Politische Kampagnen im digitalen Zeitalter
Hauke Licht, Tarik Abou-Chadi
6th July 2018
Microtargeting, der Versuch von politischen Parteien über digitale Kanäle Unterstützer*innen und Wähler*innen mit gezielten Botschaften zu erreichen, hat in den vergangenen Jahren wiederholt für mediale Aufregung gesorgt. Während sich anfangs noch viele Personen für das Potenzial dieser Sparte der datenbasierten Kampagnenführung begeisterten, haben jüngst die kritischen Stimmen zugenommen. Die Befürchtung ist dabei, dass der Skandal um Cambridge Analytica im Präsidentschaftswahlkampf Donald Trumps nur die Spitze eines Eisbergs darstellt.
Mit diesen und anderen Fragen der Digitalisierung der politischen Kommunikation beschäftigte sich die Veranstaltung “Politische Kampagnen im digitalen Zeitalter”, zu der die Abteilung Allgemeine Demokratieforschung am Zentrum für Demokratie Aarau Adrienne Fichter und Matthias Orlowski sowie interessierte Zuhörer*innen zur Diskussion einlud. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach den Auswirkungen des microtargeting auf die demokratischen Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse.
Die Logik des microtargetings im datenbasierten Wahlkampf
Microtargeting setzt die Idee in die Praxis um, dass sich unterschiedliche Gruppen besser mit unterschiedlichen Botschaften zu politischen Zwecken mobilisieren lassen als mit einer einheitlichen, undifferenzierten Botschaft. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich jede dieser Gruppe nicht nur in ihren gemeinsamen Interessen von anderen Gruppen unterscheidet, sondern dass sich auch die Personen innerhalb dieser Gruppen stärker in ihren politischen Positionen und Vorstellungen ähneln als Personen aus verschieden Gruppen.
Matthias Orlowski, Data Scientist und ehemaliger Mitarbeiter der SPD-Bundestagskampagne stellte bei der Veranstaltung dar, wie die SPD und andere deutsche Parteien das microtargeting im Bundestagswahlkampf 2017 genutzt haben.
Stehen Daten über politische Positionen und Vorstellungen und einer Vielzahl von Personen zur Verfügung oder aber über Charakteristiken, die in starkem Zusammenhang mit den besagten Eigenschaften stehen, lässt sich mittels Methoden des statistischen Lernens eine Unterteilung der Personen in einzelne Segmente vornehmen. Diese Gruppen können dann gezielt kontaktiert werden. Die stärkeren Gemeinsamkeiten zwischen Personen einer Gruppe lassen erwarten, dass bestimmte Botschaften – verglichen mit den Mitgliedern anderer Gruppen – besonderes stark auf sie wirken.
Microtargeting basiert also auf dem Prinzip der Segmentierung politischer Zielgruppen und versammelt eine Vielzahl von Methoden der zielgruppenspezifischen politischen Kommunikation und Mobilisierung. Eine Unterscheidung, die sich im Rahmen der Diskussionsveranstaltung als hilfreich erwiesen hat, ist diejenige zwischen der Anwendungen von microtargeting im offline- sowie dem online-Bereich.
microtargeting: online und offline Ausprägungen
Offline microtargeting umfasst insbesondere alle Methoden bei denen primär auf den direkten Kontakt mit potentiellen Unterstützer*innen und Wähler*innen abgezielt wird. Wie Matthias Orlowski erläutert, ist der Tür-zu-Tür-Wahlkampf beispielsweise eine Wahlkampfmethode, die im Deutschen Bundestagswahlkampf 2017 stark nach dem Prinzip des datenbasierten microtargetings umgestaltet wurde. Beim datenbasierten Tür-zu-Tür-Wahlkampfs wird die Logik des microtargeting angewendet, um zu bestimmen, wo und wie finanzielle aber insbesondere auch personelle Mittel eingesetzt werden sollen. Dabei ist das Ziel in der Regel, Wähler*innen im persönlichen Gespräch mit Parteiaktivist*innen zur Stimmabgabe für die jeweils eigene Partei zu mobilisieren.
Online targeting umfasst Methoden der zielgruppenspezifischen politischen Kommunikation über digitale Kanäle, beispielsweise über Email-Verteiler oder auf Social Media Plattformen. Zuletzt haben insbesondere online microtargeting Praktiken Aufmerksamkeit erregt, mit denen Parteien und andere politische Akteure über Social Media Plattformen versucht haben, bestimmte Gruppen für politische Zwecke zu mobilisieren, beziehungsweise zu demobilisieren.
Schattenseiten einer datenbasierten Wahlkampfmethode
Auch Adrienne Fichter, Autorin und Redakteurin bei der Republik, hat den Fokus ihres Vortrages auf die Entwicklungen in der politischen Kampagnenführung in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter gelegt und bot einen Überblick darüber, welche Gefahren das online microtargeting in diesem Kontext birgt. Dabei stand die Kritik im Vordergrund, dass das online microtargeting an Transparenz mangelt: Methoden des online microtargetings gehören zum kommerziellen Vermarktungsinstrumentarium der Social Media Anbieter und es existieren gegenwärtig nur unzureichende Offenlegungspflichten. beziehungsweise Selbstverpflichtungen. Deshalb wird es den Medien und der Wissenschaft als traditionelle demokratische Kontrollinstanzen stark erschwert, nachzuvollziehen, welche politischen Akteure welche digitalen Werbekanäle und Botschaften nutzen.
Diese fehlende Kontrollmöglichkeit stellt insofern ein Problem dar, als dass die besagten microtrageting-Instrumente es politischen Akteuren ermöglichen, verschiedenen Nutzersegmenten ohne deren wechselseitiges Wissen beispielsweise unterschiedliche Wahlversprechen zu senden. So entfällt die Möglichkeit, politische Akteure dafür in die Pflicht zu nehmen, mit welchen Positionen und Versprechungen sie im online Wahlkampf um Unterstützung geworben haben. Zwar versuchen Aktivist*innen mit Aktionen wie dem #PolitikAds hashtag auf Twitter oder der Political Ad Collector Webbrowser-Erweiterung der Intransparenz Einhalt zu gebieten. Solche Aktionen können allerdings bestenfalls ein Problembewusstsein schaffen, da sie keine Möglichkeit zur direkten Kontrolle der Vorgehensweisen im politischen online microtargeting bieten.
Ferner führt die mit dem online microtargeting auf Social Media Plattformen verbundene Intransparenz dazu, dass den traditionellen Kontrollinstanzen kaum Möglichkeiten bleiben, Datenmissbrauch aufzuspüren. Dies gilt insbesondere für die Verbreitung von Falschnachrichten (fake news), deren Schadenspotenzial für die politische Meinungsbildung als besonders hoch gilt.
Die potenziell grosse Reichweite und Möglichkeit zur zielgruppenspezifischen politischen Werbung, die im Zusammenhang der Wahlkampfaktivitäten politischer Parteien von den Diskutierenden teilweise kritisch bewertet wurde, verspricht aber auch grosse Chancen im Zusammenhang der Digitalisierung politischer Kampagnen. So lässt sich als positives Beispiel aufführen, dass die Vernetzung von sonst politisch und sozial marginalisierten Gruppen online dazu führen kann, dass diese im politischen Diskurs Beachtung finden. Die Black Lives Matter Bewegung ist hierfür ein beeindruckendes Beispiel.
Die Veranstaltung “Politische Kampagnen im digitalen Zeitalter” von der Abteilung Allgemeine Demokratieforschung am Zentrum für Demokratie Aarau fand am 2. Juli 2018 statt.
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