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Mittendrin und nicht dabei

Adrian Vatter
6th September 2019

Jede vierte Person in diesem Land hat keinen Schweizer Pass. Der Anteil der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz ist mit mehr als 2,1 Mio. Einwohnern sogar grösser als der Anteil Französischsprachiger. Bei eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen verfügen sie aber über keine Stimme. Demokratie, wörtlich übersetzt «Volksherrschaft», ist in der Schweiz auf nationaler Ebene nach wie vor in erster Linie eine Inländerherrschaft.

In einzelnen Kantonen der Schweiz macht der Ausländeranteil über vierzig Prozent (GE) bzw. 35 Prozent (BS) der Wohnbevölkerung aus. Zwar gewähren acht Kantone, vor allem diejenigen aus der Westschweiz, Ausländern in der Regel das volle Wahlrecht auf kommunaler Ebene und zwei Kantone (JU, NE) zusätzlich auf kantonaler Ebene zumindest das aktive Wahlrecht.

Abbildung 1: Bilanz der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung (1951-2018)

Datenbasis: BFS
Doch was wäre, wenn die ausländische Bevölkerung an nationalen Wahlen teilhaben dürfte?

Der Befund ist relativ eindeutig: Ausländer stehen sowohl parteipolitisch als auch bei Abstimmungen weiter links als die Schweizer, wie eine Studie des Politologen Andreas Ladner von der Uni Lausanne über die politischen Einstellungen von Migranten zeigt. Sie sind eher für hohe Wohlfahrtsausgaben, weniger häufig für eine starke Armee, für eine stärkere europäische Integration und – wenig überraschend – für mehr Chancengleichheit für Ausländer.

Gemäss dieser Analyse würden 28,5 Prozent der in der Schweiz lebenden Ausländer die SP wählen, danach folgen die Grünen an zweiter Stelle. Vor allem bei den Franzosen, Spaniern und Italienern sind die Sozialdemokraten die beliebteste Partei, während die Deutschen am häufigsten die Grünen wählen würden.

Erst an dritter Stelle folgt die SVP. Sie wäre mit 14,3 Prozent bei den Ausländern nur halb so beliebt wie bei den Schweizern. Ihre Sympathisanten finden sich vor allem bei den Zuwanderern aus den ehemals kommunistischen osteuropäischen Staaten, die generell skeptisch gegenüber linken Parteien eingestellt sind.

Überraschend ist dabei das relativ schlechte Abschneiden der CVP, stammen doch viele Ausländer aus dem katholischen und christdemokratisch geprägten Südeuropa (Italien, Spanien, Portugal). Damit bestehen offensichtliche Unterschiede zwischen Ausländern der ersten Generation und Schweizer Wählern.

Interessanterweise passen sich aber die politischen Einstellungen der Migranten denjenigen des Gastlandes mit fortlaufender Aufenthaltsdauer an. So kommt der Politologe Oliver Strijbis in seinen Studien zum Schluss, dass Ausländer der zweiten Generation zwar noch etwas linker wählen würden als Schweizer. Auch bei ihnen steht die SP an erster Stelle. Aber schon als zweitbeliebteste Partei folgt die SVP. Spätestens bei der dritten Generation von Ausländern verschwinden die Unterschiede dann fast vollständig. Sie weisen mehr oder weniger die gleichen politischen Einstellungen auf wie Schweizer ohne Migrationshintergrund.

Im Vergleich zur ersten und zweiten Ausländergeneration haben sich ihre politischen Präferenzen fortlaufend nach rechts verschoben. Eine Mehrheit der oft schon Eingebürgerten würde die Parteien aus dem bürgerlichen Mitte-rechts-Lager wie BDP, CVP, FDP und GLP wählen, während die Anteile der Rot-Grünen und der Rechtskonservativen (SVP, Lega, EDU) denjenigen der Schweizer entsprechen würden.

Mit anderen Worten: je länger Migranten hier leben, umso stärker gleicht sich ihr Wahl- und Stimmverhalten den Schweizern an. Es würde sich damit also längerfristig wenig am Ausgang von Wahlen und Abstimmungen ändern, wenn wir zumindest denjenigen Ausländern das Wahlrecht geben würden, die schon lange in der Schweiz leben. Gleichzeitig wäre es aber ein wichtiger Schritt zur politischen Integration einer grossen Minderheit in die Schweizer Gesellschaft.

 

Hinweis: Dieser Beitrag erschien am 3. September 2019 in der Neuen Zürcher Zeitung.