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Wie wir politische Probleme wahrnehmen und gewichten

Bruno Wüest
8th Januar 2019

Wählerinnen und Wähler müssen bei jeder politischen Sachfrage die dahinter liegenden Probleme erkennen und interpretieren. Erst dann können sie sich eine Meinung bilden und politische Entscheidungen treffen. Meine Untersuchung zeigt, dass die Wahrnehmungen der Schweizerinnen und Schweizer zu politischen Themen wie Immigration und Wirtschaftspolitik insgesamt zwar vielfältig, in Einzelfällen aber auch etwas unausgewogen sind.

Dass die menschliche Aufmerksamkeit begrenzt ist, ist bekannt. Aber die Fülle an Information in der heutigen schnelllebigen Zeit hat die Anforderungen an unsere Aufnahmefähigkeit nochmals hochgeschraubt. Dies ist auch dann der Fall, wenn es um politische Themen geht.

Folglich ist es eher als Wunschdenken zu betrachten, dass sich alle Schweizerinnen und Schweizer vollumfänglich über alle politischen Probleme informieren. Dies ist für viele Menschen wegen mangelnder Zeit sowie dem zu leistenden Aufwand nicht zu bewältigen. Dennoch wäre es für das Funktionieren einer Demokratie wünschenswert, wenn sich alle Wählerinnen und Wähler so intensiv wie möglich mit politischen Themen auseinandersetzen, dabei verschiedenste Teilaspekte eines sich stellenden Problems berücksichtigen und schlussendlich eine ausgewogene Entscheidung treffen können.

Die wichtigsten Resultate meiner Untersuchung lassen sich in folgenden drei Punkten zusammenfassen:

  • Personen, die regelmässig persönliche Gespräche über Politik führen, die eine höhere Ausbildung haben und die oft traditionelle Informationsquellen wie Zeitungen, Radio und Fernsehen nutzen, berücksichtigen im Durchschnitt mehr Aspekte von politischen Themen und entscheiden deshalb aufgrund einer ausgewogeneren Informationsgrundlage.
  • Politisch interessierte Personen sowie Personen, die stark polarisierende Informationsquellen nutzen, beziehen sich hingegen gezielt nur auf einzelne Aspekte von politischen Problemen. Eine solche Einseitigkeit ist vermutlich ein Hindernis für politische Toleranz, da konkurrierende Informationen dauerhaft ausgeblendet werden.
  • Allfällige negative Auswirkungen von neuen Medien auf die politische Kompetenz der Bürgerinnen und Bürger konnte in dieser Studie nicht bestätigt werden. Der negative Einfluss der oft angeprangerten neuen Medien auf die Politik (Bail et al.) wurde zumindest in der Schweiz für die letzten eidgenössischen Wahlen deutlich überbewertet.
Fazit

unerlässlich. Obwohl es unmöglich ist, vollständige Informationen zu allen politisch aktuellen Themen zu erlangen, ist es wichtig, sich um ein möglichst hohes Informationsniveau zu bemühen.


Referenz:

Wüest, Bruno (2018). Selective Attention and the Information Environment: Citizens’ Perceptions of Political Problems in the 2015 Swiss Federal Election Campaign. Swiss Political Science Review, 24(4).
Literatur:
  • Christopher A. BailLisa P. ArgyleTaylor W. BrownJohn P. BumpusHaohan ChenM. B. Fallin HunzakerJaemin LeeMarcus MannFriedolin MerhoutAlexander Volfovsky (2018). "Exposure to opposing views on social media can increase political polarization". 

Bild: Demonstration der Gilets Jaunes, wikimedia commons.