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Die «Causa Vincenz» – wie der Skandal um Pierin Vincenz die Reputation der Raiffeisenbank gefährdet

Julia Haslach
9th August 2019

Der Skandal um Pierin Vincenz, ehemaliger Raiffeisen-CEO, hat medial hohe Wellen geschlagen. Seine Reputation scheint am Tiefpunkt angelangt zu sein. Wie der Skandal um seine Person auch die Reputation der Raiffeisen-Gruppe beschädigt, zeigt die folgende Analyse.

„Die Finanzaufsichtsbehörde Finma ermittelt gegen den ehemaligen Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz. Streitpunkt sind mögliche Interessenskonflikte während seiner Zeit bei Raiffeisen Schweiz“ (Fuster, 2017), berichtete die NZZ am 5. November 2017. Dem Top Banker wird ungetreue Geschäftsbesorgung im Kontext von Zukäufen der Raiffeisengruppe vorgeworfen – die Staatsanwaltschaft ermittelt bis dato, Vincenz sass 106 Tage in Untersuchungshaft (Schmid, 2019). Der Skandal um Vincenz wurde medial heftig diskutiert; in der Anfangsphase vor allem getrieben durch den Wirtschaftsjournalisten Lukas Hässig, dem Herausgeber von Inside Paradeplatz, einem Online-Fachmedium, das sich spezifisch auf den Finanzplatz am und um den Zürcher Paradeplatz fokussiert. Die Causa Vincenz hat aber längst die massenmediale Arena erreicht; die Voten reichen von Unschuldsvermutungen bis hin zu Vorabverurteilungen – die bis anhin intakte und für den Bankensektor überdurchschnittlich hohe Reputation der Raiffeisenbank (GfK, 2018), aber auch diejenige von Pierin Vincenz werden fundamental in Frage gestellt.

Reputation als wichtigste Ressource in der Mediengesellschaft

Doch was lässt sich überhaupt unter Reputation verstehen und wie kann diese gemessen werden? In vereinfachter Sichtweise gilt die Reputation als der gute bzw. schlechte Ruf – sprich das öffentliche Ansehen, das einzelne Akteure, wie beispielsweise Institutionen, Organisationen oder Personen geniessen. Gerade in der heutigen Mediengesellschaft stellt eine intakte Reputation für Unternehmen und öffentlich exponierte Personen die wohl wichtigste Ressource dar – kann diese doch für den Fortbestand oder Niedergang des Betroffenen von entscheidender Bedeutung sein.

Die medial vermittelte Reputation lässt sich numerisch messen, wie es bspw. das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) mit ihrem eigens entwickelten Reputationsindex tut.

Der Reputationswert* wird anhand der positiven, negativen wie auch neutralen Berichterstattung über einen Akteur gemessen (siehe methodische Anmerkungen am Ende des Beitrags).

Skandal beschädigt auch Reputation der Raiffeisenbank

Wie sich die Reputation von Pierin Vincenz und der Raiffeisenbank im Skandalverlauf verändert hat, kann aus der nachfolgenden Grafik** (siehe methodische Anmerkungen am Ende des Beitrags) entnommen werden.

Abbildung 1: Reputationsverlauf Raiffeisenbank und Pierin Vincenz

Die Analyse des Reputationsverlaufs zeigt, dass der Skandal um Vincenz sowohl seine persönliche Reputation, als auch diejenige der Raiffeisenbank fundamental beschädigt hat. Die vor dem Skandal deutlich positive Reputation der Raiffeisenbank wird durch den Skandaleintritt im Oktober/November stark beschädigt und sinkt in den negativen Bereich. Während sich die Reputation der Raiffeisenbank in den Folgemonaten etwas erholt und auf einem, wenn auch unterdurchschnittlichen Niveau stabilisiert, verläuft die Reputationsentwicklung von Vincenz volatiler und sinkt im Februar auf den Allzeit-Tiefstwert.

Vincenz’ soziale Reputation scheint kaum wiederherstellbar

In der akademischen Reputationsforschung werden zudem spezifische Reputationsdimensionen unterschieden: die funktionale und soziale Reputationsdimensionen. Wird ein Akteur in seiner funktionalen Reputation tangiert, geht es primär um die Beurteilung seiner Kompetenzen und Erfolge. Unternehmen oder Manager vergrössern beispielsweise ihre funktionale Reputation dadurch, wenn sie steigende Gewinne, Renditen oder Aktienkurse zu verzeichnen haben und positiv darüber berichtet wird.

Wird hingegen über die soziale Reputation eines Akteurs berichtet, so geht es primär um ethische (In-)Korrektheit. Es geht dabei um die Beurteilung, inwiefern Handlungen eines Akteurs als sozial legitim bzw. illegitim erscheinen. Eine verlorene soziale Reputation ist verheerend, wie ein Experte in diesem Gebiet bestätigt: «Ethische Defizite prägen den Ruf nachhaltiger», meint Mark Eisenegger, Medienprofessor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. Ist die soziale Reputation einmal beschädigt, ist diese nur schwer wiederherstellbar.

Die inhaltsanalytische Untersuchung der Medienberichterstattung über Vincenz und die Raiffeisenbank zeigt ein deutliches Muster, wie aus den nachfolgenden Grafiken*** (siehe methodische Anmerkungen am Ende des Beitrags) zu entnehmen ist.

Abbildung 2: Reputationsdimensionen Raiffeisenbank

Abbildung 3: Reputationsdimensionen Pierin Vincenz

Während die Raiffeisenbank primär über ihre funktionale Reputationsdimension thematisiert wird, zeigt sich für Pierin Vincenz ein anderes Bild: Der Manager wird erheblich häufiger und über den Skandalverlauf zunehmend über seine soziale Reputation thematisiert. So stehen seine ethisch inkorrekten Handlungen im Zentrum der Medienberichterstattung. Dies beschädigt seine Reputation nachhaltig; es scheint schwierig, diese mit einfachen Mitteln wiederherzustellen.

Gerichtliche Verurteilung steht noch aus

Ob es zu einer gerichtlichen Verurteilung von Vincenz kommt, steht bis heute noch aus. Fakt ist jedoch, dass die Zukunftsperspektiven für Vincenz eher düster aussehen. Der Reputationsverlust des einstigen Top-Managers ist enorm. Der Skandal hat aber auch die Reputation der Raiffeisenbank beschädigt, wie aus den Analysen hervorgeht. Ob sich die Reputation der Raiffeisenbank durch die aktuellen personellen Veränderungen erholt, zeigt die Zukunft.


Methodische Anmerkungen:

Der vorliegende Blogbeitrag basiert auf einer eigens realisierten Inhaltsanalyse von vier Schweizer Online-Medien: nzz.ch, tagesanzeiger.ch, blick.ch und 20min.ch. Insgesamt wurden 371 Artikel analysiert. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich vom 1. Juli 2017 bis zum 31. Mai 2018.

Nachtrag zum Reputationsindex:

* Die Reputationswerte lassen sich wie folgt berechnen: Anzahl positiver Artikel – Anzahl negativer Artikel / Gesamtanzahl der Artikel * 100. Die Werte können zwischen -100 und +100 variieren. Ein Reputationswert von -100 beschreibt folglich eine vollständig negative Reputation, während ein Reputationswert von +100 eine vollständig positive Reputation beschreibt.

Lesebeispiel für die Grafiken:

**Grafik Reputationsverlauf Raiffeisenbank und Pierin Vincenz, Lesebeispiel: Der Reputationswert für Pierin Vincenz ist im Juli 2017 auf -65, was von einer sehr negativen Berichterstattung zeugt. Im Oktober 2017 hingegen ist die Berichterstattung  über Pierin Vincenz von einem neutralen Ton (Reputation-Score = 0) geprägt.

***Grafiken zu den Reputationsdimensionen, Lesebeispiel: Für Raiffeisenbank wird im September 2017 ausschliesslich über die soziale Reputationsdimension berichtet (Wert = 100%), wohingegen im Mai 2018 die funktionale Dimension im Fokus steht (Wert = 86%).


Bild: Wikimedia Commons