Donald Trump würde nicht Bundesrat
Markus Freitag
25th September 2019
Was es mit der Tarnkappendemokratie auf sich hält und wieso politisch unerfahrene Wirtschaftskapitäne in der Schweiz kaum in die Regierung gewählt würden.
Stellen Sie sich vor, es sind Wahlen und keiner geht hin. Für viele ein Schreckensszenario. Urnengänge sind schliesslich eine staatsbürgerliche Pflicht und all diejenigen, die sich letzterer nicht unterwerfen schlechte Bürger. Letzteres wird vom Modell der Tarnkappendemokratie bezweifelt, das amerikanische Politikwissenschaftler vor beinahe zwanzig Jahren entwarfen, um den Zustand einer bewusst beteiligungsabstinenten Gesellschaft zu beschreiben.
In dieser stealth democracy wollen die Bürger gar nicht ständig nach ihrer Meinung gefragt werden. Vielmehr werden die Regierungsgeschäfte im Verborgenen und beinahe unsichtbar von einem technischen Apparat aus delegierten Fachpersonen, unabhängigen Kommissionen oder erfolgreichen Geschäftsleuten geführt. Politiker und Parteien sind in diesem Konzept nicht vorgesehen. Da die Regierungsmitglieder nicht gewählt werden, sind sie vor Sonderinteressen gefeit und können im Sinne der breiten Öffentlichkeit handeln.
Statt Parteiinteressen und ideologischer Kabale dominiert in diesem technischen Entwurf die Effizienz: Politische Abläufe dienen allein der Erreichung übergeordneter und weitgehend unbestrittener Ziele. Das Volk verzichtet freiwillig und guten Gewissens auf die Beteiligung. Es ist an politischen Debatten nicht wirklich interessiert und greift nur im äussersten Notfall in das politische Geschehen ein. Rund ein Viertel der Amerikaner und über dreissig Prozent der Briten und Australier bekunden in Umfragen Sympathien für dieses Nichtbeteiligungsmodell. In Südkorea unterstützen über vierzig Prozent diese Idee und in Spanien befürwortet jüngst gar die Hälfte der Bevölkerung die Tarnkappendemokratie.
Was wäre, wenn die Schweizerinnen und Schweizer diese Systemalternative herauspicken könnten? Wahlurnen gelten hierzulande ohnehin nicht als «hot spot» und der Grossteil der Schweizerinnen und Schweizer verzichtet regelmässig auf die Stimmabgabe. Forschungen legen auch nahe, dass sich die Nichtwählerschaft mehrheitlich aus zufriedenen Bürgerinnen und Bürgern zusammensetzt. Und nehmen im Parlament nicht vermehrt Politiker Platz, die zwar ohne vorgängige parteipolitische Ochsentour, aber mit zugeschriebenem Expertenstatus quer in die Politik einsteigen? Werden landauf landab nicht immer wieder erfolgreiche Unternehmer als Regierungspersonen herbeigesehnt?
Vor die Wahl gestellt, kann nach den Auswertungen der Berner Politologin Maya Ackermann jedoch nur gut ein Sechstel der Schweizerinnen und Schweizer dieser Herrschaftsform etwas abgewinnen. Das hiesig praktizierte Beteiligungsmodell gilt als alternativlos und die wenigen Fürsprecher der Tarnkappendemokratie finden sich eher unter älteren Männern und formal wenig gebildeten Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern.
Drei Viertel der Befragten sprechen sich gar für eine gründliche Diskussion im Vorfeld politischer Entscheidungen aus und entsprechen damit so gar nicht dem Bild des politisch gleichgültigen Eidgenossen. Und auch wenn die Bevölkerung mehr der Feuerwehr und Polizei als den Politikern vertraut, sehen doch über zwei Drittel die Geschicke des Landes in den Händen letzterer gut aufgehoben.
Ein gutes Drittel kann sich zwar auch unabhängige Experten an der Staatsspitze vorstellen, doch immerhin die Hälfte möchte auch die Parteien nicht missen. Und aufgepasst: Nur ein Fünftel wünscht sich politisch unerfahrene Wirtschaftskapitäne am Regierungsruder. Kurz: Hätte das Volk die Wahl, für Donald Trump gäbe es wohl keinen Platz im Bundesrat.
Hinweis: Dieser Beitrag erschien am 24. September 2019 in der NZZ.
Bild: Bundeskanzlei