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Neue Väter brauchen neue Mütter!

Margrit Stamm
19th Juli 2018

Väter nehmen immer facettenreichere Rollen innerhalb der Familie ein. Damit dies gelingt, braucht es aber nicht nur eine Emanzipation der Frauen, sondern auch eine Emanzipation der Mütter.

Am Morgen müssen sie früh weg, am Abend kommen sie spät nach Hause. Sind sie endlich da, wechseln sie Windeln, erzählen eine Gutenachtgeschichte oder helfen bei den Hausaufgaben zum Dreisatzrechnen. Tatsächlich hat sich bei den Vätern in den letzten Jahren Vieles geändert. Sie investieren deutlich mehr Zeit in ihre Kinder und tun dies mit überwiegend hohem Engagement. Trotzdem ist der Standardvorwurf – oft aus weiblichem Munde – immer noch weitgehend derselbe: Männer sind das faule Geschlecht. Sie klammern sich zu fest an den Beruf, tun zu wenig im Haushalt, und wenn das Kind einmal krank ist, sind es die berufstätigen Mütter, welche zu Hause bleiben müssen. Auch im Privaten seien Männer immer noch Praktikanten und Juniorpartner der Partnerinnen.

Die Statistik zeigt jedoch, dass ein Wandel stattgefunden hat. Männer wenden deutlich mehr Zeit für die Familie auf als jede Generation zuvor. Trotzdem sind nicht wenige überzeugt, dass Vieles besser wäre, wenn die Väter zu Hause mehr Präsenz markieren würden. Solche Vorstellungen sind jedoch trügerisch und einseitig. Denn sie beruhen auf der Annahme, dass ein Mehr an zeitlicher Verfügbarkeit automatisch die Entwicklung der Kinder fördert und die Partnerschaft glücklicher macht. Unsere Forschungsergebnisse der Väter-Studie Tarzan, die 2016 veröffentlicht wurden und deren Daten meinem Buch zugrunde liegen, zeigen anderes: Es kommt weniger auf die Anzahl Stunden an, sondern mehr, mit wie viel Herzblut der Vater in der Familie mitwirkt und wie die Qualität der Paarbeziehung ist. Auch Vollzeit arbeitende Männer können eine engagierte Vaterschaft praktizieren und ihre Kinder positiv beeinflussen. Dass eine höhere väterliche Präsenz automatisch besser sei, ist somit in Zweifel zu ziehen.

Weshalb nimmt man dies nicht verstärkt zur Kenntnis? Und warum setzt man so sehr auf das Stereotyp des allzeit präsenten Vaters als quasi einzigem Qualitätsmerkmal? Mit Sicherheit auch deshalb, weil sich die Forschung jahrelang ausschließlich darauf eingeschossen hat. So stellt eine Studie nach der anderen fast Identisches fest: dass Mütter nach wie vor in der Fürsorge für die Kinder und im Haushalt mehr leisten, weshalb es eine deutliche Asymmetrie zu Lasten der Frauen gibt. Dies ist statistisch zwar richtig, trotzdem eine zu einseitige Sichtweise.

Problematik

Dieser zu enge Fokus hat dazu geführt, dass besonders wichtige Aspekte der Vaterschaft in der hiesigen Diskussion ausgeblendet werden. Erstens ist es der bisher fehlende theoretische Fokus auf ein umfassenderes Väterkonzept, zweitens die Ausblendung der Tatsache, dass das Verständnis von Vaterschaft immer mit dem Verständnis von Mutterschaft interagiert.

So positioniert sich die anglo-amerikanische Väterforschung viel umfassender als die deutschsprachige Väterforschung, weil sie auch indirekte Betreuungsarbeiten in den Fokus nimmt. Damit grenzt sie sich von der feministischen Care-Forschung ab, welche Betreuungsarbeiten als Gegensatz und nicht als Bestandteil von Fürsorgearbeit versteht.

Als indirekte Fürsorgearbeiten gelten beispielsweise Service- und Instandhaltungstätigkeiten (Steuererklärung ausfüllen, Reparaturen vornehmen, Abfall entsorgen, das Auto warten), Kontroll- und Unterstützungsleistungen (z. B. Hausaufgaben oder Medienkonsum betreuen und überwachen), die Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen zur materiellen Versorgung der Familie (z.B. Überstunden machen, um eine Ausstattung oder eine Fördermaßnahme des Nachwuchses finanzieren zu können), die Unterstützung der sozialen Kontakte mit anderen Kindern (z.B. die Förderung von Freundschaften) oder das väterliche Engagement in der Schule oder in anderen Institutionen zu Gunsten der Kinder.

Der zweite Punkt betrifft wichtige Fragen zum Väterengagement im Vergleich zum Mutterengagement, die sowohl in der gesellschaftlichen Diskussion als auch in Forschungsstudien kaum angesprochen werden. Dazu gehören etwa die Einflüsse des aktuellen Verständnisses von Mutterschaft, welches von der guten Mutter als intensive Mutter ausgeht (»intensive mothering«) und seine Verbindung mit dem väterlichen Engagement (dass sich Mütter im Vergleich zu ihren Partnern oft als die besseren und fürsorglicheren Erziehungsperson definieren und ihre Partner deshalb als Zudiener verstehen) oder ob und wie Paare aushandeln, welches Vereinbarkeitsmodell sie wählen wollen.

Neue Väter nicht ohne neue Mütter! Weshalb Familie nur gemeinsam gelingt

Um die gleichberechtigte Teilhabe beider Geschlechter im Arbeits- und Familienleben verwirklichen zu können, brauchen wir ein neues Emanzipationsbündnis zwischen Frauen und Männern, zwischen Müttern und Vätern. Männer sollten sich der Veränderung von Männlichkeit stellen, alte Machtansprüche aufgeben und mehr Engagement in der Familie auch tatsächlich verwirklichen wollen. Frauen wiederum sind zu ermutigen, dass sie sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht nur erstreiten müssen, sondern auch auf die eigenen Bedürfnisse hören dürfen. Gleichzeitig sollten sie einen Beitrag dazu leisten, dass sich ihre Partner nicht nur ins Familienleben einpassen, sondern sich auch eigenständig als Männer und Väter entwickeln können. Geschlechtergerechtigkeit heisst, dass Männer und Frauen nicht Kopien des je anderen Geschlechts werden, sondern in gegenseitiger Bezogenheit eine unabhängige Identität aufbauen.

Dies kann nur geleistet werden, wenn wir unseren Blick auf die Aufgaben objektivieren, welche Väter in und neben der Familie für diese erbringen und auch nach der Rolle fragen, welche ihre Partnerinnen dabei spielen. Beide Geschlechter sind von kulturellen und gesellschaftlichen Widersprüchen betroffen, aus denen sie sich nur schwer befreien können. Deshalb müssen wir uns von den problematischen Seiten der gegenwärtigen Diskussion befreien, welche unsere Gleichstellungspolitik prägt und Männer andauernd schuldig spricht. Nur so können die einseitigen und mit zu großer Selbstverständlichkeit postulierten Vorstellungen dessen gesprengt werden, was einen guten Vater (oder eine gute Mutter) ausmachen soll. Man muss somit etwas genauer hinschauen, um die damit verbundenen problematischen Folgen für die Männer selbst, ihre Partnerinnen und die Gesellschaft insgesamt zu erkennen.

Auf solchen Überlegungen basiert die These, welche ich in meinem Buch diskutiere und in einen gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang stelle. Sie lautet:

Männer engagieren sich facettenreicher in der Familie als dies die Gesellschaft wahrnehmen will. Dazu brauchen sie jedoch Partnerinnen, welche ihnen Hand bieten. Obwohl sich Frauen in den letzten Jahrzehnten enorm emanzipiert haben, gilt dies kaum für ihre Mutterrolle. Kriegen sie Nachwuchs, dann fallen sie schnell einmal in alte Rollenmuster zurück und beanspruchen in der Familie die alleinige Bestimmungshoheit. Dies bremst das väterliche Engagement.

Diese These bearbeite ich in vier Schwerpunkten: Sie fokussieren auf Väter und Mütter in der öffentlichen Diskussion (I), auf die Frage, wer Väter sind und welche Rolle die Partnerin spielt (II); auf die Inhalte der Tätigkeiten der Väter und wie sie ihre Partnerin entlasten (III), auf die Wirkungen der Väter auf ihren Nachwuchs und wie sie von Müttern beeinflusst werden (IV) sowie auf die Bilanz: Neue Väter brauchen neue Mütter!


Das Buch "Neue Väter brauchen neue Mütter – Warum Familie nur gemeinsam gelingt" hat 301 Seiten und 28 Abbildungen/Tabellen. Es erscheint bei Piper am 1. August 2018 und kostet ca. 24 Euro.

Bild: rawpixel.com