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Die Politik unter Druck

Markus Hinterleitner, Fritz Sager
5th Juni 2019

Komplexe Probleme und hohe Erwartungen setzen Politiker und Politikerinnen verstärkt unter Druck. Das Konzept der Blame Avoidance erlaubt es, ihre Reaktionen – von Rechtfertigungen über Schönfärberei bis hin zu Ablenkungsmanövern – auf diese Herausforderungen einzuordnen. Problematisch ist Blame Avoidance dann, wenn politische Akteure wenig anderes mehr im Sinn haben und deswegen wichtige Probleme ungelöst bleiben. Abhilfe versprechen eine verantwortungsvolle mediale Berichterstattung, vernünftige Umgangsformen in der Politik, sowie Politiker und Politikerinnen, die ihre Entscheidungen erklären und mutig vertreten.

Barack Obama antwortete einmal auf die Frage, was denn eigentlich die Aufgabe der Regierung sei, in für ihn typischer, lässiger Manier: «To get stuff done». Regieren heisst Probleme lösen und wichtige öffentliche Aufgaben erledigen.

Allerdings musste auch der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten erfahren, dass das im aktuellen politischen Umfeld gar nicht so leicht ist. Denn die Komplexität zu bewältigender Probleme, die an die Politik gestellten Ansprüche, aber auch der Transparenzdruck auf öffentliches Handeln, nehmen seit Jahren zu.

PolitikwissenschaftlerInnen stellen sich deswegen verstärkt die Frage, wie Regierungsakteure – von Staatsoberhäuptern über Ministerinnen bis hin zu Verwaltungskadern – auf diese Herausforderungen reagieren.

Blame Avoidance als Reaktion

Mit dem Konzept der Blame Avoidance (zu dt. etwa ‚Anschuldigungsvermeidungsverhalten‘) hält die Politikwissenschaft ein zusehends populäres Konzept bereit, um das Verhalten politischer Akteure unter Druck zu analysieren. Der Begriff Blame Avoidance bezeichnet Verhaltensweisen, die dazu dienen, sich vor öffentlicher Kritik und Anschuldigungen an der eigenen Amtsführung, an Handlungen und Äusserungen zu schützen und somit die öffentliche Meinung betreffend der eigenen Person positiv zu beeinflussen. Blame Avoidance kommt vor allem dann zur Anwendung, wenn Regierungsakteure ihre vielfältigen persönlichen und politischen Ziele und Errungenschaften bedroht sehen.

  • Blame Avoidance Strategien umfassen Rechtfertigungen, Entschuldigungen, und Ablenkungsmanöver, genauso wie Relativierungen (Reframing). Auch können beschuldigte Regierungsakteure versuchen, Entschlossenheit in Bezug auf die Aufarbeitung einer Krise zu demonstrieren, bspw. durch die Lancierung von Untersuchungen oder der symbolischen Entlassung unterstellter Akteure (Activism). Hilft dies nichts, kann auch versucht werden, Blame an andere, oft weiter unten in der Hierarchie angesiedelte Regierungsakteure abzuschieben (Blame Deflection) oder auf möglichst viele Schultern zu verteilen (Blame Diffusion). Ausserdem können Regierungsakteure versuchen, unpopuläre Reformvorhaben unauffällig zu verabschieden, damit sich öffentliche Empörung gar nicht erst entwickelt.
  • Blame Avoidance Strategien erlauben es Regierungsakteuren bspw., die Kürzungen sozialer Leistungen gegen öffentlichen Widerstand durchzusetzen, ohne dabei Ansehens- und Machtverlust zu erleiden. Regierungsakteure bezeichnen Einsparungen etwa als alternativlos, verpacken einschneidende Reformen in grösseren Reformpaketen, um ihre Sichtbarkeit zu verringern, oder verabschieden unpopuläre Reformen direkt nach Amtsantritt, in der Hoffnung, dass sich Kritik daran bis zur nächsten Wahl wieder abschwächt.
  • Blame Avoidance Strategien spielen auch bei der Umsetzung von grossen, staatlich verantworteten Infrastrukturprojekten eine wichtige Rolle. Grossprojekte bringen oft sehr komplizierte Organisations- und Umsetzungsarrangements mit sich, in die eine Vielzahl von öffentlichen, halböffentlichen, und privaten Akteuren eingebunden ist. Nicht immer dienen solche Arrangements allein der effizienten und effektiven Ausführung des Projekts. Sie bilden auch einen Kontext, der es den verantwortlichen Regierungsakteuren erlaubt, Anschuldigungen für etwaige Verzögerungen oder Kostensteigerungen auf die an der Organisation und Umsetzung des Projekts beteiligten Akteure abzuschieben. Blame Avoidance Strategien führen oft zu weiteren Verzögerungen und stehen somit der gezielten Fertigstellung des Projekts im Weg.
Auswirkungen von vermehrter Blame Avoidance auf die Politik

Blame Avoidance ist per se noch kein für die Demokratie problematisches Phänomen. Politische Akteure konkurrieren um die Anerkennung und das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern und sind hierfür schlicht darauf angewiesen, die eigene Leistung und das eigene Verhalten in positivem Licht erscheinen zu lassen, sowie sich Kritik und Anschuldigungen zu erwehren.

Problematisch wird es erst, wenn aufgrund vermehrter Anwendung von Blame Avoidance wichtige Aufgaben in den Hintergrund treten und Probleme ungelöst bleiben. Regierungsakteure, die verstärkt Blame Avoidance anwenden und deshalb politische Antworten verweigern, erscheinen zwangsläufig als egoistisch und mit sich selbst beschäftigt. Auch erwecken sie den Eindruck, nicht mehr auf der Höhe des politischen Geschehens zu sein. So kann vermehrte Blame Avoidance Politikmüdigkeit und Zynismus bei den Bürgerinnen und Bürgern Vorschub leisten.

Politik und Medien in der Verantwortung

Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, stehen in erster Linie die politischen Eliten und die Medien in der Verantwortung. Für die Medien gilt es, auch angesichts schwieriger politischer Herausforderungen, faktenbasiert und erregungsarm zu berichten. Für PolitikerInnen gilt es, im politischen Umgang Normen gegenseitiger Toleranz zu respektieren. Auch wichtig ist, dass Regierungsakteure in der Öffentlichkeit bei ansteigenden Empörungswellen nicht einfach einknicken, sondern zu ihren Entscheidungen stehen, diese erklären und mutig vertreten.


Referenz:

Markus Hinterleitner und Fritz Sager (2019). Krisenmanagement und Risikovermeidung. In: Blackbox Exekutive – Regierungslehre in der Schweiz. Zürich: NZZ Libro, Reihe „Politik und Gesellschaft in der Schweiz“.


Veranstaltungshinweis:

Am 18. Juni 2019 findet an der Universität Bern das vom Kompetenzzentrum für Public Management organisierte Swiss Governance Forum mit dem Fokus "Regieren in der Schweiz" statt. Im Rahmen der Veranstaltung wird das Buch "Blackbox Exekutive – Regierungslehre in der Schweiz" vorgestellt.


Bild: rawpixel.com