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«Frauenlisten» bei den Nationalratswahlen seit 1987. Geschichte und Wirksamkeit.

Werner Seitz
27th Februar 2019

Frauenlisten bei Parlamentswahlen gibt es schon fast so lange wie das Frauenstimmrecht. Sie lassen sich in zwei Typen unterteilen: in die alleinigen, feministischen Frauenlisten und in die Frauenlisten, welche Teil der geschlechtergetrennten Wahllisten einer Partei sind. Beide hatten ihren Höhenflug in den Neunzigerjahren, als – beschleunigt durch den Frauenstreik (1991) und die Nichtwahl von Christiane Brunner in den Bundesrat (1993) – das öffentliche Interesse an der massiven Untervertretung der Frauen in der Politik gross war. Doch wie wirksam und erfolgreich waren diese Instrumente? Ein Blick in die Statistik und die jüngere Geschichte.

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Die ersten geschlechtergetrennten Wahllisten wurden bei den Nationalratswahlen 1987 von der FDP-Solothurn und der SP-Bern aufgestellt. Für die Frauen erfolgreich war sie nur bei der SP-Bern, wo sie ihnen erstmals zu Mandaten im Nationalrat verhalf. Bis in die Achtzigerjahre war die starke Berner SP-Delegation im Nationalrat ausschliesslich männlich besetzt (mit 9 bis 11 Männern). Es brauchte das entschlossene Auftreten der Juristin Gret Haller und den anderen SP-Frauen, welche 1987 das Instrument der geschlechtergetrennten Wahlliste durchsetzte. Auf Anhieb wurden zwei Frauen dieser Liste gewählt. In der Folge verbesserten die Berner SP-Frauen mit der geschlechtergetrennten Wahlliste kontinuierlich ihren Anteil unter den Gewählten, bis sie bei den Nationalratswahlen 1999 Parität erreichten. Diese konnten sie seither halten.

Aufschwung und Höchststand in den Neunzigerjahren

In den Neunzigerjahren stellten mehrere Parteien geschlechtergetrennte Wahllisten auf (siehe Tabelle). Bei den Nationalratswahlen 1991 waren es sieben Listen-Paare, 1995 und 1999 je zehn. Danach nahm die Zahl der geschlechtergetrennten Wahllisten wieder ab, 2011 gab es noch zwei Listen-Paare. Bei den letzten Nationalratswahlen 2015 waren es fünf. Insgesamt wurden bei den Nationalratswahlen von 1987 bis 2015 48 geschlechtergetrennte Wahllisten-Paare aufgestellt. Dabei lassen sich deutliche Ausprägungen nach Regionen und Parteien feststellen.

 

Abbildung 1: Erhaltene Mandate der geschlechtergetrennten Wahllisten bei den Nationalratswahlen 1987–2015, nach Parteien

 

Quelle: Bundesamt für Statistik / Werner Seitz, Bern

Mehr als jedes vierte Listen-Paar wurde im Kanton Bern eingereicht (13), in St. Gallen waren es sieben und in Neuenburg fünf. Je drei geschlechtergetrennte Wahllisten-Paare gab es in Solothurn, Thurgau, Waadt und Genf. Keine solchen Listen wurde bisher in vier Kantonen (LU, SH, TI und JU) eingereicht.

SP mit den meisten geschlechtergetrennten Wahllisten und den häufigsten Erfolgen

Am häufigsten wurde die geschlechtergetrennte Wahlliste von der SP angewendet: ihre 26 Listen-Paare machen mehr als die Hälfte aller eingereichten geschlechtergetrennten Wahllisten aus. Als einzige Partei trat die SP-Bern seit 1987 immer mit diesem Listentyp an. Überdurchschnittlich häufig (je 4-mal) zum Einsatz kam sie auch bei der SP-St. Gallen und der SP-Neuenburg.

Die CVP und die SVP stellten je 6-mal geschlechtergetrennte Wahllisten auf, die FDP 5-mal, die Grünen 4-mal und die Schweizer Demokraten 1-mal.

Auf den 26 geschlechtergetrennten Wahllisten-Paare der SP wurden insgesamt 37 Frauen und 58 Männer gewählt, was einen Frauenanteil von 39 Prozent ausmacht. Dabei ist der Frauenanteil mit der Zeit angestiegen: von 1987 bis 1999 betrug er 34 Prozent und von 2003 bis 2015 47 Prozent. Zum Vergleich: Bei den gemischten Wahllisten der SP betrugen die Anteile der gewählten Frauen 34 Prozent (1987/1999) bzw. 49 Prozent (2003/2015). 

Einen Erfolg von 100 Prozent erzielten die Frauen auf den geschlechtergetrennten Wahllisten der Grünen. Sie setzten sie allerdings nur 4-mal ein, letztmals 1999. Insgesamt wurden drei Frauen und keine Männer gewählt.

Schwache Bilanz für Bürgerliche und Rechte

Bei den 17 geschlechtergetrennten Wahllisten von CVP, FDP und SVP war die Wirkung unterdurchschnittlich, namentlich wenn in Betracht gezogen wird, dass zwei Drittel der Frauenlisten (12) leer ausgingen. Bei den fünf Frauenlisten mit Mandatsgewinnen (je 1 bzw. 2) lagen die Frauenanteile dagegen teilweise etwas über den Frauenanteilen der gemischten Wahllisten.

Die CVP stellte insgesamt 6-mal geschlechtergetrennte Wahllisten auf. Dabei wurde keine Frau und neun Männer gewählt. In St. Gallen verlor die CVP bei den Nationalratswahlen 1995 gar ihr «traditionelles» Frauenmandat, das sie seit 1971 innehatte. Als Kuriosum sei erwähnt, dass die CVP-Freiburg 1999 mit einer Frauenliste und zwei gemischten Regionallisten in die Nationalratswahlen zog: Gewählt wurde – je auf einer gemischten Regionalliste – eine Frau und ein Mann. Die Frauenliste aber ging leer aus.

Die FDP trat 5-mal mit geschlechtergetrennten Wahllisten an: In Bern holten die Frauen 1999 und 2003 je ein Mandat (und die Männer vier bzw. drei). In Solothurn und Neuenburg gingen die Frauen bei drei Wahlen leer aus, während die Männer zusammen sechs Mandate erhielten.

Die SVP versuchte es 6-mal mit geschlechtergetrennten Wahllisten. Im Kanton Bern verschafften die drei Listen-Paare den Frauen zwischen 1999 und 2007 insgesamt vier Mandate (und den Männern 22). In Solothurn, Zug und Basel-Stadt gingen die Frauen der SVP auf der Frauenliste leer aus (und die Männer holten zwei und je ein Mandat). Ähnlich hatten auch die Kandidatinnen der Schweizer Demokraten 1987 in Basel-Landschaft das Nachsehen.

 

Die feministische Frauenliste
Die Liste «Politisch Interessierte Frauen» war die erste Frauenliste, die bei den Nationalratswahlen aufgestellt wurde (1975 in Zürich). Sie war eine Reaktion der «Stimmrechtsfrauen» auf das enttäuschende Abschneiden der Frauen bei den Nationalratswahlen 1971. Ihre Promotorin war die Journalistin Lydia Benz-Burger; mit auf der Liste war etwa auch Susanne Woodtli, weitere Frauenstimmrechtsaktivistinnen sowie einige 68er-Frauen. Das Ergebnis der Liste war schlecht (0,8%).

Die erste feministische Frauenliste («Frauen macht Politik!», FraP!) bildeten sich Ende der Achtzigerjahre in der Deutschschweiz. Sie zogen in mehrere städtische und kantonale Parlamente ein, namentlich in Zürich, Luzern, Basel-Stadt und St. Gallen.

Bei den Nationalratswahlen 1991 reüssierte in Zürich die erste feministische Frauenliste. Christine Goll konnte ihr Mandat 1995 verteidigen. Weil aber kein «feministischer Durchbruch» gelang und Christine Goll alleine im Nationalrat war, wechselte sie in die SP. Ende der Neunzigerjahre waren diese feministischen Listen nur noch kommunal präsent, aktuell gibt es eine feministische Vertretung im St. Galler Stadtparlament.

Bei den jüngsten Wahlen ins Genfer Kantonsparlament bewarb sich auch eine Frauenliste («Laliste – Femmes 2018 au Grand Conseil»). Sie scheiterte jedoch mit 3 Prozent am Quorum von sieben Stimmenprozenten.

 

Ambivalente Wirkungen der geschlechtergetrennten Wahllisten

Die Unterschiede der Wirkungen zwischen den Parteien zeigen bereits, dass die geschlechtergetrennten Wahllisten nicht per se ein Zaubermittel sind. Die Sensibilität der Wählenden muss genauso in Betracht gezogen werden. Dies gilt auch für die rotgrünen Parteien, wie dies zwei schon etwas länger zurückliegende Beispiele illustrieren. Bei den Nationalratswahlen 1991 peilten die Grünen in St. Gallen ein Mandat an, welches sie – ihrer Programmatik entsprechend – mit einer Frau besetzen wollten. Favorit war das bisherige Aushängeschild, der Aktivist Albert Nufer. Mit geschlechtergetrennten Wahllisten holten die Grünen das Mandat, wobei die Frauenliste stärker abschnitt als die Männerliste. Damit war Pia Hollenstein, die 10‘799 persönliche Stimmen holte, gewählt. Albert Nufer erhielt zwar 11‘932 Stimmen, ging aber wegen der schwächeren Männerliste leer aus.

Im zweiten Beispiel richtete sich der Effekt der geschlechtergetrennten Wahllisten gegen die Frau. Die Sozialdemokratin Menga Danuser war 1987 als erste Nationalrätin des Thurgaus gewählt worden. 1995 beschloss die SP, mit geschlechtergetrennten Wahllisten ihr Mandat zu verteidigen. Da aber die Männerliste mehr Stimmen als die Frauenliste holte, wurde Menga Danuser abgewählt, obwohl sie mit 12‘578 Stimmen deutlich besser abschnitt als Jost Gross (8‘594 Stimmen).

Die Erfolgsquote ist nicht grösser als bei gemischten Wahllisten

Vergleichen wir die Erfolgsbilanz der geschlechtergetrennten Wahllisten mit jener der gemischten Wahllisten, lassen sich – im Parteienvergleich – keine deutlichen Unterschiede feststellen. Bei den bürgerlichen und rechten Parteien hatten die Frauen seit der Einführung des Frauenwahlrechts bei Parlamentswahlen einen schweren Stand, sowohl auf gemischten Wahllisten wie auf geschlechtergetrennten Wahllisten.

Auch bei der SP, welche die geschlechtergetrennten Wahllisten am häufigsten einsetzte, gibt es in der Statistik keine bedeutenden Differenzen in der Erfolgsbilanz der geschlechtergetrennten Wahllisten und der gemischten Wahllisten. Gleichwohl gibt es interessante regionale Unterschiede.

Regional unterschiedliche Erfolge

Die SP-Zürich trat bei den Nationalratswahlen nur einmal mit geschlechtergetrennten Wahllisten an, bei den Nationalratswahlen 1991. Es wurden nur zwei Frauen, aber fünf Männer gewählt. Seit 1995 kandidierten Frauen und Männer immer auf einer gemeinsamen Wahlliste, mit positiven Auswirkungen für die Frauen: Es wurden stets mehr Frauen als Männer gewählt. Gute Ergebnisse auf gemischten Wahllisten erzielten die SP-Frauen in den letzten zwölf Jahren meistens auch im Aargau und in der Waadt.

Bei der SP-Bern sind die geschlechtergetrennten Wahllisten gewissermassen zu einem «Erkennungsmerkmal» geworden. Sie kamen seit den Nationalratswahlen 1987 immer zum Einsatz und seit 1999 garantierten sie unter den Gewählten Geschlechterparität. Als in Bern bei den kantonalen Parlamentswahlen der Frauenanteil der gewählten SP-Frauen von 50 Prozent (2002) auf 34 Prozent (2010) absackte, setzte die SP-Bern 2018 in mehreren Wahlkreisen geschlechtergetrennten Wahllisten ein, was offensichtlich zu einer besonderen Mobilisierung und zum Erfolg führte: Der Frauenanteil der SP unter den Gewählten stieg auf 58 Prozent. Dazu beigetragen haben namentlich die geschlechtergetrennten Wahllisten, auf denen 18 Frauen und 11 Männer gewählt wurden.

Genaue Analyse der Ausgangslage

Die Frage «geschlechtergetrennte Wahlliste oder gemischte Wahlliste?» kann nicht ein für alle Mal für alle Parteien beantwortet werden. Es gibt keine Wunderwaffe auf dem Weg ins Parlament. Vielmehr braucht es eine genaue Analyse der Akzeptanz dieses Instrumentes. Zudem ist vor jeder Wahl auch eine Neueinschätzung der Situation zu machen, und zwar auch im Hinblick auf künftige Rücktritte, namentlich hinsichtlich der Personalpolitik. Sind im Verlaufe der Legislaturperiode Rücktritte zu erwarten, so müssen diese auch im Hinblick auf die Geschlechtervertretung analysiert werden. Wurden die Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf geschlechtergetrennten Wahllisten gewählt, so bleibt die Zahl der gewählten Frauen und der Männer gesichert bzw. zementiert, denn auf zurücktretende Frauen folgen Frauen und auf zurücktretende Männer Männer.


Bild: Aufnahme entstanden während der Lancierung der überparteilichen neue Frauenwahlbewegung Helvetia ruft der alliance F und der Operation Libero.