1

Nach den kantonalen Parlamentswahlen ist vor den Nationalratswahlen. Regionale und parteipolitische Veränderungen.

Werner Seitz
23rd April 2019

Mit den Tessiner Wahlen vom 7. April fanden die letzten kantonalen Parlamentswahlen vor den eidgenössischen Wahlen 2019 statt. Somit kann eine Bilanz zu den 25 Parlamentswahlen seit den Nationalratswahlen 2015 gezogen werden.

Wahlen19

Grosse Sieger sind die Grünen: Sie steigerten sich um 41 Mandate. Den zweitgrössten Mandatszuwachs verzeichnete die FDP, die sich zusammen mit den Liberalen um 25 Mandate steigerte. Die SP legte 21 Mandate zu und die Grünliberalen 16.

Auf der Verliererseite stehen, weiterhin, die CVP (-38) sowie, ungewohnt nach ihrem jahrzehntelangen Aufstieg, die SVP (-34). Dramatisch ist die Lage für die kleine BDP. Sie büsste in dieser Legislatur mehr als jedes vierte ihrer Mandate ein (-21).

Die meisten Mandate in den 25 kantonalen Parlamenten hat, zusammen mit den Liberalen, die FDP inne (568), vor der SVP (544), der SP (477) und der CVP (414). Die Grünen kommen auf 216 Mandate, die Grünliberalen auf 98 und die BDP auf 53.

Auch wenn die hier ausgewerteten kantonalen Parlamentswahlen nicht alle gleichzeitig, sondern im Verlaufe von vier Jahren stattfanden, und auch wenn die Parlamente nicht in allen Kantonen gleich viele Sitze haben, lassen sich gleichwohl – mit der nötigen Zurückhaltung – gewisse parteipolitische und regionale Veränderungen feststellen.

Die Grünen erreichen einen neuen Höchststand

Seit dem Herbst 2016 befinden sich die Grünen auf der Siegerstrasse. Sie erzielten in den Jahren 2017 und 2018 starke Gewinne in der Romandie (v.a. VS: +6, NE: +5, GE: +5), im laufenden Jahr starteten sie mit 23 Mandatsgewinnen richtig durch (ZH: +9, LU: +8, BL: +6). In den vergangenen vier Jahren mussten die Grünen nur gerade in drei Kantonen Mandatsverluste hinnehmen (UR: -1, SH: -2, BE: -2). Sie stagnierten in neun Kantonen. In 13 Kantonen gewannen sie aber 46 Mandate hinzu, womit sie in den kantonalen Parlamenten auf insgesamt 216 Mandate kommen. Damit haben die Grünen ihren Höchststand von 2011 (202 Mandate) übertroffen.

Abbildung 1: Grüne Partei Schweiz - Veränderung der Anzahl Mandate (2015-2019) in den kantonalen Parlamenten

Quelle: BFS

Der Wiederaufschwung der FDP gerät ins Stocken

Der knapp vier Jahre lang andauernde Aufschwung der FDP wurde im eidgenössischen Wahljahr 2019 gebremst. Zwar erlitt die FDP in den letzten vier Jahren immer wieder kleinere Verluste, die Jahresbilanzen der FDP (zusammen mit den Liberalen) waren aber gleichwohl immer positiv (2016: +14 Mandate; 2017: +8, 2018: +8). Im aktuellen Jahr aber war die Bilanz der FDP negativ: Nur gerade in Appenzell Ausserrhoden vermochte sie zuzulegen (+1). Sie stagnierte in Basel-Landschaft und verlor in Zürich (-2), Luzern (-3) und im Tessin (-1).

Die FDP ist in acht Kantonsparlamenten mandatsstärkste Partei (NW, SO, AR, GR, TI, VD, NE und GE). In Nidwalden hat sie die SVP bzw. die CVP, welche beide gleich stark waren, als stärkste Partei abgelöst und in der Waadt – auch dank der Fusion mit den Liberalen – die SP.

Die SP wächst stark im Mittelland und in der Zentralschweiz

Auf der Siegerseite stand bei den kantonalen Parlamentswahlen in den vergangenen vier Jahren auch die SP. Sie punktete in 13 Kantonen (+34 Mandate) und verlor in acht Kantonen (-13 Mandate). Am stärksten legte sie im Mittelland zu: In Bern und im Aargau gewann sie je fünf Mandate, in Solothurn vier. In der Zentralschweiz steigerte sie sich per Saldo um neun Mandate. In der Ostschweiz resultierte aus verschiedenen Gewinnen und Verlusten für die SP ein Zuwachs von zwei Mandaten. Negativ war dagegen die Bilanz der SP in der Romandie (-7), insbesondere in der Waadt (-4).

Die SP ist in Basel-Stadt sowie, neu, in Freiburg und Basel-Landschaft die Partei mit den meisten Parlamentssitzen.

Abbildung 2: Sozialdemokratische Partei - Veränderung der Anzahl Mandate (2015-2019) in den kantonalen Parlamenten

Quelle: BFS

Die Grünliberalen punkten vor allem in der Deutschschweiz

War die Bilanz der Grünliberalen in den ersten drei Jahren nur leicht im Plus (2016: +3, 2017: -2, 2018: +3), so profitierten sie im aktuellen Jahr – wie die Grünen – von der so genannten Klimawahl, allerdings nur in den Kantonen Zürich (+9) und Luzern (+3). In der Romandie, wo sie nur in drei Kantonsparlamenten vertreten sind, stagnierten sie (FR, VD) bzw. verloren ein Mandat (NE). Im Tessiner Kantonsparlament sind die Grünliberalen nicht vertreten.

Die Siegesserie der SVP ist gestoppt und gewendet

Seit den Neunzigerjahren hatte die SVP Wahlen um Wahlen gewonnen und auch im Jahr 2016 wies sie mit 12 Mandatsgewinnen noch eine positive Bilanz aus. In den Wahlen seit 2017 hat sie aber insgesamt 46 Mandate verloren. Nur gerade in drei Kantonen vermochte die SVP noch zuzulegen (VS: +2, OW: +2, TI: +3), in Graubünden stagnierte sie. Besonders happig waren die Verluste in Neuenburg, wo sie mehr als die Hälfte ihrer Mandate verlor (-11), sowie – im aktuellen Jahr – im Kanton Zürich (-9), der Geburtsstätte der «neuen SVP», wie auch in Luzern und Basel-Landschaft (je -7) und in Appenzell Ausserrhoden (-5).

Die SVP ist in acht Kantonsparlamenten die mandatsstärkste Partei (in ZH, BE, SZ, GL, SH, SG, AG und TG).

Abbildung 3: Schweizerische Volkspartei - Veränderung der Anzahl Mandate (2015-2019) in den kantonalen Parlamenten

Quelle: BFS

Der freie Fall der BDP hält an

Dramatisch ist die Situation der kleinen BDP in der «Nach-Widmer-Schlumpf»-Ära. Bei sämtlichen Wahlen, bei denen sie antrat, verlor sie Mandate, namentlich in Graubünden und Zürich (je -5). Nur gerade in Solothurn vermochte sie ihre Mandatszahl zu halten (doch sind die beiden Gewählten mittlerweile zur FDP übergetreten). In vier Kantonen fiel die BDP aus dem Parlament (ZH, FR, BL und SG). Die BDP ist nur noch – ohne Solothurn – in fünf Kantonsparlamenten vertreten, wobei sie namentlich in ihren drei Gründerkantonen noch über eine stattliche Anzahl Sitze verfügt (BE: 13, GL: 8, GR: 23).

Die CVP ist weiterhin auf der Verliererstrasse

Die CVP schaffte es auch im vierten Jahrzehnt ihres elektoralen Abstiegs nicht, eine Trendwende herbei zu führen. In ihren Stammlanden büsste sie flächendeckend insgesamt 22 Mandate ein (VS -6, in LU und FR je -4, in OW -3, in SZ -2 und in UR, ZG und NW je -1). Mehr oder weniger ausgeprägte Verluste resultierten auch in den anderen Kantonen. Nur gerade in Neuenburg und Genf konnte die CVP je ein Mandat zulegen. In Glarus und Basel-Landschaft hielt sie ihre Mandate.

Die CVP ist noch in sechs Kantonsparlamenten stärkste Partei: in Luzern, Uri, Obwalden, Zug, im Wallis und im Jura.

Abbildung 4: Veränderung der Anzahl Mandate (2015-2019) in den kantonalen Parlamenten der ehemaligen katholischen Stammlande

Quelle: BFS

Grüne, SP und Grünliberale grasen in den ehemaligen katholischen Stammlanden

Profitierte in den letzten Jahren vor allem die SVP von den Mandatsverlusten der CVP in ihren ehemaligen Stammlanden, so waren es diesmal die Linken und die Grünliberalen. Die meisten Mandate (+17) holten die Grünen (v.a. LU: +8, VS: +6, FR: +3). Die SP steigerte sich um 7 Mandate (v.a SZ und LU: je +3) und die Grünliberalen um 6 (SZ und LU je +3). Die SVP büsste hingegen in den ehemaligen katholischen Stammlanden per saldo 7 Mandate ein, die FDP stagnierte.

In der Romandie legen Grüne und FDP zu

Von den vier Wahlgewinnern vermochten in der Romandie nur die Grünen und die FDP ihre Mandatszahl zu steigern (+21 bzw +17). Die Grünen verzeichneten mehr als die Hälfte ihrer gesamtschweizerischen Mandatsgewinne in der Romandie, namentlich im Wallis (+6), in Neuenburg und in Genf (je +5). Bei der FDP fielen vor allem die 8 Mandatsgewinne in Neuenburg ins Gewicht. Dagegen büsste die SP in der Romandie 7 Mandate ein. Sie verlor in jedem Kanton der französischsprachigen Schweiz Mandate, ausser in Genf (+2). Die Grünliberalen verloren ein Mandat (NE), die CVP büsste per saldo 12 Mandate ein und die SVP 10.

Abbildung 5: Veränderung der Anzahl Mandate (2015-2019) in den kantonalen Parlamenten nach Sprachregionen

Quelle: BFS

In der Deutschschweiz punkten SP, Grüne und Grünliberale

In der Deutschschweiz legte dafür die SP am stärksten zu (+28): Sie gewann in fast jedem Kanton. In drei Kantonen verlor sie leicht (UR, TG, ZH), in drei weiteren stagnierte sie. Am zweitmeisten Mandate gewannen in der Deutschschweiz die Grünen und die Grünliberalen hinzu (+20 bzw. +17). Die FDP verstärkte ihre Delegation (zusammen mit den Liberalen) um 9. Grosse Verliererinnen der Parlamentswahlen waren in der Deutschschweiz die SVP (-27) und die CVP (-25). Die BDP büsste in der Deutschschweiz 19 ihrer bisherigen 72 Mandate ein.

Im Tessin gab es keine grossen parteipolitischen Verschiebungen. Die Bürgerlichen (CVP, FDP) und Rechtsparteien (Lega, SVP) verfügen weiterhin über mehr als zwei Drittel der Mandate.

Gesamtschweizerisch gestärkte Linke

Bei 14 kantonalen Parlamentswahlen steigerten Grüne und SP per Saldo ihre Mandatszahl. Das frühere Bild der kommunizierenden Röhren, wonach die Gewinne der einen Partei auf Verlusten der anderen Partei beruhten, trifft für die Entwicklung seit 2015 nicht mehr zu. In fünf Kantonen gehörten sowohl SP wie auch Grüne zu den Gewinnerinnen (LU, ZG, BS, BL und GE). Die SP gewann 9 zusätzliche Mandate, die Grünen 21. In vier Kantonen gewann die SP (+13) und die Grünen hielten ihre Mandatszahl (SZ, GL, SO und AG), in vier weiteren Kantonen gewannen die Grünen derart viele Mandate (+23), dass sie die Verluste der SP (-4) mehr als kompensierten (ZH, FR, VS und NE) und in Bern machte die SP (+5) die Verluste der Grünen (-2) wett. Nur gerade in fünf Kantonen büssten SP und Grüne zusammen je zwei Mandate ein: in Uri, Schaffhausen, im Thurgau, in der Waadt und im Jura.

Abbildung 6: Grüne Partei Schweiz und Sozialdemokratische Partei - Veränderung der Anzahl Mandate (2015-2019) in den kantonalen Parlamenten

Quelle: BFS


Referenzen

  • Bundesamt für Statistik. Nationalratswahlen 2015: Der Wandel der Parteienlandschaft seit 1971. Elektronische Publikation, Bundesamt für Statistik 2015.
  • Freitag, Markus / Vatter, Adrian. Wahlen und Wählerschaft in der Schweiz. Zürich 2015: Verlag Neue Zürcher Zeitung.
  • Klöti, Ulrich. «Kantonale Parteiensysteme – Bedeutung des kantonalen Kontexts für die Positionierung der Parteien», in Kriesi, Hanspeter / Linder, Wolf / Klöti, Ulrich (Hg.). Schweizer Wahlen 1995 (selects – swiss electoral studies), Bern 1998: Verlag Paul Haupt, S. 45–72.
  • Ladner, Andreas. Kantonale Parteiensysteme im Wandel. Eine Studie mit Daten der Wahlen in den Nationalrat und in die kantonalen Parlamente 1971–2003. Bundesamt für Statistik (Hg.), Neuchâtel 2003.
  • Ladner, Andreas. Stabilität und Wandel von Parteien und Parteiensystemen. Eine vergleichende Analyse von Konfliktlinien, Parteien und Parteiensystemen in den Schweizer Kantonen. Wiesbaden 2004: Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Seitz, Werner. Geschichte der politischen Gräben in der Schweiz. Eine Darstellung anhand der eidgenössischen Wahl- und Abstimmungsergebnisse von 1848 bis 2012. Zürich/Chur 2014: Rüegger Verlag.
  • Vatter, Adrian. "Die Parteien und das Parteiensystem", in Das politische System der Schweiz. Baden-Baden 2014: Nomos-Verlagsgesellschaft, S. 95–158.
  • Vatter, Adrian. Kantonale Demokratien im Vergleich. Entstehungsgründe, Interaktionen und Wirkungen politischer Institutionen in den Schweizer Kantonen. Opladen 2002: Leske + Budrich. 

 

Links zu den Wahldaten des Bundesamtes für Statistik

 

Hinweis: Bei diesem Text handelt es sich um eine erweiterte Fassung des Textes Vorsicht mit Prognosen, der am 19. April 2019 in der Online-Zeitung Journal21 erschienen ist.