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Politik aus Beruf(ung)

Markus Freitag
17th September 2019

Was wäre eigentlich, wenn es das Milizprinzip nicht mehr gäbe und wir stattdessen nur noch Berufspolitiker hätten?

Milizpolitikerinnen und -politiker tun das, was sich nur noch wenige antun. Richtig bezahlt werden sie dafür nicht. Fragt man sie nach der ansonsten erhaltenen Wertschätzung, zucken sie auffallend oft mit ihren Schultern.

Beinahe die Hälfte der Heranwachsenden in der Schweiz weiss nicht einmal, dass es sie gibt (vgl. Abbildung). Nicht von ungefähr bekunden immer mehr Gremien enorme Schwierigkeiten, ihre Behördenstellen zu besetzen.

Der verpflichtende Charakter der Miliztätigkeit sowie deren zeitliche Fremdbestimmung korrespondieren mehr schlecht als recht mit dem Wunsch nach einer flexiblen Lebensplanung. Gerade im neu zu wählenden National- und Ständerat werden die Interessen der Wählenden zunehmend weniger von ihnen vertreten. Dabei betreiben sie Politik zumeist aus Berufung.

Gabe es das Milizparlament nicht mehr, würden seine Kritiker aufatmen. Miliztätige sind in deren Augen mit zu hohen Leistungsanforderungen und Anspruchshaltungen konfrontiert, denen sie als unvollkommen qualifizierte Freizeitpolitiker nicht gerecht werden können. Ihre zeitlich begrenzte Verfügbarkeit erschwert denn auch die arbeitsteilige Koordination und Kommunikation mit der Verwaltung. Zudem geht die mit der beschränkten Einsatzfähigkeit einhergehende Fokussierung auf das Tagesgeschäft zulasten der Verfolgung langfristig angelegter Projekte und konzeptionell-strategischer Anliegen.

Ohnehin leide das Engagement im Milizwesen unter einer sozialen Diskriminierung und die Arbeit wird eher von den «haves» als von den «have-nots» gestaltet. Eine Miliztätigkeit muss man sich eben leisten können. Auch schwören die hauptberuflichen Beziehungen und Erfahrungen der Miliztätigen immer wieder Interessenkollisionen herauf. Insbesondere fehlende angemessene Vergütungen verführen die Behördenmitglieder zu intransparenten Vorteilsnahmen und verwischen die Grenzziehung zwischen privatem und öffentlichem Interesse.

Allen Unkenrufen zum Trotz, ist der Preis der Professionalisierung hoch. Fixe Besoldungskosten für Berufspolitiker schränken den finanziellen Spielraum ein. Ein Rückbau einer einmal geschaffene Stellen ist problematisch. Zudem könnte der Einsatz monetärer Impulse auch zu charakterlichen Umschichtungen im Milizpersonal führen, sodass die Uneigennützigkeit und Gemeinwohlorientierung des Engagements sukzessive durch Profitstreben abgelöst werden. Festangestellten Politikern drohen bei einer Abwahl oftmals auch empfindliche Einkommensverluste.

Solche Aussichten bringen eine andere Art des Politisieren mit sich. Statt auf Sachpolitik wird sich auf die Wiederwahl konzentriert. Überdies schafft das Milizprinzip Vertrauen in die Institutionen und damit politisches Kapital. Ohne dieses System könnte die implantierte Identität zwischen Regierenden und Regierten Schaden nehmen und die Politik mit der Zeit als abgehobener empfunden werden, da weniger Alltagserfahrungen in die Politik einfliessen.

Der Königsweg wird kein Entweder-oder sein. Die Schweizer Beteiligungsdemokratie wird nicht allein als Laienschauspiel aufgeführt werden können. Allerdings macht eine Professionalisierung die politische Arbeit nicht zwingend besser. Es braucht den Laien als Korrektiv, um etwaige Qualifikationslücken der Professionellen wirkungsvoll mit praxisnahem Gedankengut zu ergänzen und die Bodenhaftung der Politik nicht zu verlieren. Sowieso: Leidenschaft, Verantwortungsgefühl und Augenmass lassen sich nicht mit Geld aufwiegen.

Hinweis: Dieser Beitrag erschien am 10. September 2019 in der Neuen Zürcher Zeitung.


Literatur

Freitag, Markus; Pirmin Bundi und Martina Flick Witzig (2019): Milizarbeit in der Schweiz. Zahlen und Fakten zum politischen Leben in der Gemeinde. Zürich: NZZ Libro.