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Ausländer, Amtszwang oder Anstellung? Reformen des Milizwesens aus Sicht der Beteiligten

Martina Flick Witzig, Markus Freitag, Pirmin Bundi
21st Mai 2019

Zahlreiche Gemeinden tun sich schwer, genügend Personal zur Besetzung der Milizämter zu finden. Und Miliztätige beklagen Zeitdruck und fehlende Anerkennung ihres Engagements. Doch es gibt Massnahmen, die Abhilfe schaffen und das Amt attraktiver machen, wie unsere Untersuchung zeigt. 

Milizprinzip in Schwierigkeiten

Das Milizprinzip steht und fällt mit der Verfügbarkeit geeigneter Personen, welche die insgesamt rund 100’000 Behördensitze in den über 2’200 Gemeinden der Schweiz besetzen können. Allerdings mehren sich landauf, landab die Anzeichen einer nachlassenden Beteiligungsbereitschaft der Schweizer Bürgerinnen und Bürger.

Es heisst, die mit dem Amt verbundenen Aufgaben seien immer anspruchsvoller und zeitaufwändiger. Gleichzeitig wachsen sowohl die beruflichen Ansprüche wie auch die Möglichkeiten individueller Lebensgestaltung. Die Milizarbeit tritt heute stärker als noch vor Jahrzehnten in Konkurrenz mit zahlreichen Freizeitangeboten, die das Bedürfnis nach Abwechslung von den Herausforderungen und Belastungen der Arbeitswelt stillen.

Es überrascht daher kaum, dass zahlreiche Schweizer Gemeinden grosse Probleme haben, ihre Behördenstellen zu besetzen. Für die Erörterung geeigneter Massnahmen zur Linderung dieser Zwangslage bedarf es systematischer Informationen über die Befindlichkeiten der Miliztätigen auf Gemeindeebene.

Informationen zur Untersuchung
Wir untersuchen die Rahmenbedingungen der Miliztätigkeit in 75 ausgewählten Schweizer Gemeinden zwischen 2'000 und 30'000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Zu diesem Zweck haben wir eine Befragung von rund 1'800 Miliztätigen der lokalen Exekutiven, Parlamente und Kommissionen durchgeführt. Dabei interessierten wir uns für die soziodemografischen wie charakterlichen Profile der Behördenmitglieder ebenso wie für ihre Motive, Unzufriedenheit und Verbesserungsvorschläge im Spannungsfeld zwischen Ehrenamtlichkeit und Professionalisierung der Miliztätigkeit.

Wenig gesellschaftliche Anerkennung

In Bezug auf die Schwierigkeiten, die das Amt mit sich bringt, lässt sich Folgendes festhalten: Die Befragten anerkennen zwar eine ausgeprägte Kollegialität unter den Miliztätigen und eine reibungslose Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Allerdings klagen sie über Zeitdruck, fehlende Anerkennung durch das gesellschaftliche und mediale Umfeld sowie über Probleme bei der Vereinbarkeit von Beruf, Amt und Familie. Die Hälfte der Befragten erhält heute keine besondere Unterstützung durch ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber.

Es fällt auch auf, dass die tatsächlich wahrgenommenen Probleme über die vor Amtsantritt gehegten Befürchtungen hinausgehen. Die geschilderten Schwierigkeiten sind bei den Mitgliedern der Exekutiven besonders stark ausgeprägt. Sie investieren im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen in Parlamenten und Kommissionen auch mehr als doppelt so viel Zeit in ihr Amt.

Abbildung: Unterstützung von Reformen zur Belebung des Milizwesens


Anmerkung: Abgebildet sind die gerundeten Anteile der Befragten in Prozent, die dem Vorschlag
«eher» oder «voll und ganz» zustimmen.
Heller Balken: Der ausgewiesene Wert beruht auf weniger als 30 Beobachtungen.
Mögliche Auswege aus der Krise

Mögliche Reformen zur Steigerung der Attraktivität von Behördenämtern auf Gemeindeebene sollten nach Ansicht der Betroffenen in erster Linie auf eine klare Trennung zwischen strategischen und operativen Aufgaben abzielen (vgl. Abbildung). Entscheide grundsätzlicher und zukunftsgerichteter Natur sollen demnach bei den politisch gewählten Akteuren angesiedelt sein, während die Umsetzung Sache der Verwaltung ist.

Einen weiteren Ansatzpunkt sehen die Befragten im Ausbau der Entscheidungskompetenzen für die Behörde. Zudem verlangen die Miliztätigen eine bezahlte Schulung für Amtsneulinge. Kurzum: Ein Milizamt benötigt einen klar umrissenen Aufgabenbereich, dem ein bestimmtes Mass an Gestaltungsspielraum innewohnt und für den die Kandidatin oder der Kandidat durch vorab angeworbenes Know-how gewappnet sein möchte.

Zustimmung finden auch die Vorschläge, das Gemeindepräsidium als Vollamt auszugestalten oder Kompetenzen an eine aufgewertete Geschäftsführung zu übertragen. Eine Mehrheit der Befragten meint, auftretende Rekrutierungsprobleme durch Gemeindefusionen und höhere Entschädigungen lösen zu können. Dabei bevorzugen sie Jahresspauschalen und Spesenentschädigungen gegenüber fixen Anstellungen.

Die Miliztätigen zeigen sich auch überwiegend offen gegenüber einer Ausweitung des Amtszugangs zugunsten niedergelassener Ausländer, während Personen, die ausserhalb der Gemeinde wohnen, der Ämterzugang eher verwehrt bleiben soll. Allerdings variieren die genannten Vorlieben je nach Behördenzugehörigkeit, Alter, Bildung, Gemeindegrösse und Sprachregion. Beispielsweise wird der prominent diskutierte Amtszwang insbesondere von Parlamentsmitgliedern, von Miliztätigen der lateinischen Schweiz und von jüngeren Behördenmitgliedern abgelehnt. Miliztätige der Deutschschweiz zeigen sich gerade dieser radikalen Rekrutierungspraxis gegenüber aber durchaus aufgeschlossen.

An verschiedenen Stellen ansetzen

Es ist nicht davon auszugehen, dass eine einzelne Massnahme geeignet ist, die gegenwärtige Malaise im Schweizer Milizwesen beheben zu können. Die lokale Laiendemokratie wird höchstens durch das Drehen an mehreren Stellschrauben eine Belebung erfahren.

Mögliche Handlungsfelder sind dabei die Bereiche Organisation, Anreize, Information und Ausbildung. Reformen sollten zudem spezifisch auf die Behörden ausgerichtet und auf das Umfeld abgestimmt sein. Dabei ist nicht nur die Politik, sondern auch die Gesellschaft und die Wirtschaft gefordert. Reformen können zwar das Milizamt wieder attraktiver machen, aber die fehlende gesellschaftliche Anerkennung nicht kompensieren.


Literatur

Freitag, Markus; Pirmin Bundi und Martina Flick Witzig (2019): Milizarbeit in der Schweiz. Zahlen und Fakten zum politischen Leben in der Gemeinde. Zürich: NZZ Libro.