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Europa in der Zwickmühle zwischen Populisten und Bürokraten

Niklaus Nuspliger
12th April 2019

Ende Mai 2019 sind die EU-Bürgerinnen und -Bürger zur Europawahl aufgerufen – genau 40 Jahre nach der ersten Wahl 1979. Runde Jubiläen sind in der Regel ein Grund zum Feiern, doch zurzeit ist niemandem danach zumute. Vielmehr steckt die Demokratie in Europa in einer Krise. Niklaus Nuspliger beleuchtet in seinem Buch die einzelnen Aspekte und Symptome und stellt zehn Thesen zur Diskussion, wie die Demokratie in Europa erneuert werden könnte. Am 24. April 2019 kommt das Buch in den Handel.

«Es war die erste internationale Wahl der Weltgeschichte und eine Wegmarke für die Demokratie in Europa: (…) 1979 konnten die Wählerinnen und Wähler aus Deutschland, Frankreich, Italien, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Dänemark, Irland und Grossbritannien zum ersten Mal insgesamt 410 Europaabgeordnete direkt ins Europäische Parlament wählen», schreibt Niklaus Nuspliger in der Einleitung seines Buchs Europa zwischen Populisten-Diktatur und Bürokraten-Herrschaft.

Vierzig Jahre später herrscht Endzeitstimmung vor statt Freude. «Die Europawahl 2019 steht gleich aus mehreren Gründen für die Multikrise, in der sich die europäische Demokratie befindet». Zum einen sind da die Turbulenzen rund um den britischen EU-Austritt: Europa muss sich erstmals mit seiner Schrumpfung befassen. Zudem zeigen manche EU-Skeptiker, die bei der Europawahl zum Sturm auf Brüssel blasen, «illiberale bis offen autoritäre Tendenzen». Ein weiterer Faktor ist die Furcht vor Fake News und russischer Propaganda im digitalen Wahlkampf. Um davor zu schützen, erhöht die EU den Druck auf Internetplattformen, was wiederum Angst vor behördlicher Zensur auslöst. Schliesslich zeigt der erbitterte Kampf zwischen Nationalisten und glühenden Proeuropäern, dass der heutige Aufbau der EU demokratiepolitische Fragen aufwirft.

Demokratische Rezession

Weltweit ist ein Konkurrenzkampf zwischen autoritären und offenen Gesellschaftsmodellen im Gang, in dem die Demokratien auch intern unter Druck geraten. Das Phänomen, das in Europa derzeit zu beobachten ist, bezeichnet der Politologe Larry Diamond als demokratische Rezession. Nuspliger führt das wie folgt aus: «Die Volksparteien verlieren an Rückhalt, das Vertrauen in die Institutionen schwindet. Ein Symptom dieser Rezession ist der kontinuierliche Rückgang der Stimmbeteiligung bei der Europawahl – von 63 Prozent 1979 auf gerade noch 42,6 Prozent im Jahr 2014.»

Nuspliger diagnostiziert zwei gegensätzliche Trends, die die Demokratie im kommenden Jahrzehnt gefährden: «Einerseits drohen populistische Parteien und Politiker mit autoritären Tendenzen eine Diktatur der Mehrheit zu errichten, in der die demokratischen Spielregeln, die Gewaltentrennung und die Grundfreiheiten beschädigt und schleichend ausser Kraft gesetzt werden. Andererseits droht das politische Establishment aus Angst vor dem Populismus und im Glauben an objektive Wahrheiten und die Unfehlbarkeit neuer Technologien eine Technokratie zu errichten, die die Bevölkerung zunehmend entmachtet.» Beides gefährdet letztlich genau das, was beide Seiten zu verteidigen behaupten: Die demokratische Freiheit. Die Krise der Demokratie in Europa ist mithin vor allem eine Krise der liberalen Demokratie.

«Das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip stehen immer auch in einem Spannungsfeld zueinander. Populistinnen und Nationalisten betrachten rechtsstaatliche Schranken mit besonders grosser Skepsis. In ihren Augen darf eine demokratische Mehrheit beschliessen, was immer sie will. (…) Fatal wirkt sich aber auch die Wahrnehmung aus, das Demokratieprinzip werde zunehmend ausgehebelt. Immer mehr Menschen glauben, die Politik stehe im Dienst von Lobbyistinnen, eigenmächtigen Bürokraten und multinationalen Firmen, während die Interessen der Bevölkerungsmehrheit immer weniger zählten.»

Zehn Thesen für die Wahrung der Demokratie in Europa

Niklaus Nuspliger hat das Buch als «Reise an Schauplätze der europäischen Demokratie» konzipiert, «die den zehn Kapiteln jeweils als thematischer Ausgangspunkt dienen». Ein Kongress rechtspopulistischer Parteien in Koblenz nutzt er beispielsweise, um «den Gründen und Folgen der autoritären Welle» nachzugehen. In Budapest untersucht er, wie gewählte Politiker die demokratische Ordnung Schritt für Schritt untergraben können. «Bei einem virtuellen Besuch in Reykjavík» spürt er «den Verheissungen der digitalen Demokratie nach». Und in der französischen Provinz sucht er nach Formen der Bürgerbeteiligung, die die Demokratie zukunftsfähig machen. Zum Abschluss des Buchs formuliert er zehn Thesen «zur Wahrung der Demokratie in Europa» und führt diese aus. Sie lauten beispielsweise:

  • Demokratie heisst Ermächtigung statt Entmündigung
  • Mehr Nationalismus heisst weniger Demokratie
  • Mehr Macht für das Volk heisst nicht alle Macht für das Volk

Niklaus Nuspliger unternimmt den Versuch, Europa aus dem Dilemma zwischen Populistendiktatur und Bürokratenherrschaft hinauszuführen.