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Selbstbestimmungsinitiative – Glaubwürdigkeit der Schweiz als internationale Verhandlungspartnerin stand auf dem Spiel

Thomas Milic, Alessandro Feller, Daniel Kübler, Anke Tresch, Laurent Bernhard, Laura Scaperrotta, Lukas Lauener
10th Januar 2019

Die Selbstbestimmungsinitiative bereitete vielen Stimmenden Mühe. Diese orientierten sich deshalb häufig an Empfehlungen oder lehnten sie der Urheberschaft wegen pauschal ab. Die Hauptmotive waren die Souveränität und Selbstbestimmung der Schweiz auf der Pro-Seite und die Glaubwürdigkeit der Schweiz als internationale Verhandlungspartnerin auf der Contra-Seite. Trotz häufiger Erwähnung während des Abstimmungskampfes wurden die Verteidigung der direkten Demokratie als Ja-Motiv und der Angriff auf die Menschenrechte als Nein-Motiv vergleichsweise selten genannt. Das zeigt die aktuelle Voto-Studie.

VOTO

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Selbstbestimmungsinitiative – «schwere Kost»

Das Thema der Selbstbestimmungsinitiative, die Rechtshierarchie zwischen internationalem und nationalem Recht, bereitete den Stimmenden erhebliche Mühe: 43 Prozent gaben an, ihnen sei es eher schwer gefallen zu verstehen, worum es bei der Vorlage ging. Dieser Wert ist vergleichsweise hoch – erst recht für eine SVP-Initiative. Das Stimmverhalten wurde stark von der Parteifarbe der Teilnehmenden geprägt: Die meisten SVP-Sympathisantinnen und Sympathisanten (87%) legten ein Ja in die Urne, während die Anhängerschaften der linken Parteien sie entschieden ablehnten (SP: 92%, Grüne: 90%). Für das deutliche Verdikt sorgten indessen die Anhängerschaften der CVP und FDP, die das Begehren deutlich verwarfen (je 76%).

Die zentrale Botschaft der SVP-Kampagne, die direktdemokratische Selbstbestimmung, bestritten insgesamt nur wenige. Aber viele sahen darin entweder keinen Widerspruch zum Völkerrecht oder generell keinen Grund, dem Begehren zuzustimmen. Die Verteidigung der direkten Demokratie wurde als Ja-Motiv nur selten genannt. Ebenso wenig fürchteten die Nein-Stimmenden einen Angriff auf die Menschenrechte, wäre die Initiative angenommen worden. Die wichtigsten Beweggründe waren auf der Pro-Seite die Souveränität und Selbstbestimmung der Schweiz und auf der Contra-Seite der Verlust an Glaubwürdigkeit der Schweiz als internationale Verhandlungspartnerin. Bemerkenswert hoch war ausserdem der Anteil jener, die sich an Empfehlungen orientierten, ansonsten aber keine inhaltlichen Beweggründe angeben konnten. So lehnten 10 Prozent der Nein-Stimmenden die Vorlage ab, weil sie von der SVP stammte.

Sozialversicherungsrecht – keine Massen-Befürchtungen von Massen-Überwachungen

Das Votum zur Sozialversicherungsvorlage war hauptsächlich eine Angelegenheit der ideologischen Lagerzugehörigkeit. Im rechten Lager ebenso wie in der Mitte wurde der Revision deutlich zugestimmt (zwischen 73 und 85%). Bei jenen, die sich links aussen einstufen, fiel sie indessen haushoch durch (88% Nein-Stimmenanteil). Im gemässigt linken Lager hielten sich die Ja- und Nein-Stimmen in etwa die Waage, obwohl das Referendum im Abstimmungskampf von SP und Grünen unterstützt wurde.

Die Diskussionen um die korrekte Anzahl von Observationen und IV-Verdachtsfällen hat die Stimmenden nicht gross verunsichert. Über 80 Prozent gaben an, ihnen sei es eher leicht gefallen zu verstehen, worum es bei der Vorlage ging. Zwei Faktoren trugen zum deutlichen Verdikt hauptsächlich bei: Erstens sprach sich eine grosse Mehrheit für eine möglichst effektive Missbrauchsbekämpfung aus und zweitens war eine Mehrheit auch der Ansicht, dass die Observationen in rechtsstaatlich geordnetem Rahmen durchgeführt würden. Massenüberwachungen befürchteten nur wenige.

Hornkuh-Initiative – sympathisch, aber nicht in die Verfassung gehörend

Der Graben zwischen Befürwortenden und Ablehnenden der Hornkuh-Initiative verlief quer durch alle Bevölkerungsschichten und Parteien. Zwar fand die Volksinitiative im linken Lager grössere Unterstützung als im rechten Lager, aber von einem klassischen Links-Rechts-Konflikt konnte nicht die Rede sein. Die Initiative scheiterte zum einen an ihrer Form: Etwa ein Fünftel der Stimmenden lehnte sie ab, weil sie der Ansicht waren, Kuh- und Ziegenhörner gehören nicht in die Bundesverfassung. Zum anderen gab es starken Widerstand gegen eine Hornprämie. Dieser Widerstand war unterschiedlich motiviert: Einige fanden eine Hornprämie lächerlich, andere wollten den Entscheid, ob Hörner zu belassen seien oder nicht, ganz alleine den Horntierhalterinnen und Horntierhaltern überlassen.


Zitierweise:

Thomas Milic, Alessandro Feller und Daniel Kübler (2019). VOTO-Studie zur eidgenössischen Volksabstimmung vom 25. November 2018. ZDA, FORS, LINK: Aarau/Lausanne/Luzern.

Kontakt:

Thomas Milic, 079 600 82 36, thomas.milic@zda.uzh.ch


Die VOTO-Studie
Die VOTO-Studien sind ein gemeinsames Projekt des Forschungszentrums FORS, dem Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) und dem Befragungsinstitut LINK. Finanziert wird VOTO von der Schweizerischen Bundeskanzlei. Die Befragung wird vom Bund seit Herbst 2016 neu anstelle der VOX-Analysen an den VOTO-Verbund in Auftrag gegeben.

An der Abstimmung vom 25. November 2018 hatte das Schweizer Stimmvolk über zwei Volksinitiativen – die Volksinitiative «Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (Hornkuh-Initiative)» und die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» – sowie über die Änderung des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) zu befinden. Beide Volksinitiativen wurden verworfen, die Behördenvorlage zum Sozialversicherungsrecht hingegen angenommen.

Alle Berichte, die Fragebogen sowie die Rohdaten mit Zusatzinformationen zur Erhebung sind für wissenschaftliche Zwecke frei zugänglich unter www.voto.swiss bzw. durch das FORS-Datenarchiv forsbase.unil.ch.