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Politische Bildung in Zeiten von Twitter, Facebook und Co.

Monika Waldis Weber
16th April 2018

Fake News haben jüngst zu einer breiteren Diskussion geführt. Die Veränderung der medial geprägten Öffentlichkeit durch Internet und soziale Medien ist in den vergangenen Monaten mit den Schlagzeilen um Facebook und den Diskussionen zur No-Bilag-Initiative ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Liken, teilen, posten und tweeten tragen heute zur öffentlichen Meinungsbildung bei. Welche Aufgaben ergeben sich daraus für die Schule und die Politische Bildung?

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 Neue Nutzungsgewohnheiten und Strukturwandel der Öffentlichkeit

Die halbdirekte demokratische Schweiz benötigt gut informierte Bürgerinnen und Bürger. Im letzten Jahrzehnt haben sich deren mediale Nutzungsgewohnheiten deutlich verändert. Gemäss einer Befragung des fög (Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich) aus dem Jahr 2017 nutzen 32 Prozent der Befragten – neben traditionellen Medien – Newssites als Hauptquelle für Nachrichten; hinzu kommen die News, die über soziale Medien wie Facebook zur Kenntnis genommen werden (Vogler 2017). Jugendliche und junge Erwachsene konsumieren News fast ausschliesslich im Netz.

Mit dem veränderten Nutzerverhalten geht ein Strukturwandel der Öffentlichkeit einher. Klassische Medien wie Radio, Fernsehen und Zeitungen verlieren ihre Gatekeeperfunktion, während neue Instanzen der Informationsfilterung und -distribution an Einfluss gewinnen. Personen und Interessengruppen mit Netzzugang können unkompliziert Informationen und Meinungen über soziale Medien teilen und rasend schnell einer grossen Anzahl potentieller Rezipierenden zugänglich machen. Eine Vorabkontrolle und Auswahl durch Medienschaffende entfällt dabei. Algorithmen der Techintermediäre verteilen News in einem «global vernetzten, hochsensiblen Kommunikationsuniversum, das seine Wirkung im Extremfall auf kaum kontrollierbare Weise maximiert» (Pörksen 2018).

So geschehen ist dies beispielsweise beim Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo in Paris. Innerhalb von Stunden ging das Amateurvideo eines geschockten Zeugens viral, der den Überfall aus nächster Nähe geflimt hatte und auf Facebook veröffentlichte. Die dem Anlass inhärente Emotionalität befeuerte die Weitergabe der Bilder, die eine Exekution aus nächster Nähe zeigten und somit als voyeuristisch und menschenverachtend einzustufen sind. Die etablierten Medien wie das französische Fernsehen zogen mit. Anstelle des einzelnen Leitmediums war ein Medienverbund getreten, der sowohl redaktionelle als auch soziale Medien umfasste, und im wechselseitigen Zusammenspiel eine enorme Wirksamkeit entfachte.

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass die Verantwortung für die öffentliche Sphäre heute nicht mehr nur bei den professionellen Medien liegt, sondern auch bei jedem Einzelnen, der sich im Netz betätigt. Gefordert ist dabei eine sensible Moral der Nutzerinnen und Nutzer und eine gewisse Skepsis, die dem Weiterleiten von Informationen vorangeht. Nicht zu unterschätzen sind ausserdem die Möglichkeiten der Techintermediäre wie Google, Facebook u. a., auf der Basis von Big Data und Userprofilen Nutzerinnen und Nutzer passgenau mit Informationen zu bedienen. Die angewandten Mechanismen laufen dem Prinzip entgegen, vielfältige und aus unterschiedlichen Quellen stammende Informationen zur Kenntnis zu nehmen und im Falle von Kontoversen auch die Argumente der Gegenseite wahrzunehmen.

Jugendliche im Netz

Die Informationsflut und Unübersichtlichkeit im digitalen Raum sowie die öffentliche Debatte um Fake News kann zu einer Verunsicherung bei den Jugendlichen als auch zu einem Vertrauensverlust in Medien und Politik führen (Easyvote-Politikmonitor 2017). Mehr denn je sind demnach auch politische Medienkompetenzen gefragt. Im Vordergrund steht dabei die Kompetenz, die Inszenierung und Handlungsweisen in sozialen Netzwerken zu durchblicken, Bewertungen von Informationen effizient durchzuführen und Meinungsbildungsprozesse aktiv zu gestalten, sowie das Internet für das Vertreten der eigenen Positionen, Meinungen und Ansichten reflektiert zu nutzen.

Unter anderem stellt sich die Frage, welche  Prüf- und Bewertungskriterien Jugendliche und junge Erwachsene an die Informationen anwenden, denen sie täglich auf ihren Smartphones begegnen. In einer vielbeachteten Studie der Standford History Education Group (Wineburg et al. 2017) ergab sich hinsichtlich der Fähigkeiten amerikanischer Jugendlicher, Onlineinformationen zu verstehen und zu prüfen, ein ernüchterndes Bild: Die wenigsten konnten eine Werbereportage von einer redaktionellen Berichterstattung unterscheiden und sie überschätzten die Glaubwürdigkeit von Bildern.

Resultate aus Evaluating Information (Wineburg et al. 2017)
80 % der Befragten Oberstufenschülerinnen und -schüler konnten eine im Internet aufgeschaltete Werbestory nicht von einer redaktionellen Berichterstattung unterscheiden, und nur 20% der High School Schüler/innen (Gymnasium) bezweifelten die Glaubwürdigkeit eines Bildes, das verkrüppelte Margeritenblumen zeigte und die Überschrift trug «not much to say, this is what happens when flowers get nuclear birth defects».

In jüngerer Zeit hat sich das Phänomen der Fake News als ein herausforderndes Problem entpuppt. Gerade Kinder und Jugendliche sind im postfaktischen Zeitalter besonders gefordert, da sie Informationen hauptsächlich über soziale Medien konsumieren (Süss et al. 2016) und ihren Freundinnen und Freunden innerhalb der Netzwerke vertrauen. So ergibt sich im Umgang mit digitaler Information mehr denn je die Anforderung an den einzelnen Nutzer oder die einzelne Nutzerin, vor dem Liken und Teilen die Relevanz und Glaubwürdigkeit zu überprüfen und diese mit ethischen Standards abzugleichen. Es geht also darum, professionelle Strategien anzuwenden. Dies stellt zwar hohe Anforderungen, kann aber auch zu mehr Unabhängigkeit führen.

Ansprüche an Schule und Politische Bildung

Der Schule – wichtigste Sozialisationsinstanz nebst Familie und Peers – kommt die Aufgabe zu, junge Menschen, die unterschiedliche Haltungen und Praktiken in Bezug auf das Netz ausgebildet haben, zusammenzuführen. Angesichts der neuen Anforderungen an jeden Einzelnen fordert beispielsweise der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, die «Normen und Prinzipien eines ideal gedachten Journalismus» zum Bestandteil der Allgemeinbildung zu machen. Damit zielt er auf eine «Medienmündigkeit». Diese muss allerdings von allen gefordert werden. Wegen der Grösse der Aufgabe und ihrer Bedeutung für die Demokratie stehen hier weitere Bereiche des gesellschaftlichen Systems in der Pflicht. So steht die Politik spätestens nach dem Skandal um Cambridge Analytica vor der Aufgabe, den Druck auf international operierende Techintermediäre zu erhöhen, damit sie aufzuklären und Transparenz zu schaffen beginnen.

Das Potential der (Hoch‑)Schule ergibt sich aus zwei Punkten: Erstens ist Wissensvermittlung seit langem ihr Kerngeschäft. Zweitens können Bildungsinstitutionen Orte der Begegnung und des Diskurses über gesellschaftliche Phänomene sein. Konfrontiert mit den vielfältigen Möglichkeiten, Fake News im Netz zu verteilen, und der Frage, was Wahrheit ist, wird die schulische Aufgabe akzentuiert, Einblick darin zu geben, wie in disziplinärer Logik Wissen entsteht, welchen Gütekriterien dieses genügt bzw. genügen soll und welche Unsicherheiten damit verbunden sind. Thematisiert werden müsste der Einfluss von Denktraditionen und gesellschaftlichen Diskursen. Zudem müssten Grundeinsichten der sozialpsychologischen Literatur zum Gruppen- und Bestätigungsdenken in die Reflexion einbezogen werden. Ziel ist, gemeinsam geteilte Wissensnetzwerke aufzubauen (Wampfler 2017), zu deren Entstehung die Lernenden diskursiv beitragen.

Die Politische Bildung ist darin gefordert, für Machtverhältnisse im Netz zu sensibilisieren. Als Produzenten und Konsumenten generieren Kinder und Jugendliche Nutzerdaten, die zu einer Währung des Digitalen geworden sind. Das Recht an Daten und der Datenschutz sind ebenso zu thematisieren wie die Verlässlichkeit und Objektivität von Quellen und konkrete Kriterien, die bei der Einordnung von mehr oder minder vertrauenswürdigen (politischen) Informationen leitend sein können. Dies verlangt nach Kontextualisierung, weshalb wiederum auch die Motive der Informierenden in den Blick zu nehmen sind.

Darüber hinaus gilt es, die Wirkung eigener Postings abzuschätzen und eine Ethik des Teilens zu entwickeln. Ebenso müssen Spielregeln für vernunftgeleitete, um das bessere Argument ringenden Debatten aufgegriffen werden, die auf sorgfältig recherchierten Informationen aufbauen. Die dabei angestrebte Grundeinsicht ist, dass eine demokratische Öffentlichkeit sowohl Aufmerksamkeit als auch Achtsamkeit benötigt; gerade weil demokratische Öffentlichkeit nicht einfach gegeben und mitunter durch aggressive Polarisierung bedroht ist.


Literatur:

Bild: Pixabay.