verändert, wenn eine bestimmte unabhängige Variable von einem niedrigen Wert (z.B. 1. Quartil (Q1)) zu einem hohen Wert (z.B. 3. Quartil (Q3)) geändert wird, während alle anderen unabhängigen Variablen auf ihrem Mittelwert oder Median konstant gehalten werden.

Zusammenfassend können wir festhalten, dass Menschen mit populistischen Einstellungen (mehr) direkte Demokratie gutheissen. Diese Präferenz scheint direkt mit den beiden Dimensionen populistischer Einstellungen (anti-Elitismus und Glaube an das gute und tugendhafte Volk) zusammenzuhängen, unabhängig davon, ob jemand typische tarnkappendemokratische Ansichten eines stealth democrats teilt. Wir kommen in allen vier von uns betrachteten Ländern (Grossbritannien, Frankreich, Schweiz und Deutschland) zu einem recht ähnlichen Ergebnis, obwohl sich das Niveau der Unterstützung direkter Demokratie zwischen den vier Ländern unterscheidet.

Weiterhin geht gemäss unserer Ergebnisse die individuelle Unterstützung für direkte Demokratie mit Unterstützung für eine populistische Partei im eigenen Land einher. Wir bewerten all dies zusammengenommen als Hinweis darauf, dass Einstellungen zur direkten Demokratie in allen Ländern auch historisch gewachsen sind und sich in Reaktion auf das aktuelle politische System mit seinen Akteuren (z.B. populistische Parteien, die mehr direkte Demokratie einfordern) stetig weiterentwickelt. Populistisch eingestellte Menschen fühlen sich also durchaus hingezogen zur direkten Demokratie. Wir halten es aber auch für wahrscheinlich, dass populistische Parteien und Traditionen hier als quasi-Heiratsvermittler nachhelfen.

Daten und Methoden
Wir verwenden in unserer Analyse zwei unterschiedliche Messinstrumente für die individuelle Unterstützung der direkten Demokratie. Unsere erste abhängige Variable misst die Bewertung direktdemokratischer Elemente als mehr oder weniger wichtig für eine funktionierende Demokratie (in Abbildung 1 als «general support for direct democracy» bezeichnet). Unsere zweite abhängige Variable hingegen misst den Grad der Ablehnung jeglicher gesetzlicher Einschränkungen der Themen, über die direktdemokratisch entschieden werden darf (in Abbildung 1 als «unconditional support for direct democracy» bezeichnet).

Das Ausmass individueller populistischer Einstellung wiederum messen wir basierend auf der individuellen Zustimmung zu (1) anti-elitistischen Statements und (2) zu Statements, in denen «das Volk» als «gut» und tugendhaft gesehen wird – analog der obigen Ausführungen zu den zwei definitorischen Merkmalen von Populismus. Unsere Datenbasis besteht aus den Antworten von 4'000 Personen aus in vier westeuropäischen Demokratien (Frankreich, Deutschland, Schweiz und Grossbritannien) durchgeführten standardisierten Interviews (NCCR Democracy 2006).


Quelle:

Referenzen:

  • Bowler, Shaun, David Denemark, Todd Donovan, and Duncan McDonnell. 2017. ‘Right-Wing Populist Party Supporters: Dissatisfied but Not Direct Democrats’. European Journal of Political Research 56(1): 70–91.
  • Hawkins, Kirk A., und Cristóbal Rovira Kaltwasser. 2018. ‘Introduction: The Ideational Approach’. In The Ideational Approach to Populism: Concept, Theory, and Method, eds. Kirk A. Hawkins, Ryan E. Carlin, Levente Littvay, und Cristóbal Rovira Kaltwasser. Routledge, 1–24.
  • Hibbing, John R., and Elizabeth Theiss-Morse. 2002. Stealth Democracy: Americans’ Beliefs about How Government Should Work. Cambridge ; New York: Cambridge University Press.
  • Müller, Jan-Werner. 2016. What Is Populism? Philadelphia: University of Pennsylvania Press.
  • NCCR Democracy 2016. Democratic Governance and Citizenship National Survey [Dataset], FORS Lausanne.
  • Webb, Paul. 2013. ‘Who Is Willing to Participate? Dissatisfied Democrats, Stealth Democrats and Populists in the United Kingdom’. European Journal of Political Research 52(6): 747–72.
Bild: flickr