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Der Kantönlipopulismus der SVP

Anna Storz
14th Dezember 2018

SVP gleich Populismus – Populismus gleich SVP. Was gerne angenommen wird, entspricht keineswegs den Tatsachen. Wie eine Analyse kantonaler SVP-Parteiprogramme zeigt, unterscheidet sich der Populismus der SVP von Kanton zu Kanton. Die Gründung der BDP hatte zudem einen grossen Einfluss auf den Populismusgrad der einzelnen SVP-Kantonalparteien. «Das politische System der Schweiz verlangt ein gewisses Mass an Populismus, weil die direkte Demokratie den Stimmbürgern das letzte Wort gibt».[1] Die Zustimmung des Volkes, nach der sowohl politische Exponentinnen und Exponenten als auch Parteien streben, macht eine Ausrichtung auf «das Volk» unabdingbar. Somit überrascht es nicht, dass die Schweiz bezüglich Populismus gerne als Vorreiterin betrachtet wird.[2] Wir interessieren uns dafür, wie sich der Populismus auf kantonaler Ebene verhält – hierzu fehlen nämlich umfassende und aktuelle Studien: Meist steht nur die nationale Ebene im Fokus, wobei sich die kantonalen Parteiensysteme im ausgeprägten Föderalismus der Schweiz unterschiedlich entwickelten. In helvetischem Kontext wird hauptsächlich von der SVP als rechtspopulistische Partei gesprochen.[3] Deshalb gehen wir in unserer Analyse der Frage nach, ob sich der Politstil der kantonalen SVP-Sektionen seit der Abspaltung der BDP 2008 vereinheitlicht hat oder ob es nach wie vor kantonale Differenzen gibt. Zudem interessiert uns, wie es sich in den Kantonen, in denen es bis heute keine BDP gibt, verhält und inwiefern sich Differenzen in Bezug auf den Populismus zeigen. 

Was bedeutet Populismus?

Populismus wird gemäss wissenschaftlichem Konsens als «dünne Ideologie» verstanden, welche die Bevölkerung in die Elite und das Volk aufteilt.[4] Erstere ist korrupt und fehlgeleitet, letzteres rein und tugendhaft. «Dünn» wird diese Ideologie genannt, weil sie selbst keine konkreten Inhalte vorgibt; solche kommen erst mit der Ausrichtung nach links oder rechts hinzu. Rechtspopulismus sieht diese dichotome Aufteilung der Gesellschaft gerne im Sinne einer nationalen Zugehörigkeit, was die Abgrenzung gegenüber den Anderen einfach macht. Auch wenn nun die Einteilung der Bevölkerungsgruppen in wir und ihr rasch gegeben scheint, besteht in der Wissenschaft ein Konsens darüber, dass Populismus selbst kein zweiseitiges Phänomen ist, sondern graduell verstanden werden sollte. Kurzum: Populismus wird nicht mit «zutreffend» und «nicht zutreffend» codiert, sondern als Teilphänomen verstanden.

Hintergrund
Der Ursprung für unser Interesse an den Kantonalparteien liegt in der Geschichte der SVP. Historisch betrachtet durchlief die Partei einen starken Wandel: Als Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB) verfolgte sie eine konservative Agenda, welche sich insbesondere um landwirtschaftliche Anliegen kümmerte. Die Geburtsstunde der SVP war 1971, als die BGB mit den Demokraten fusionierte. Einige der früheren BGB-Sektionen taten sich schwer mit dem Namenswechsel und der Abwendung vom Bauernstand. In Bern, Graubünden, Basel-Land, Freiburg und der Waadt dauerte es teilweise noch Jahre, bis sie tatsächlich als «Schweizerische Volkspartei» zu Wahlen antraten. Die ideologischen Unterschiede zwischen den Kantonalsektionen zeigten sich am deutlichsten bei Konflikten zwischen dem gemässigten Berner Flügel und dem radikaleren Zürcher-Flügel und spitzten sich mit der gesteigerten Einflussnahme Christoph Blochers, dem damaligen Präsidenten der SVP Zürich, ab den 1980er-Jahren zu. Es ist denn auch Christoph Blochers Abwahl aus dem Bundesrat 2007, die zu einer Spaltung der Partei führt: Die Bürgerlich-Demokratische Partei entsteht.

Kantönlipopulismus

Für unsere Untersuchung haben wir die aktuellen Parteiprogramme von 24 Kantonalsektionen[5] der SVP mit Methoden der quantitativen Textanalyse analysiert. Dies in Bezug auf die Ausprägungen People-centrism (die Nähe zum Volk), Anti-Elitism (Opposition zur Elite) und Popular sovereignty (das Gutheissen direkter Demokratie und auch der Wunsch, die Macht dem Volk «zurück» zu geben). Als Abgleich mit der Wählerschaft verwendeten wir die Daten der Schweizer Wahlstudie Selects, um die populistischen Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger im jeweiligen Kanton zu messen.

Abbildung 1: Aus den Wahlprogrammen geschätzter Populismusgrad pro Kanton

Anmerkung: Dunklere Schattierungen bedeuten «stärkeren» Populismus gemäss unseren Messkriterien.
 
Wie Abbildung 1 zeigt, variiert der geschätzte Populismusgrad der SVP von Kanton zu Kanton nach wie vor, wenn auch nicht sehr stark.[6] Auffallend ist auch, dass die Kantone, in denen es keine BDP-Sektion gibt (NE, JU, UR, OW, NW, ZG, SH und TI), allesamt einen schwächeren Grad an Populismus aufweisen. Dies kann bedeuten, dass die SVP in diesen Kantonen bereits gemässigter politisiert und somit die BDP als moderate Alternative überflüssig macht. Dagegen spricht jedoch, dass der Populismusgrad auch in anderen Kantonen, in welchen es eine BDP gibt, ebenso tief ist (beispielsweise BL oder GL).

Die Existenz der BDP beeinflusst den Populismus der SVP in den Kantonen

Die historischen Differenzen innerhalb der Partei sind gänzlich verschwunden. Weder der Kanton Bern noch andere Kantone wie Graubünden, die Waadt, Schaffhausen, Thurgau und Basel-Land, welche historisch betrachtet zu den Moderaten gehören, zeichnen sich durch schwächeren Populismus oder aber ähnliche Populismusgrade aus. Der interessanteste Befund liegt jedoch in der Kombination von den Parteiprogrammen mit den Individualdaten: Unsere Kontrolle auf populistische Einstellungen der Bürgerinnen und Bürgern in den Kantonen zeigt nämlich, dass diese in der Bevölkerung vor allem dann mit dem Populismusgrad der SVP-Kantonalsektion übereinstimmen, wenn eine BDP-Sektion im Kanton existiert. Dieser Befund lässt zwar keine kausale Richtungsannahme zu, impliziert jedoch, dass Partei und Bevölkerung besser aufeinander abgestimmt sind, wenn die Konkurrenz – sei dies in diesem Falle durch eine gemässigtere Alternative wie die BDP – präsent ist. Gibt es keine solche unmittelbare Anwesenheit einer konkurrierenden Partei, scheint die Übereinstimmung von Wählerschaft und Partei weniger wichtig. Zusammenfassend lesen wir aus unserer Analyse heraus, dass es nach wie vor Unterschiede im Populismus in den SVP-Kantonalsektionen gibt, auch wenn eine Anpassung der einzelnen Sektionen stattgefunden hat. Jedenfalls ist es durchaus legitim, von einem «neuen Kantönlipopulismus» zu sprechen. Zudem bestätigen wir mit unserer Analyse, dass Populismus nicht als eine absolute Grösse gesehen werden darf, die keine Varianz kennt. Zumindest solange nicht, wie es in der Schweiz föderale Strukturen, respektive den Kantönligeist gibt und sich die Bevölkerung von Kanton zu Kanton unterscheidet.


 
[1] Ladner 2015: 85 (Ladner, Andreas (2015): Die Schweizerische Volkspartei - Gratwanderung zwischen Nationalkonservatismus und Rechtspopulismus. In: Ernst Hillebrand (Hg.): Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie? Bonn: J.H.W. Dietz, S. 77-87.)

[2] Skenderovic 2014 (Skenderovic, Damir (2014): Rechtspopulismus in Westeuropa nach 1945: Die Schweiz als Vorläufer und Vorbild. In: Revue transatlantique d'études suisses 4, S. 43-59.) [3] U.a. Bernhard, Laurent; Kriesi, Hanspeter; Weber, Edward (2015): The Populist Discourse of the Swiss People's Party. In: Hanspeter Kriesi und Takis S. Pappas (Hg.): European Populism in the Shadow of the Great Recession. Colchester: ECPR Press, S. 125-139, Manatschal, Anita; Rapp, Caroline (2015): Welche Schweizer wählen die SVP und warum? In: Markus Freitag und Adrian Vatter (Hg.): Wahlen und Wählerschaft in der Schweiz: Verlag Neue Zürcher Zeitung (Politik und Gesellschaft in der Schweiz), S. 187-216., Mazzoleni, Oscar (2008): Nationalisme et populisme en Suisse. La radicalisation de la "nouvelle" UDC. 2. Auflage. Lausanne: Presse polytechniques et universitaires romandes. [4] Mudde, Cas (2004): The Populist Zeitgeist. In: Government and Opposition. Blackwell Publishing, S. 541-563. [5] Appenzell Innerrhoden und Appenzell Ausserrhoden haben wir nicht mit in die Untersuchung aufgenommen, weil diese beiden Kantone andere Parteiensysteme (und Entwicklung der Parteiensysteme) aufweisen, als die anderen Kantone. [6] Das Abweichen das Kantons Obwalden (in der Abbildung sehr hell) kann als statistischer Ausreisser betrachtet werden. Ein genauerer Blick in das entsprechende Pateiprogramm zeigt, dass es gemäss qualitativer Einordnung keinen Grund gibt, dieser Kantonalpartei einen solch tiefen Populismusgrad zuzuordnen.


 
Referenz:
Storz, Anna und Julian Bernauer (2018). Supply and Demand of Populism: A Quantitative Text Analysis of Cantonal SVP Manifestos. Swiss Political Science Review, 24(4).
 
 
Bild: flickr